Die bisher nur halbherzig betriebene Energiewende verlangt die beschleunigte Erstellung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Im Zuge dessen wird verlangt, zwei Prozent der Fläche auszuweisen. Im Zusammenhang damit fand am 14. Mai eine Gemeinderatssitzung in Gerstetten statt, in der darüber entschieden wurde, ob das Waldgebiet Steinenhaus als eine solche Vorrangfläche ausgewiesen und dafür der Mindestabstand zu den nächstgelegenen Wohnhäusern von 1.000 auf 750 Meter verringert werden soll. Diese Verringerung wird nötig, da auf dem nur 24 Hektar großen Gebiet drei solcher Anlagen errichtet werden müssen, soll das Projekt rentabel sein.
Die Entscheidung fiel denkbar knapp aus. Nun ist im Falle Gerstettens, wie eine Aussprache mit Gemeinderäten ergab, die erwähnte Zwei-Prozent-Vorgabe auch ohne das Gebiet Steinenhaus erfüllt, und es stellt sich die Frage, warum das Projekt dennoch betrieben wird. Die Antwort liegt auf der Hand: Das Waldstück gehört der Gemeinde Gerstetten, und sie könnte mit Pachteinnahmen im sechsstelligen Bereich rechnen. Es steht also so, dass ein Wald, der bislang als Naherholungsgebiet diente, dafür freigegeben wird, dass eventuell Schneisen für die schweren Fahrzeuge geschlagen werden und eine Großbaustelle daraus gemacht wird. Und das nicht, weil es für die Energiewende unbedingt erforderlich wäre, sondern wegen der Gemeindekasse.
Ob dies vereinbar ist mit dem Parteiprogramm der Grünen, darf bezweifelt werden. Darin heißt es: „Das Naturerbe der Menschheit ist unveräußerbar und muss für die nachfolgenden Generationen erhalten werden.“ Ich erwähne das Parteiprogramm der Grünen, weil es das Abstimmungsverhalten ihrer Fraktion war, das die Entscheidung für das Projekt brachte. Ich verstehe das Dilemma, in dem sich die Partei zwischen Naturschutz und Energiewende befindet. In diesem Fall hätte man aber Naturschutz und Energiewende unter einen Hut bringen können, indem man einfach einmal nichts getan hätte. Und vielleicht wäre es gut gewesen, wenn die grünen Gemeinderäte sich vor der anstehenden Entscheidung die Frage gestellt hätten: Wie würde wohl „Gründungsvater“ Josef Beuys abstimmen?
Es ist zwar richtig, was der Bürgermeister in der besagten Gemeinderatssitzung äußerte: Die Anlage störe da draußen niemanden. Richtig aber nur für jemanden, der die Mehrheit vertritt und Mehrheiten organisieren muss. Für den „Niemand“, der die Folgen der ohne dringende Veranlassung getroffenen Entscheidung tragen muss – den Wertverlust seiner Immobilie, den Lärm, den Abrieb von den Rotorblättern –, sieht die Sache anders aus.
Karlheinz Böhler, Gerstetten