Die Herrenglocke von 1518 überlebte den Einsturz des Dettinger Kirchturms
In Dettingen kann man Schillers „Lied von der Glocke“ näher kommen als sonstwo in der weiten Umgebung. Das liegt daran, dass hier von 1767 bis zu seinem Tod 1792 der aus Sindelfingen gebürtige und mit der Heidenheimerin Margaretha Ellwerth verheiratete Philipp-Ulrich Moser als Pfarrer gewirkt hat, der als furchtloser Pastor Moser einen Auftritt in Friedrich Schillers 1781 erstmals veröffentlichten und 1782 in Mannheim uraufgeführten Drama „Die Räuber“ hatte und immer noch hat. Schiller setzte damit seinem ehemaligen Hauslehrer, der ihn in Latein und Griechisch unterrichtet hatte, ein ewiges Denkmal – und Dettingen, wenn man so will, mit auf die literarische Weltkarte.
Die Veröffentlichung des die Darstellung eines Glockengusses mit allgemeiner Kommentierung des Menschenlebens verknüpfenden berühmten „Lieds von der Glocke“ im Jahr 1799 zu erleben, war Pfarrer Moser nicht mehr vergönnt. Allerdings musste er auch nicht mehr den Schrecken erleben, wie die ihm wohlvertraute Herrenglocke, um die es in dieser Glockengeschichte vor allem gehen soll, beim Einsturz des Kirchturms aus fünfundzwanzig Metern Höhe zu Boden fiel und anschließend noch gute hundert Meter durchs Dorf polterte. Dass sie dabei unbeschädigt blieb und deshalb auch heute noch erklingt, kommt einem Wunder gleich. Aber wir greifen vor.
Deshalb zurück ins Jahr 1518, als die Herrenglocke gegossen wurde. In Ulm. Und zwar von einem gewissen Ierg Kastner, der wiederum für uns deshalb ganz besonders interessant ist, weil es sich bei ihm um den Sohn von Jerg Kastner handelt, der sich 1471 als Glockengießer in Giengen niedergelassen hatte und dort bis 1495 archivalisch nachzuweisen ist. Seinen Namen hat Kastner in der Schulterinschrift der Dettinger Glocke hinterlassen, zusammen mit dem Hinweis, dass er sie zur Ehre von Maria und der Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes gegossen habe. Nächstes Jahr wird die aus Feuer und Flammen im Jahr nach Luthers Thesenanschlag erschaffene Herrenglocke also stolze 500 Jahre alt.
Da kommt es gewissermaßen einem vorgezogenen Geschenk gleich, dass sie seit 2015 in einem nagelneuen Holzglockenstuhl erklingen darf, der den vermutlich aus den 1950er-Jahren stammenden stählernen Vorgänger ersetzt, was sich, wie Albert Theilacker, der unsere Glöckner beim Aufstieg im vergleichsweise großzügig Platz bietenden Turm führt, enorm günstig auf den Klang ausgewirkt hat.
Das Glück eines neuen Holzstuhls verdankt die 760 Kilo schwere Herrenglocke letztendlich aber dem Umstand, dass sich zu ihr und den 1950 von Wolfart in Lauingen gegossenen beiden kleineren Glocken eine weitere Schwester hinzugesellte: die Petersglocke, 2015 bei Bachert in Karlsruhe, dem Handlungsort der ersten Folge dieser Serie, gegossen und mit 1254 Kilo Gewicht die größte und schwerste im Geläut, das von Albert Theilacker in Gang gesetzt wird, nachdem zunächst die Herrenglocke eine Ehrenrunde läuten durfte.
Die kleinste Glocke, die Taufglocke, 300 Kilo leicht, beginnt. Sodann gesellen sich nacheinander die Zeichenglocke (420 Kilo), die Herrenglocke und die Petersglocke hinzu: inklusive Klöppel und Jochen summa summarum gut 2734 Kilogramm Bronze, Stahl und Holz in Aktion. Eine Wucht. Aus nächster Nähe erlebt ist das weit mehr als nur eine mächtige musikalische Demonstration. Der Glockenstuhl vibriert zunächst und gerät dann in deutlich wahrnehmbare Bewegung. Der Luftzug, den die hin und her schwingenden Glocken verursachen, ist ebenfalls nicht zu verachten.
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h,
gis,
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– wieder und wieder. Und der Anblick der gleichsam fliegenden Klöppel vermittelt seine ganz eigene Ästhetik. Die Glockentester schwanken zwischen Demut und Begeisterung.
Nur der Turm ist unbeeindruckt. Und das sollte er auch sein. Ehe sie die vierte Glocke dem Geläut hinzufügten, haben sich die Dettinger dies von einer Spezialfirma sogar schriftlich geben lassen. Nicht nur, weil in der Kirche zuvor einige Risse bemerkt worden waren, die, wie sich herausstellte, nichts mit den Glocken zu tun haben. Sondern weil sie gebrannte Kinder sind.
Pfarrer und Herzog
Spätestens hier kommt, wenigstens am Rande, wieder Pfarrer Philipp-Ulrich Moser mit ins Spiel. Gleich in dessen Dettinger Anfangsjahre fiel nämlich auch der Bau der Peterskirche nach den Plänen von Joseph Dossenberger, dem Baumeister des fürstlichen Hauses Thurn und Taxis. Dass dieser als Katholik den Auftrag bekam, hatte zu erheblichen Querelen im Vorfeld geführt, die allerdings wohl der aus der Vergangenheit herrührende kurze Draht Philipp-Ulrich Mosers zum württembergischen Herzog Karl-Eugen beendete.
Doch anstatt sich wegen Konfessionen zu echauffieren, hätten die Dettinger lieber nicht am falschen Ende sparen sollen. Denn weil dafür offenbar das Geld fehlte, leistete man sich zum Neubau der Kirche keinen neuen Turm, sondern ließ, obzwar baufällig, den alten stehen. Lieber reduzierte man sogar das Glockengeläut auf ein Mindestmaß, um das Schicksal nicht zu sehr herauszufordern. Dieses allerdings stellte sich dennoch ein, und zwar in Form der offenbar besonders starken Frühlingsstürme des Jahres 1835.
Glück und Unglück
Man schrieb den 3. März, Faschingsdienstag jenes Jahres, als, gewissermaßen zum Kehraus, beim Läuten zum Gottesdienst der Lehrer Schuler aus einem Fenster des neben der Kirche stehenden Schulhaus blickte und sah, dass sich vom Turm der Putz löste. Geistesgegenwärtig rannten er und sein Gehilfe Gäßler hinüber, scheuchten die Läutebuben aus dem Turm und ein paar Kinder, die sich dort schon eingefunden hatten, aus der Kirche. Gerade noch rechtzeitig. Denn kaum waren alle im Freien, fiel der Kirchturm in sich zusammen. Die Geretteten sahen mit Grausen, wie die große Herrenglocke und die kleine, aus dem Jahr 1448 stammende Taufglocke, aus 25 Metern Höhe herabfielen, dröhnend bis zum Hof Büchele (heute Kolb) hinab polterten – wo sie beide unversehrt liegenblieben. Pfarrer Ludwig Wilhelm Seefried aber starb nur 14 Tage später. Er habe sich vom Schock über das Unglück nicht mehr erholt, sagte man.
Die Taufglocke ist später doch noch im Dunkel der Zeit verschwunden. Wahrscheinlich wurde sie im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen. Die Herrenglocke aber läutet immer noch in dem Turm, der 1835, also noch im Jahr der glimpflich ausgegangenen Katastrophe, errichtet wurde und der auch heute weithin sichtbar über der Szenerie des Albuchs thront.