Nach Abschluss der Bauarbeiten

Warum Bewohner des Gerstetter Pflegezentrums jetzt mehr zahlen müssen

Seit Juli zahlen die Bewohner des Gerstetter Pflegezentrums oder deren Angehörige monatlich teils 850 Euro mehr als zuvor. Das liegt an einer Erhöhung des Investitionskostenbeitrags. Wie die Evangelische Heimstiftung den Anstieg begründet.

Die Änderung kam nicht ohne Vorwarnung, aber sie schmerzt deswegen nicht weniger: 850 Euro mehr pro Monat müssen Menschen, die sich im Gerstetter Pflegezentrums in stationärer Pflege befinden, seit Juli bezahlen. Eine empfindliche Erhöhung, die zu ohnehin schon hohen Eigenanteilen dazukommt. Grund dafür sind die inzwischen abgeschlossenen Umbau- und Sanierungsarbeiten an den Gebäuden des Pflegezentrums.

2023 wurde ein dreistöckiger Anbau im Süden des Bestandsgebäudes fertiggestellt, in der Folge konnten die Bestandszimmer renoviert werden. Ein zweiter, nördlich gelegener Anbau wurde in diesem Jahr fertiggestellt. Einen Teil der Kosten legt die Evangelische Heimstiftung, die das Pflegezentrum betreibt, nach Abschluss der Bauarbeiten nun auf die Bewohner um. Auf den Rechnungen springt der „investive Anteil“ von vormals 14 Euro pro Betreuungstag auf 42 Euro pro Betreuungstag, wirksam ab dem 1. Juli.

12,4 Millionen Euro Gesamtkosten

Auf Anfrage der Heidenheimer Zeitung erklärt Bernhard Schneider, der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, wie genau sich der Betrag zusammensetzt. Für die Berechnung gebe es klare Regeln, und das Endresultat werde vom Kommunalverband für Jugend und Soziales überprüft. Im Fall des Pflegezentrums in Gerstetten seien für Neubauten und Sanierungen inklusive dem Wert des Altbestands Gesamtkosten von rund 12,4 Millionen Euro entstanden. „Das sind bei 60 Plätzen 196.500 Euro je Platz. Davon wurden nur 157.200 Euro je Platz als förderfähige Kosten anerkannt. Die Differenz muss die Heimstiftung aus Eigenmitteln tragen“, sagt Schneider.

Aus den laufenden Kosten für Abschreibungen, Zinsen und der Instandhaltungspauschale ergeben sich laut Schneider Investitionskosten in Höhe von 888.000 Euro pro Jahr, die über den Investitionskostenanteil refinanziert werden müssen. Bei 60 Plätzen mit einer durchschnittlichen Auslastung von 96,5 Prozent würden sich die Kosten auf 21.134 Berechnungstage verteilen, für die dann je 42 Euro fällig würden. „Gegenüber dem bisherigen Betrag, der noch aus der Zeit geförderter Heime und niedriger Baukosten stammt, ist das natürlich eine enorme Steigerung“, sagt Schneider.

Bundesländer in der Pflicht

Weiter erhöhen soll sich der Investitionskostenanteil in den nächsten 30 Jahren dann nicht mehr, da dieser für den Lebenszyklus der Einrichtung kalkuliert werde, so Schneider. „Bei anderen zukünftigen Neubauten werden die Kosten in dem Umfang weiter steigen, wie sich die Baukosten und die Zinsen weiterentwickeln.“

Schuld an dieser Situation sind laut Schneider die Bundesländer. Nach Artikel 9 des 11. Sozialgesetzbuchs sei es Aufgabe der Länder, die Einsparungen der Sozialhilfeträger aus der Pflegeversicherung für die Förderung von Pflegeeinrichtungen einsetzen. „Dieser Verpflichtung kommen die Länder und Kommunen seit Jahren nicht mehr nach, auch bei uns in Baden-Württemberg.“ Gleichzeitig mit der Abschaffung der Förderung habe das Land mit der Landesheimbauverordnung auch noch die Standards deutlich erhöht. Das habe zu höheren Kosten und in Gerstetten zu der Notwendigkeit geführt, neu zu bauen und zu sanieren. „Das Land bestellt also, und die Bewohner müssen zahlen“, sagt Schneider.

Vier Millionen Pflegebedürftige

Auch Wolfgang Klook, der Kreisvorsitzende des Sozialverbands VdK, hält Änderungen vonseiten der Politik für nötig. Denn das Thema Pflege betreffe viele Menschen. Bundesweit gebe es über vier Millionen Pflegebedürftige, von denen circa 80 Prozent zu Hause gepflegt werden würden. „Bei 20 Prozent ist das nicht möglich, sei es, weil keine Angehörigen da sind, die die Pflege übernehmen können, weil die Betroffenen es selbst nicht möchten oder weil der Pflegefall derart schwerwiegend ist, dass nur noch die stationäre Pflege infrage kommt.“

Die Unterbringung im Pflegeheim werde aufgrund von steigenden Personal- und Sachkosten immer teurer, so Klook. Die gestiegenen Zuschüsse würden die Pflegeversicherung jährlich über fünf Milliarden Euro kosten, ohne, dass der Eigenanteil der Pflegehaushalte sinke. Ein monatlicher Eigenanteil im ersten Pflegejahr von bundesweit rund 2500 Euro mache den Begriff „Versicherung“ lächerlich. „Das darf nach unserer Ansicht eine Gesellschaft, die Pflege als wichtige Aufgabe schätzt, nicht hinnehmen“, sagt Klook.

Vollversicherung als Ziel

Durch die „Kostenexplosion“ werde Pflege immer mehr zu einem privaten Risiko, während die Politik sich immer weiter zurückziehe. „Die ansteigenden Eigenanteile werden unweigerlich auf den Staat zurückfallen, nämlich dann, wenn die betroffenen Menschen Sozialhilfe und damit eine steuerfinanzierte Leistung beantragen“, warnt Klook.

Deshalb sei dringend ein nachhaltiges Finanzierungskonzept für die Pflegeversicherung nötig, die sich zu einer Vollversicherung für alle pflegebedingten Kosten entwickeln müsse. „Die Pflegeversicherung muss wieder das Ziel haben, die Armut Pflegebedürftiger oder auch eine Unterversorgung zu Hause lebender Pflegebedürftiger zu verhindern“, sagt Klook. Dazu gehöre auch die Finanzierung der Investitionskosten durch die Bundesländer.

Vier Einrichtungen im Landkreis

Die Evangelische Heimstiftung betreibt das Gerstetter Pflegezentrum bereits seit dessen Bestehen im Jahr 2007. Gebäude und Grundstück gehörten allerdings lange Zeit der Gemeinde. Erst 2019 wechselte das Areal für die Summe von 1,7 Millionen Euro den Besitzer. Neben dem Pflegezentrum in Gerstetten betreibt die Evangelische Heimstiftung mit Sitz in Stuttgart mehr als 150 weitere Einrichtungen im Land. Drei davon befinden sich im Kreis Heidenheim: das Paul-Gerhard-Stift in Giengen, die Residenz Stadtwaage in Heidenheim und das Wohnstift Hansegisreute, ebenfalls in Heidenheim.

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