Leserbrief

Strafexpedition in Gerstetten

Leserbrief zu einem in Gerstetten ausgestellten Strafzettel:

Am 8. Februar war ich um genau 7.59 Uhr bei Dunkelheit und strömendem Regen auf dem Weg zu meiner Arbeitsstätte. Eine dringliche Angelegenheit erforderte die Abholung von drei ärztlichen Verordnungen aus einer Praxis in der Karlstraße für unsere Hausbesuchspatienten. Dies ist ein wiederkehrender Bedarf, der mitunter mehrfach am Tag entsteht. Als kostenloser Service wird dies für jene Patienten geleistet, die nicht mehr eigenständig ihre Rezepte anfordern und abholen können. Bedauerlicherweise war, wie so oft, kein freier Parkplatz verfügbar. Infolgedessen stellte ich mein Fahrzeug teilweise auf den Gehweg gegenüber der Praxis, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich niemanden behindere. Zu diesem Zeitpunkt waren keine Fußgänger, Schulkinder, Rollstuhlfahrer, Rollator-Nutzer oder Eltern mit Kinderwagen in Sicht. Um 8.05 Uhr verließ ich die Praxis. Erst später bemerkte ich einen aufgeweichten rosa Zettel hinter der Windschutzscheibe, der auf ein Fehlverhalten hinwies. Sofort kontaktierte ich die örtlichen Behörden, um die Angelegenheit zu klären. Eine schriftliche Eingabe meinerseits blieb unbeantwortet, stattdessen erhielt ich einige Tage später einen Bußgeldbescheid. Die darin erhobenen Vorwürfe des verbotswidrigen Parkens auf dem Gehweg sowie im eingeschränkten Halteverbot sind unbestritten, doch möchte ich die Verhältnismäßigkeit der auf mich zukommenden Strafe von 98,50 Euro und eines Punktes in Flensburg (der erste nach über 40-jähriger Fahrpraxis) hinterfragen. Während der sechs Minuten, die mein Fahrzeug in besagter Position verweilte, habe ich niemanden behindert, geschädigt oder gar verletzt. Daher erscheint mir die verhängte Strafe übertrieben und unverhältnismäßig. Des Weiteren möchte ich auf die fehlende angemessene Kommunikation hinweisen. Ein respektvoller und freundlicher Umgang sowie die Anwendung von Ermessen hätten in diesem Fall sicherlich zu einer konstruktiveren Lösung geführt. Es ist bedauerlich zu sehen, dass solch grundlegende Prinzipien nicht eingehalten wurden. Es scheint, als hätte Gerstetten einen „Parkplatz-Sheriff“, der eher an einer Strafexpedition als an der Förderung eines respektvollen Miteinanders interessiert ist. Wo ist die Menschlichkeit geblieben? Wo ist die Kunst der Verständigung? In einer Welt, in der selbst das sechsminütige Parken auf Gehwegen zur Straftat wird, erhebt sich die Frage: Ist es nicht an der Zeit, die Verhältnismäßigkeit und den Sinn für Gemeinschaft wiederherzustellen? In diesem Zusammenhang plädiere ich für eine Überprüfung der aktuellen Praktiken und eine verstärkte Schulung der zuständigen Mitarbeiter im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation und des Ermessensspielraums. Eine sachgerechte und faire Behandlung der Bürgerinnen und Bürger sollte stets im Mittelpunkt stehen.
Rosemarie Spohn, Steinheim