„Das Brauchtum sollte unter keinen Umständen eine Rechtfertigung sein, um kriminell zu werden“, sagte der Staatsanwalt bei seinem Plädoyer vor dem Heidenheimer Amtsgericht. Nach einem eskalierten Maibaum-Klau-Versuch im Mai 2023 waren zwei Männer wegen Nötigung, schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung angeklagt worden. Beide räumten die Anschuldigungen ein, einer wurde dennoch zu neun Monaten Haft verurteilt.
Eskalierter Maibaum-Klau: Was war passiert?
Die Nacht auf den 1. Mai 2023 startete für eine Gruppe junger Erwachsener aus Dischingen ganz normal: Gemäß dem Brauch machten sie sich auf den Weg, um in der Gemeinde Dischingen und den dazugehörenden Ortsteilen Maibäume aufzustellen. Dazu waren sie mit einem Traktor mitsamt Hänger und drei Autos unterwegs. Als sie gerade mit dem Aufstellen des Baumes in Ballmertshofen fertig waren und sich auf den Weg nach Frickingen machten, bemerkten sie, dass sie von zwei Autos verfolgt wurden. Hinter dem Steuer des vorderen Autos befand sich der 32-jährige Angeklagte. Mit im Auto saß der 49-jährige Hauptangeklagte und dessen Bekannter.
Als das Auto mit den Angeklagten zum Traktor mit den geladenen Maibäumen aufgeschlossen hatte, offenbarte sich die Absicht der Verfolger: Sie wollten das Maibaumstecken verhindern. Erst versuchten sie, mit einer Kettensäge aus dem Beifahrerfenster hinaus bei voller Fahrt einen der geladenen Bäume anzusägen. Als das nicht gelang, setzte sich der 32-Jährige mit seinem Auto vor die Kolone und bremste diese so stark aus, dass sie beinahe zum Stehen kam. Der Bekannte des Hauptangeklagten sprang während der langsamen Fahrt zum Fahrerhaus hinauf, in dem sich zwei Brüder befanden. Als er versuchte, den Traktor ganz zum Stoppen zu bringen, verlor er das Gleichgewicht und fiel vom Traktor.
Trauriger Gipfelpunkt
Als er auf dem Boden aufkam, überrollte der Hänger des Traktors die Beine des Bekannten. Dieser Vorfall stoppte sämtliche Autos, bis auf den Traktor mit zwei jungen Männern an Bord, die den Unfall nicht bemerkt hatten. Die Angeklagten stiegen aus ihrem Auto und beschimpften die stehengebliebenen Männer. Dabei schlug der 49-Jährige einem Außenstehenden ins Gesicht, da er ihn für den Schuldigen der Verletzungen seines Bekannten hielt. Anschließend nahmen sie dann wieder die Verfolgung des Traktors auf. Der junge Fahrer des Traktors und dessen Bruder haben ein gutes Stück weiter durch ein Telefonat mitbekommen, was passiert war und hielten am Wegesrand an. Dort schlossen die Angeklagten zu den jungen Brüdern auf.
Ich hatte Todesangst
Geschädigter
Wutentbrannt sollen die Angeklagten ausgestiegen und auf die beiden losgegangen sein. „Wir hatten beide große Angst vor ihren lauten Schreien“, schilderte einer der Brüder vor Gericht. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch hielten die beiden Angeklagten die Brüder fest. Dabei verprügelte der 49-Jährige den Fahrer des Traktors. Die Brüder wurden gezwungen, in den Audi zu steigen. Gemeinsam fuhren sie zum Unfallort. Dort wurden den beiden Brüdern die Handys abgenommen. Bis die Polizei eine Viertelstunde später eintraf, wurden die beiden Brüder im Auto des 32-Jährigen festgehalten. „Ich hatte dabei Todesangst“, sagte einer der Geschädigten.
Verurteilung nach Einigung
Das Bild, das sich nun vor dem Amtsgericht bot, sah im Vergleich deutlich harmonischer aus. Zu Beginn der Verhandlung räumten beide Angeklagten die vom Staatsanwalt vorgetragenen Anklagen ein. In einer kurzen Besprechung erzielten die Verteidiger Alexander Grob und Thomas Dick mit dem Staatsanwalt und Richter Dr. Christoph Edler hinter verschlossenen Türen eine Einigung: Beide Angeklagten entschuldigten sich vor Ort bei den geschädigten Brüdern und leisteten eine Schmerzensgeldleistung in Form von 600 und 1000 Euro. Das Verfahren gegen den 32-Jährigen wegen Sachbeschädigung und Freiheitsberaubung wurde daraufhin eingestellt. Der 49-Jährige hingegen wurde zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, da er als Aggressor in der Tatnacht ausgemacht wurde. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre.
Das war ein Mai-Brauch, der in die Hose ging
Dr. Christoph Edler, Richter
„Sie sind von Anfang an geständig gewesen, haben kooperiert und die Reue kaufe ich ihnen ab“, sagte Richter Edler nach der Urteilsverkündung. Der Hauptangeklagte entschuldigte sich während der Verhandlung mehrfach und beschrieb seine Aktionen als unnötig. „Er war außer sich, als er seinen Bekannten schreiend auf dem Boden liegen sah, der für ihn wie ein Ziehsohn ist“, erklärte sein Verteidiger Dick: „Er ging davon aus, der Fahrer des Traktors hätte den Unfall bemerken müssen, was seine Taten jedoch nicht relativieren soll.“ In seiner Belehrung beschrieb Richter Edler die Taten unter anderem als „mafiamäßig“ und menschenverachtend: „Man kann sagen: Das war ein Mai-Brauch, der ordentlich in die Hose ging“.