Zahlensymbolik und Schnupftabak in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist zu Dischingen
51 Treppen führen in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist auf die Orgelempore und zur Orgel hinauf. Die steht dort seit immerhin 1782. Damals war Mozart gerade mal 26 und ließ sich in Wien für die „Entführung aus dem Serail“ feiern. Wir erwähnen das, weil Mozarts Vater Leopold einst Musikus bei einem gewissen Johann Baptist von Thurn und Taxis gewesen war und man hier auf dem Härtsfeld an denen von Thurn und Taxis nicht vorbeikommt.
Und in Dischingens Pfarrkirche, die, von 1769 bis 1791 nach Plänen von Joseph Dossenberger erbaut, Spätbarock, Rokoko und Klassizismus in sich vereint, kommt niemand an Zahlensymbolik vorbei. Schon gar nicht, was die Orgel angeht. Denn deren Erbauer, Joseph Höß aus Ochsenhausen, hat in diesem Instrument J und H, die Initialen seines Namens, verewigt.
Die Erkenntnis verdankt man Bernhard Pampuch, dem Dischinger Ehrenbürger, der 57 Jahre, und damit länger als alle seine Vorgänger seit 1784, als Organist in der Pfarrkirche Dienst getan hat. Sein Nachfolger im Amt ist Enkelsohn Björn. Aber zum Empfang der Orgeltester ist der Großvater selbstverständlich ebenfalls erschienen.
Auch, um die Zahlensymbolik zu erläutern, die sich allerdings nur dem erschließt, der weiß, dass J und I zur Zeit des Baus der Dischinger Orgel ein und derselbe Buchstabe und die Initialen von Joseph Höß somit der neunte beziehungsweise der achte Buchstabe des Alphabets waren.
Die Summe der beiden Zahlen beträgt 17. Alle drei Zahlen finden sich im Prospekt, also der Schauseite der Orgel (acht Felder insgesamt, zwei Felder mit je acht Pfeifen, ein Feld mit neun Pfeifen und 17 Pfeifen im Hauptfeld) sowie in der Anzahl der Register (17 insgesamt, davon acht im Haupt- und neun im Nebenmanual). Vom Auftraggeber der Orgel, Carl Anselm von Thurn und Taxis, bestellt waren übrigens nur 16 Register.
Orgel war für die damalige Zeit ein großer Luxus
Dass die Orgel über zwei Manuale verfügt, war, hält Obertester Thomas Haller fest, „für die damalige Zeit ein großer Luxus und sonst nur an bedeutenden Kirchenorten anzutreffen“. Man weiß allerdings auch, dass Fürst Carl Anselm, was uns an anderer Stelle dieser Serie noch ausführlicher beschäftigen wird, ein großer Musikliebhaber war und sich dieses Hobby durchaus etwas kosten ließ.
Die Dischinger Orgel ist das einzige fast vollständig erhaltene und überhaupt noch spielbare Instrument aus der Manufaktur des 1745 in Dietenheim an der Iller geborenen Joseph Höß, der als einer der bedeutenden Orgelbauer des süddeutschen Barockzeitalters gelten kann, und der im Jahr 1797 während des Baus der Orgel in der Pfarrkirche in Bozen an einem Fieber verstarb.
1938 dann wäre allerdings auch beinahe das Dischinger Instrument gestorben. Einen Neubau, mit dem bereits geliebäugelt worden war, hatte der hochangesehene Orgelforscher Joseph Wörsching verhindert. Und anschließend setzte sich Wörsching auch gegen den evangelischen Orgelsachverständigen Walter Supper aus Stuttgart durch, der die Orgel gern in Richtung neobarock umgebaut hätte.
Was folgte, war eine behutsame Restaurierung plus des Einbaus eines neuen Trompetenregisters nach den Ideen Wörschings, dem die Dischinger also die Rettung dieser Orgel verdanken. Neu hinzu kamen damals unter anderem auch die „barockisierenden“ Schnitzereien links und rechts am Prospekt.
Im Jahr 1985 folgte dann noch einmal eine Restaurierung durch die Firma Link aus Giengen, in deren Verlauf auch die Pfeifen der Orgel verlängert wurden, um die Normalstimmung von 440 Hertz für den Kammerton zu erreichen. Die Dischinger Orgel hatte bis dahin einen halben Ton höher geklungen, nachdem 1844 der Neresheimer Orgelbauer Johann Michael Schultes die Pfeifen abgeschnitten hatte, um diesen Effekt zu erzielen.
Wer was an oder in einer Orgel verändert oder restauriert hat, das kann man oft noch heute gewissermaßen schwarz auf braun nachlesen, sobald man sich in das Instrument begibt. Denn unter Orgelbauern war und ist es üblich, sich wenigstens mit einer kurzen Bleistiftnotiz zum Beispiel auf einer der großen Holpfeifen zu verewigen.
Und so findet Arthur Penk nicht nur unter anderem die Nachricht eines Link-Mitarbeiters aus dem Jahr 1856 („Ich habe diese Orgel frisch beledert, als das Maß Pier (sic!) 9 Kreuzer gekostet hat“), sondern auch noch eine 2003 hinterlassene, aus einem Döschen Schnupftabak und einem Plastik-Burgfräulein bestehende Kleinskulptur.
Während Penk darüber aus dem Staunen nicht herauskommt, bringt der Fund den Organisten Björn Pampuch nicht aus der Fassung: „So etwas wird öfters hinterlassen, manchmal ist es auch ein Schnapsfläschchen.“ Vielleicht, weil es außerhalb des Sommers so kalt ist in Kirchen und Orgeln. Bei fünf Grad Celsius bekommen nämlich, selbst wenn der zu jeder Jahreszeit in Kirchen erprobte Thomas Haller seine beiden Mitstreitern mild belächelt, auch die Orgeltester kalte Füße.
Wogegen man in Dischingern allerdings etwas unternehmen kann. Denn die Höß-Orgel funktioniert nämlich in der Tat sogar ohne Strom, da der große Magazinbalg rechts der Oper belassen und die Tretvorrichtung auch noch vorhanden ist.
Und so kommt es, dass sich Manfred Kubiak einen Herzenswunsch erfüllt und wie der Romanheld Johann Elias Alder in Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ mit Muskelkraft Wind in die Orgel tritt, während Thomas Haller den Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ anspielt, der, in einer Fassung aus der jeweiligen Entstehungszeit der von den Testern besuchten Orgel, die Erkennungsmelodie der Serie ist und in jedem unserer Orgelfälle erklingen wird.