Das im Frühjahr in der Ortsmitte entdeckte und inzwischen ausgewertete Grab eines Mannes aus der frühalamannischen Zeit erweitert die uns bekannte Geschichte Gerstettens bis ins früheste Mittelalter. Zwar wurden im Umfeld des Ortes teils Funde aus römischer Zeit gemacht, von einer Besiedlung des Kernorts ging man aber erst ab der Zeit der Merowinger zwischen 500 und 700 n. Chr. aus.
Wie das Regierungspräsidium Stuttgart nun mitteilte, wurde eine Rippe des in Gerstetten begrabenen Mannes direkt von der Grabung aus ins Labor nach Mannheim geschickt. Mittels Radiokarbondatierung konnte festgestellt werden, dass der Mann zwischen den Jahren 263 und 342 nach Christus verstorben sein muss. Zum Zeitpunkt des Todes war er ungefähr 60 Jahre alt.
Die Holzkammer, in der er gefunden wurde, wies eine recht aufwändige Konstruktion auf und war, typisch für den angenommenen Zeithorizont, auch durch die einzelne Lage besonders herausgestellt, so das Regierungspräsidium. Von den Grabbeigaben waren mehrere Keramikgefäße, ein kleiner Kamm, sowie ein hochwertiger Glasbecher – wohl aus römischer Herstellung – erhalten.
Ursprünglich könnten noch mehr Beigaben im Grab gewesen sein, das nimmt zumindest Dr. Aline Kottmann, Gebietsreferentin für Mittelalterarchäologie am Landesdenkmalamt, an. „Wir gehen davon aus, dass viele organische Beigaben dabei waren, die sich nicht bis heute erhalten haben“, so Kottmann. Die erhaltenen Funde beschreibt sie als „herausragend“, vor allem den römischen Glasbecher. „Man könnte sich vorstellen, dass solche Gegenstände vielleicht in der Führungsschicht als Geschenk ausgetauscht wurden“, sagt Kottmann.
Der kunstvoll gearbeitete Kamm ähnle alamannischen Grabbeigaben, die in Thüringen gefunden wurden. In den Gräbern dort seien auch Kleidungsaccessoires, zum Beispiel Broschen und Spangen aus Edelmetall gefunden worden, weshalb die leitende Archäologin der Gerstetter Ausgrabung von möglicher Grabräuberei ausgegangen sei. Dafür wurde auch der Zustand des Skeletts sprechen: „Im Halsbereich ist ein Stein heruntergefallen und die Knochen im Schenkel- und Bauchbereich sind verteilt“, erklärt Kottmann. Selbst glaubt sie allerdings nicht an die Theorie, denn die Grabkammer könne ganz ohne menschliche Einwirkung eingestürzt und die Knochen könnten durch Sickerwasser bewegt worden sein.
Aber auch ohne jegliche Beigaben wäre das Gerstetter Grab ein besonderer Fund, denn laut dem Regierungspräsidium gibt es nur sehr wenige frühalamannische Gräber in Baden-Württemberg. Meist handele es sich dabei um kleine Gruppen von fünf bis zwölf Gräbern. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass in der im Süden benachbarten Fläche noch weitere Gräber zutage kommen, denn dieses Areal sei noch nicht untersucht.
Das wird sich laut Kottmann gegen Ende des Jahres ändern. Vor zwei Wochen habe die Kreisbau endgültige Planungen eingereicht, nun stehe fest, dass auch im Süden des Areals gebaut wird. Vorher dürfen aber Archäologen das Gelände untersuchen, weil von weiteren Funden auszugehen ist.
Besonders interessant findet Kottmann nicht die Aussicht auf weitere Gräber, sondern auf weitere Siedlungs- und Verhüttungsreste. Anzeichen für eine frühe Eisenproduktion in Gerstetten wurden schon bei der Grabung im Frühjahr gefunden. „Man könnte spekulieren, ob das vielleicht der Grund für die Besiedlung des Ortes war“, sagt Kottmann. Es steht also zu hoffen, dass die anstehende Ausgrabung noch mehr über die früheste Geschichte Gerstettens zutage fördert.
Germanen aus dem Norden
Die Bevölkerungsgruppe der Alamannen – auch Alemannen genannt – wird dem germanischen Kulturkreis zugeordnet. Alamannen siedelten etwa vom 3. bis 8. Jahrhundert im heutigen Südwesten Deutschlands sowie im angrenzenden Frankreich, in der Schweiz, in Liechtenstein und im österreichischen Vorarlberg. In die Region des heutigen Landkreises Heidenheim kamen die Alamannen wohl ab 260 n. Chr., als die Römer den Obergermanisch-Raetischen Limes aufgaben. Im 6. Jahrhundert wurden die Alamannen in Süddeutschland durch die benachbarten Franken unterworfen.