Die Frage in der Überschrift dieses Textes kann noch nicht beantwortet werden. Aber neue Windkraftanlagen könnten theoretisch näher an Siedlungsgebiete am Gerstetter Gewann Steinhaus heranrücken. Hintergrund ist die Teilfortschreibung des Regionalplans Ostwürttemberg für Windenergie. Im Rahmen einer Selbstverpflichtung hat der Verband einen Mindestabstand zwischen Wohnbebauung und dem Standort einer Windkraftanlage auf 1000 Meter festgeschrieben. Die 1000 Meter Abstand sind in anderen Regionen aber nicht in Stein gemeißelt und das gilt auch für den Kreis Heidenheim.
Auf freiwilliger Basis können Kommunen entscheiden, für bestimmte Gebiete den Mindestabstand auf 750 Meter zu reduzieren, erläuterte Bauverwaltungsamtsleiter Hannes Bewersdorff in der Gemeinderatssitzung am Dienstag. „Der Regionalverband stellt das den Kommunen frei, weil die besser wissen, wo Windenergie auf ihren Gemarkungen sinnvoll ist.“ Und so hat der Regionalverband in seiner Teilfortschreibung des Plans für Windenergie 30 neue Vorranggebiete in der Region aufgelistet, die für Windkraftanlagen auch unter dieser neuen Prämisse infrage kommen könnten.
Nördlich von Gerstetten und westlich von Erpfenhausen
1000 Meter oder 750 Meter – darüber wurde nun am Dienstag nicht ohne Emotionen im Gemeinderat diskutiert. Hauptsächlich ging es um eine Fläche von 24 Hektar im Gewann Steinhaus – nördlich von Gerstetten und westlich von Erpfenhausen. Und die mindestens 750 Meter Abstand würden nicht für die Wohnbebauung gelten, sondern sollen für Einzelgehöfte und Einzelgebäude im Außenbereich möglich sein. Betroffen wären die Adressen Heutenburg 5, Mäderhaus 1 und 2 sowie Erpfenhausen 2 und 3.
Sigrun Nagel (Grüne) stand der Option auf eine Verringerung des Abstandes positiv gegenüber. „Wir haben im Gemeinderat entschieden, dass wir keine Freiflächen-Photovoltaik auf dem Gemeindegebiet haben wollen. Und das heißt im Umkehrschluss, dass wir auf Windkraft setzen müssen und auch wollen.“ Für Anwohner sah sie in diesem Gebiet keinen Härtefall.
Silke Schock (KWG) positionierte sich anders. „Ich bin nicht gegen Windkraft, aber die Anlagen werden immer größer.“ Eine Verringerung des Abstandes käme daher für sie nicht infrage. Dazu Bewersdorff: „Es stimmt, dass die Anlagen in den vergangenen Jahren immer größer wurden, aber zuletzt pendelt sich das auf einer Nabenhöhe zwischen 150 und 175 Metern ein.“ Und so werde das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch bleiben. Bürgermeister Polaschek ergänzte: „Von den großen Anlagen bringt jede einzelne achtmal mehr als eine der kleinen Anlagen. Ich halte es für sinnvoller, zwei oder drei Große an geeigneter Stelle aufzustellen, von denen es in Gerstetten nicht mehr viele gibt.“
Die Gemeinde Gerstetten könnte wirtschaftlich profitieren
Für Polaschek eignet sich das Gewann aus mehrerlei Gründen: „Es stört dort wirklich niemanden und die vorgesehenen Grundstücke gehören der Gemeinde.“ Damit könne man wirtschaftlich durch Pachtverträge profitieren und man habe Mitspracherecht. Anders als im Waldgebiet Teichhau in Dettingen, wo ein privater Investor aus Freiburg die Errichtung von sechs Anlagen plant. „Das findet einfach ohne uns statt.“ Zudem ließen sich die Pläne leichter und für die Gemeinde günstiger vorantreiben, weil die weitere Ausarbeitung vom Regionalverband übernommen werde. Zudem wolle und müsse man als große Flächengemeinde zu mehr als 100 Prozent energieautark werden.
„Wir wollen die Anlagen nicht mit Gewalt näher an die Bürger heranbauen“, sagte Sebastian Jäger (Grüne). Aber auch er sah den Vorteil, der gemeindeeigenen Flächen. „So können wir selbst entscheiden.“ Und das spüle nicht nur Geld in den Haushalt, sondern es könnten auch Bürgerinnen und Bürger direkt profitieren. Wie etwa in Gnannenweiler, wo ein Bürgerwindkraftwerk schon seit 2009 in Betrieb ist.
Die Sache mit dem Infraschall
„Kein Freund“ der Verringerung ist Elisabeth Dauner (FWV). „Auch wenn Windkraft umweltfreundlich ist, es gibt Leute, die reagieren auf Infraschall empfindlich und auch ängstlich. Und ich kann das verstehen.“ Deshalb werde sie nicht zustimmen. Bewersdorff ergänzte zum Thema Schall: „Da der Wind an dieser Stelle hauptsächlich aus Westen kommt, wird der Schall von der Bebauung weggetragen.“ Auch deshalb sei das Gebiet gut geeignet. „Was, aber wenn der Wind dreht und mal aus dem Osten kommt“, wollte Simon Illenberger (ÖDP) wissen. Für diesen Fall werde die Schallausbreitung überprüft und die Windräder dann auch abgeschaltet, so der Bauverwaltungsamtsleiter weiter.
Werner Häcker (FWV) ist selbst Mitglied im Regionalverband Ostwürttemberg. „Und ich habe für die 1000 Meter Abstand gekämpft“, führte er aus. Mit den Rotoren sei eine moderne Anlage 260 Meter hoch. „Wenn die umfällt, landet sie 180 Meter von meinem Haus entfernt.“ An den 1000 Metern wolle er nicht rütteln. Nach der leidenschaftlich geführten Diskussion folgte die knappe Abstimmung: Zwölf Ratsmitglieder stimmten für die mögliche Verringerung des Abstandes im Gewann Steinhaus, elf mit Nein.
Aber: Wirklich entschieden ist damit noch nichts. „Diese 30 Vorrangflächen sind nur Vorschläge des Regionalverbands“, machte Bewersdorff klar. Es sei weder gewiss, ob sich die Fläche tatsächlich eigne, noch dass der Mindestabstand auf 750 Meter verringert werde. „Das wäre nur im schlimmsten Fall so. Es kann auch auf 800 oder 900 Meter hinauslaufen.“ Das „Ja“ im Rat bedeute nur, dass die Flächen in der Planung weiter im Rennen bleiben und weiter geprüft werden. „Der Gemeinderat behält bei allem den Hut auf.“
Noch mehr Vorrangflächen rund um Gerstetten
Auch das Gussenstadter Gewann Mittloh zählt zu den vom Regionalverband ausgearbeiteten Vorranggebieten. Im Hinblick auf Überlastungsschutz hatte der Ortschaftsrat jedoch einen Tag vor der Gemeinderatssitzung gegen eine mögliche Verringerung des Mindestabstands auf 750 Meter zur Wohnbebauung in Gussenstadts Nordosten gestimmt. Möglich sollen weitere Windkraftanlagen aber im Nordwesten sein.