Hat ein 28-Jähriger in Gerstetten seine Partnerin verprügelt und gewürgt?
Es ist eine zutiefst erschütternde Familientragödie, die sich da vor dem Heidenheimer Amtsgericht auftat. Seit vielen Jahren schon führt ein Paar eine toxische Beziehung, in der psychische und physische Gewalt offenbar alltäglich sind. Ein Leben, das vor allem auch den Alltag der drei Kinder prägt und tiefe Spuren hinterlässt. Die älteste Tochter ist elf Jahre alt und lebt derzeit in einer psychiatrischen Einrichtung.
Der 28-jährige Mann ist wegen Körperverletzung angeklagt. Anfang Juli vergangenen Jahres habe er im Streit seine Lebenspartnerin verprügelt, gewürgt und ihr mit einer Lampe auf den Kopf geschlagen. Der Angeklagte bestreitet diesen Vorwurf, vielmehr habe sich die Frau die Verletzungen selbst zugefügt, behauptet er. Schon mehrfach habe ihn die Frau zu Unrecht angezeigt.
Die On- und Off-Beziehung des Paares läuft schon seit mehr als zehn Jahren. Mal lebte das Paar bei den Eltern der Frau, mal bei seinen Eltern, trennte sich und kam dann doch wieder zusammen. 2014 kam die zweite Tochter zur Welt, das genaue Geburtsdatum kann der Angeklagte nicht nennen, auch nicht von der Kleinsten.
Anfang 2021 hatte das Paar nach einem Jahr Beziehungspause wieder zueinander gefunden und zog vorübergehend bei den Eltern des Angeklagten in Laupheim ein. Wenige Monate später dann ein Umzug nach Gerstetten, wo der Bruder des Angeklagten mit seiner Lebensgefährtin und damals drei Kindern in einem Reihenhaus lebte. Die Begründung des Angeklagten für den Umzug: Es habe Stress mit den Eltern gegeben und Probleme mit dem „Schuleintrittsdatum“. Laut Aussagen der Partnerin des Bruders, habe sie angeboten, dass die Familie vorübergehend bei ihnen wohnen könne, weil eine Inobhutnahme der Kinder durch das Jugendamt im Raum gestanden habe.
Küche des Gerstetter Reihenhauses durfte nur mit Erlaubnis betreten werden
Die Wohnverhältnisse in Gerstetten waren mit neun Personen und drei Schlafzimmern beengt und Stress war an der Tagesordnung. Das Opfer berichtete als Zeugin, dass sie permanent kontrolliert worden sei, sie selbst und auch die beiden älteren Töchter immer wieder geschlagen wurden, sie keinen Kontakt zu ihrer Schwester haben durfte und Geld nur spärlich zugeteilt bekam. Die Küche des Hauses hätten sie und ihre Kinder nur nach ausdrücklicher Erlaubnis des Bruders betreten dürfen.
Von Schlägen wollen sowohl der Bruder als auch seine Lebensgefährtin nichts mitbekommen haben. Streit habe es zwar ständig gegeben, wegen der Kinder und wegen Geld und weil sie nicht gemacht habe, “was halt 'ne Frau normal macht“, so der Bruder. Zu körperlichen Auseinandersetzungen sei es aber nicht gekommen. Auch der Angeklagte beteuert immer wieder, dass es keine Gewalt gegeben habe.
In der Vergangenheit scheint das aber immer wieder Thema gewesen zu sein. Im Prozess wurden Strafbefehle wegen Körperverletzung erwähnt und 2018 hatte die Partnerin ein Annäherungsverbot erwirkt, gegen das der Angeklagte wohl verstoßen hatte. Er selbst sagte aus, seine beiden Töchter einmal geohrfeigt zu haben, und daraufhin eine Therapie gemacht zu haben.
Der Bruder und seine Partnerin bestätigen als Zeugen, dass die Küche tabu für die Mitbewohnerin gewesen sei, allerdings nicht für deren Kinder. Sowas würde sie als Mutter von inzwischen fünf Kindern nicht machen, betonte die Zeugin. Sie gab zu, dass Geld, das die „Schwägerin“ vom Jobcenter bezogen habe, nicht auf deren Konto, sondern auf ihr Konto geflossen ist. Schließlich habe die ganze Familie kostenlos bei ihr gewohnt. Der Angeklagte hatte dagegen behauptet, dass das Geld auf das Konto der Partnerin gegangen sei und sie freien Zugang dazu gehabt habe.
