Heute in Heldenfingen

Brüder fanden sich nach 16 Jahren wieder – bewegende Familiengeschichte jährt sich

Nach 16 Jahren und schlimmsten Kriegserlebnissen sahen sich die tot geglaubten Brüder Eugen und Willi Ullmer 1959 in Heldenfinden wieder. Deren Nachkommen erzählen eine Geschichte, die Stoff für einen Roman liefert.

Vor 65 Jahren geschah ein kleines Wunder: Die beiden Brüder Eugen und Willi Ullmer, die sich gegenseitig für tot gehalten hatten, standen sich nach 16 Jahren wieder gegenüber. Sie hatten zuletzt 1943 als Soldaten in Prag Abschied voneinander genommen und sahen sich nun 1959 in Heldenfingen zum ersten Mal wieder. Beide hatten Familien gegründet und sich dort niedergelassen, wo die Nachkriegszeit sie hin verschlagen hatte. Eugen lebte in Köln und Willi in Heldenfingen. Willis Tochter Lilli Hafner, geborenen Ullmer, und ihre Kinder erinnern sich an die Erzählungen ihres Vaters beziehungsweise Großvaters.

Die Geschichte der Brüder gleicht einem Roman

Die Erlebnisse der Brüder Willi und Eugen Ullmer könnten aus einem Roman stammen. Geboren wurden sie 1922 und 1924 in Taweschnja in der Ukraine, einem der vielen russlanddeutschen Dörfer, in denen hauptsächlich Landwirtschaft betrieben wurde. Deutsche, die sich in Russland ansiedelten, gab es schon im Mittelalter, häufig waren dies Händler. Im 18. Jahrhundert war es Katharina die Große, die mit vielen Anreizen Hundertausende Deutsche nach Russland und in die Ukraine holte, wo die Familien Land bekamen und oft verlassene Landstriche bevölkerten. Doch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu antideutschen Ausschreitungen. Der Bürgerkrieg und die Oktoberrevolution 1917, Hungersnöte und Vertreibungen machten das Leben der Russlanddeutschen immer schwerer.

Die Brüder erlebten vieles hautnah mit, die Mutter verstarb sehr früh, der Vater heiratete erneut, es gab viele Kinder, die in unterschiedlichen Familien aufwuchsen und oft auch Hunger litten. Willi Ullmer konnte nur zwei Jahre lang die Schule besuchen und musste früh hart arbeiten. 1942 erfolgte durch den Stalin-Erlass eine neue Deportationswelle und die Brüder wurden gezwungen, Panzergräben auszuheben. Erst mussten sie für die Russen arbeiten, oft unter Todesgefahr, später wurden sie von den Nationalsozialisten verpflichtet. Die Russlanddeutschen gehörten nirgends richtig dazu.

Massenerschießungen durch die Russen entkommen

Anfangs versprach man ihnen Ländereien im Deutschen Reich und so machten sich die Ullmers mit ihrem ganzen Vieh auf die Flucht nach Westen. Doch an der Grenze wurden ihnen alle Tiere abgenommen, Ländereien gab es keine, und die Brüder waren mittellos. Auf russischer Seite kam es immer wieder zu Massenerschießungen und nur durch einen glücklichen Umstand konnten die Brüder davor bewahrt werden. Sie wurden schließlich als deutsche Soldaten eingezogen, Eugen kam nach Frankreich und Willi Ulmer an die Ostfront, wo er schwer verwundet wurde und seine Hand verlor.

Willi Ullmer in seiner neuen Heimat Heldenfingen. Foto: Familie Ullmer/Hafner

Willi Ulmer sprach mit seiner Familie immer wieder über seine Erlebnisse. Er beschönigte nichts. Doch das Besondere bei ihm war, so erzählen es seine heute 72-jährige Tochter Lilli ebenso wie ihre Kinder und Enkelkinder, dass er auch in den schlimmsten Erlebnissen immer wieder Gutes fand. Immer wieder erzählte er von den Menschen, die ihm geholfen haben. Freunde, Soldaten, auch ein jüdischer Arzt in einem Lazarett und Menschen in Kassel, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg landete, die ihn aufnahmen.

Doch Willi Ulmer zog es nach Süddeutschland. In Rothenburg heiratete er Rosemarie Strauß und bekam mit ihr zwei Kinder: Heinz und Lilli. Doch auch diese Mutter starb früh, und Willi heiratete erneut, eine Heldenfingerin mit einem kleinen Hof, Anna Mack. Lilli Hafner erwähnt nur nebenbei, dass die Stiefmutter sie nicht gut behandelt hat, aber bei den Erzählungen über ihren Vater lächelt sie oft. Willi Ulmer ließ sich von seiner verletzten Hand nicht unterkriegen, er machte sogar Witze darüber und erschreckte die Kinder, er fuhr Fahrrad und arbeitete bei Zoeppritz als Lagerarbeiter. Und plötzlich stand sein bislang für tot gehaltener Bruder Eugen vor der Türe. Lilli Hafner erinnert sich gut daran, wie glücklich ihr Vater war, seinen Bruder nach 16 Jahren wieder in die Arme nehmen zu können.

Vor 65 Jahren berichtete die Heidenheimer Zeitung über das Wiedersehen der beiden Brüder Willi und Eugen Ullmer. Foto: HZ-Archiv

Nach dem Wiedersehen haben sich die Brüder häufig gegenseitig besucht – in Heldenfingen und in Köln. Bis zu Eugens Tod im Jahr 2009 bestand ein reger Kontakt zwischen den Familien Ullmer und Hafner. Willi Ullmers Tochter Lilli ist mittlerweile seit 1970 mit Hans Hafner verheiratet und wohnt weiterhin in Heldenfingen. Sie haben vier erwachsene Kinder und sieben Enkelkinder. Willi Ullmer hatte ein langes Leben und ist 2014 mit 92 Jahren verstorben. Die meisten seiner Enkel und Urenkel haben ihn noch kennengelernt und erinnern sich liebevoll an den Mann, der nie verbittert war und so toll erzählen konnte.

Die Nachkommen von Willi Ullmer. Vorne links ist seine Tochter Lilli Hafner zu sehen mit HZ-Reporterin Mercedes Rehm, der sie die Geschichte ihres Vaters erzählt hat. Foto: Markus Brandhuber
Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar