Hobby Horsing in Gerstetten: Warum Kinder mit Steckenpferden reiten
„Das ist meine Bella“, stellt die sechsjährige Annelie ihr Pferd vor und streichelt ihm zärtlich über den Plüschkopf. Oliwia ist acht und reitet auf Ostwind, die siebenjährige Leonie hat Dorfschönheit in der Hand. Jeden Donnerstag um 16.45 treffen sich elf Mädchen in der Halle des Reit- und Fahrvereins Gerstetten, um auf ihren Steckenpferden zu reiten. Zwar steht der Spaß beim sogenannten Hobby Horsing (Hobby Horse ist englisch für Steckenpferd) im Vordergrund, aber, so erklärt Reitlehrerin Carmen Grüninger, es ist trotzdem ein Sport und keine Spaßveranstaltung.
Das zeigt sich schnell. In der Halle ist es eisig, aber schon nach 15 Minuten Training werden die Jacken ausgezogen und die Wangen sind gerötet. Nicht von der Kälte, sondern vor Anstrengung. Es wird ja auch die meiste Zeit gehüpft. Zum Teil über Hindernisse mit bis zu einem Meter Höhe. Und das alles auf sandigem Boden. „Ich kann das nicht“, sagt Carmen Grüninger lachend.
Beim Hobby Horsing werden die Bewegungen des Pferdes imitiert. Es gibt Schritt, Trab, Galopp, es wird Dressur geritten und auch über Hindernisse gesprungen. Ausgeführt wird all das nur nicht von einem Pferd, sondern von den Reiterinnen selbst. Und, wie beim Pferd, soll es elegant aussehen und jeder Schritt präzise ausgeführt werden. „Der Mensch hat einen Fersengang“, sagt Carmen Grüninger. „Pferde setzen aber mit der Fußspitze auf und das sollen die Kinder beim Training auch.“ Die 56-Jährige ist seit mehr als 35 Jahren Reitlehrerin und weiß, worauf es ankommt. Auch auf die Zügelführung und die Armhaltung wird im Training geachtet.
Carmen Grüninger: "Es gibt keinen Grund, Hobby Horsing zu belächeln"
Als Carmen Grüninger im vergangenen Jahr ein Youtube-Video von einem Hobby-Horsing-Turnier sah, sei sie skeptisch gewesen. „Ich fand es seltsam und dachte, dass das mit dem eigentlichen Reitsport nicht zusammenpasst.“ Dann habe sie sich allerdings intensiv und ernsthaft mit dem Thema beschäftigt und auch ein Seminar besucht. Und so wurde aus der Skeptikerin eine Verfechterin. „Wenn man die Idee und den Gedanken dahinter versteht, gibt es keinen Grund, Hobby Horsing zu belächeln.“
Grundsätzlich trainiere Hobby Horsing die Körperspannung, die Haltung, die Koordination, Konzentration und die Ausdauer, so Carmen Grüninger. Aber welche Idee steckt noch dahinter? „Man bekommt ein Gefühl fürs Reiten und legt den Grundstein dafür.“ Auf spielerische Art und Weise lerne man die Reihenfolge der Hindernisse im Parcours, die Hufschlagfiguren, also die festgelegten Lauflinien für Pferde in der Dressur und nicht zuletzt die Kommandos. Und davon gibt es einige. „Abteilung Trab, rechtsum, Marsch!“, hallt es durch die Halle. „Fliegender Wechsel und linke Hand; Volte rechts, Marsch, trennen bei C, auf Mittellinie einwenden.“
Der neue Trend stammt aus Finnland
Hobby Horsing kommt ursprünglich aus Finnland, wird auch von Erwachsenen betrieben, und erfreut sich mittlerweile in Deutschland immer größerer Beliebtheit. Gerstetten ist Vorreiter in der Region. „Es tut sich viel“, sagt Carmen Grüninger. Auch andere Vereine kämen auf sie zu, um sich zu informieren. In ganz Deutschland finden regelmäßig Hobby-Horsing-Turniere statt, an denen die Gerstetter Reiterinnen bereits teilgenommen haben und auch erste und zweite Plätze ergattern konnten.
Dass es den Kindern großen Spaß macht, sieht und hört man nicht nur, sondern das bestätigen auch die anwesenden Mamas. „Aria ist auf einem Steckenpferd geritten, seit sie laufen konnte“, sagt Denise Barth. „Sie hat selbst Hindernisse im Garten aufgebaut. Als Hobby Horsing dann hier als Teil des Ferienprogramms angeboten wurde, war sie gleich Feuer und Flamme.“ Aria reitet auch auf echten Pferden. „Und durch das Training hier tut sie sich viel leichter. Das bringt definitiv etwas.“
Und wie sind die Reaktionen aus dem Umfeld auf den ungewöhnlichen Sport? „Es kam schon vor, dass die Kinder auf einem Turnier ausgelacht wurden“, so Denise Barth. „Aber die Mädchen lernen etwas, powern sich aus und haben großen Spaß. Wie blöd kann man sein, darüber zu lachen?“ Das sieht auch eine weitere Mama, Saskia Paquet, so. Und: „Es steckt einfach viel mehr dahinter, als nur mit einem Stockpferd zu spielen.“
Und die jungen Reiterinnen? Die sind während des gesamten Training mit Feuereifer bei der Sache und haben selbst nach eineinhalb Stunden nicht genug. Noch immer geht es im Linksgalopp über Hindernisse und fliegende Galoppwechsel werden geübt. „Man muss sie fast aus der Halle raustragen“, freut sich Carmen Grüninger.