Zum Zeitpunkt des Vorfalls Anfang Juli 2022, um den es jetzt in der Verhandlung ging, war die Partnerin des Bruders laut ihrer Aussage mit dem Hund spazieren. Auf die Frage von Richter Dr. Christoph Edler, ob sie anschließend Verletzungen an der Frau gesehen habe, gab sie an, dass sie „nicht darauf geachtet“ habe. Auch der Bruder des Angeklagten will keine Verletzungen gesehen haben. Sein Bruder sei gar nicht im oberen Stock gewesen, wohin sich die Frau zurückgezogen hatte. Nach einem Streit der beiden habe er ihn mit nach draußen genommen.
Insgesamt zeichnete der Mann ein äußerst negatives Bild der Partnerin seines Bruders. Sie habe mit Absicht viele Sachen kaputt gemacht, die Toilette verstopft und er unterstellte ihr sogar Exkremente in einem Zimmer.
Früherer Vorfall: Baby verloren wegen eines Tritts in den Bauch?
Dem Opfer ist als Nebenklägerin Rechtsanwältin Deniz Kocakaplan zur Seite gestellt, weil sie, aufgrund einer Lernschwäche, ihre eigenen Interessen vor Gericht nicht in ausreichendem Maß vertreten kann. Die Anwältin äußerte den Verdacht, dass versucht werde ihre Mandantin als Minderbemittelte darzustellen, die sich selbst die Verletzungen beigebracht habe.
Die Anwältin fragte den Angeklagten nach einem Vorfall während einer früheren Schwangerschaft. Laut ihrer Mandantin hatte sie das Kind verloren, weil ihr Partner sie in den Bauch getreten habe. Das wies der Angeklagte von sich.
Auch zum Zeitpunkt des Vorfalles im Juli in Gerstetten war die 33-Jährige wieder schwanger. Am Tag nach der jetzt angeklagten Körperverletzung war sie von ihren Eltern abgeholt worden und hatte auch einen Hausarzt konsultiert, weil sie Angst um ihr Baby gehabt habe. Der Arzt attestierte eine Schwellung am Schädel der Frau, Hämatome an den Oberarmen, Kratzspuren am Rücken und im Gesicht, sowie eine Schwellung im Gesicht. Auch die Polizeibeamtin, die die Anzeige aufgenommen hat, hatte die Verletzungen gesehen.
Richter Dr. Edler stellte die Frage, die sich wohl jedem aufdrängt: „Sie sagen, Sie haben schwere Gewalt erlebt, auch gegen die Kinder. Warum versucht man es immer wieder?“ Der Angeklagte habe ihr immer wieder versprochen, dass es nicht wieder vorkomme, versuchte die Frau zu erklären. Ihre Schwester sprach von einer „Hassliebe“ und der Angeklagte selbst behauptete, er habe sich wegen der Kinder immer wieder von der Frau „einlullen“ lassen. Die Hauptverhandlung wurde schließlich unterbrochen, weil das Gericht eine Familienhelferin als Zeugin hören will, die man bisher nicht erreichen konnte. Sie hatte die Familie über einen längeren Zeitraum begleitet.
Undurchsichtige Rolle der Familienhelferin
Zweimal die Woche war die Familienhelferin in der Familie und hatte deshalb Einblick in die Verhältnisse der Familie. Sie soll nun in einer Fortsetzungsverhandlung gehört werden. Der Angeklagte sagte aus, dass er sich mit der Frau sehr gut verstanden habe und auch privat getroffen habe.
In der Vernehmung durch die Polizei habe die Familienhelferin angegeben, dass die Kinder auf sie einen normalen Eindruck gemach hätten, berichtete eine Beamtin als Zeugin. Vom Vater komme mehr zurück, die Mutter würde aufgrund niedriger Intelligenz nichts hinkriegen. Außerdem glaube sie, dass die Mutter Gewalterfahrungen habe, die sie aber auch gut für sich zu nutzen wisse. Auf die Frage von Richter Dr. Edler, ob sie das Gefühl hatte, dass bei der Familienhelferin eine Tendenz bestehe, bestätigte die Polizistin den Eindruck, dass diese eher die Seite des Mannes im Blick habe.