„Der Herbst ist immer unsere beste Zeit.“ Dieses Zitat aus einem Brief von Goethe verwendete Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer bei der Evangelischen Heimstiftung, in seiner Rede bei der Einweihung des sanierten und erweiterten Pflegezentrums an der Goethestraße in Gerstetten. Damit bezog er sich nicht nur auf die tatsächliche Jahreszeit: „Herbst haben wir heute auch, weil wir ernten dürfen, was wir vor Jahren gesät haben“, so Schneider. Genauer gesagt im Jahr 2019, als die Evangelische Heimstiftung Gebäude und Grundstück des Pflegeheims von der Gemeinde Gerstetten kaufte, mit der Intention, das Heim konzeptionell und baulich weiterzuentwickeln.
Der Baubeginn folgte dann 2022 – und fiel damit mit dem Start des Ukrainekriegs zusammen, bekanntlich eine schwere Zeit für die Baubranche. „Es ist leider so, dass wir in eine Phase gekommen sind, in der die Baukosten und Zinsen enorm gestiegen sind“, sagte Schneider. Am Ende musste die Heimstiftung 15 Millionen Euro in das Bauvorhaben investieren.
Ein Teil dieser Kosten bezahlen nun die Bewohnerinnen und Bewohner des Heims über den sogenannten Investitionskostenbeitrag, ein Sachverhalt, den Schneider bei seiner Rede nicht verschweigen wollte. „Ich weiß, dass das eine Zumutung ist, aber es gibt keine Alternative, als in die Pflegeinfrastruktur zu investieren“, sagte Schneider mit Hinweis auf die immer älter werdende Bevölkerung in Deutschland. Früher hätte es für solche Bauvorhaben noch Förderung durch Land und Kommunen gegeben.
Kosten wurden früher noch gefördert
So seien zum Beispiel die Kosten für das erste Gebäude des Pflegeheims an der Goethestraße, das 2007 fertiggestellt wurde, zu 60 Prozent gefördert worden. Die Evangelische Heimstiftung werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass neue Fördermöglichkeiten geschaffen werden, damit die Höhe der Beiträge, die durch die Bewohner zu zahlen sind, begrenzt werden kann.
Mit der großen Investition konnte das Heim grundlegend verändert werden: Statt 35 Einzelzimmern stehen nun 60 zur Verfügung, welche in einer modernen Wohngruppenstruktur organisiert sind. Das bestehende Gebäude wurden generalsaniert, und es wurden 14 betreute Wohnungen mit Alltagsbegleitung geschaffen. „Am Ende bleibt der Dank für ein neues und schönes Zuhause für die Bewohnerinnen und Bewohner“, so Schneider. Zudem hätten die Pflegekräfte einen schönen und modernen Arbeitsplatz gewonnen.
Für all diese Menschen war es wohl nicht einfach, auf einer Baustelle zu leben und zu arbeiten. Das berichtetet auch Hausdirektorin Anja Fuchs: Zwischen „räumlichen Einschränkungen, Baulärm und Schmutz“ sei es nicht immer schön gewesen. „Immer wieder musste man sich auf alles neu einstellen“, so Fuchs. Mit dem Ergebnis ist die Hausdirektorin aber zufrieden: „Man hat von Anfang an gespürt, dass das Pflegezentrum Gerstetten etwas sehr Familiäres hat. Das ist nach dem Umbau immer noch so.“ Durch die neuen Wohngruppen könne das Gemeinschaftsgefühl sogar noch gestärkt werden.
Wenn es bei den ursprünglichen Plänen geblieben wäre, hätten die Bauarbeiten noch ein weiteres Jahr angedauert. Axel Nething, Geschäftsführer des für die Planung zuständigen Architekturbüros Nething lobte die Entscheidung, aus vier Bauabschnitten drei zu machen und so ein Jahr zu sparen. Jetzt freue er sich darüber, das Gebäude in Betrieb zu sehen. „Wir arbeiten für den Moment, in dem die Menschen die Tür öffnen und das Haus mit Leben füllen“, so Nething.
Frank Bechle, Geschäftsführer des ausführenden Bauunternehmens F. K. Systembau, erinnerte daran, dass seine Firma bereits ab 2005 am Bau des ersten Gebäudeteils beteiligt war und man sich deshalb auch für die erneuten Bauarbeiten beworben habe. Auch er zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis: „Es freut uns, wenn wir etwas umgesetzt haben, das allen gefällt.“
Pläne gehen trotz Schwierigkeiten auf
Gerstettens Bürgermeister Roland Polaschek betonte in seiner Rede, dass der Gemeinderat das Thema Pflege früh als wichtig erkannt hatte, deshalb den Bau des ursprünglichen Gebäudes bewilligt und später die Erweiterungspläne der Evangelischen Heimstiftung begrüßt habe. Er erinnerte auch an manche Schwierigkeiten, zum Beispiel die Unterschriftensammlung gegen das Vorhaben oder die höheren Standards, die beim Umbau angewendet wurden und welche laut Polaschek die Kosten in die Höhe getrieben hatten.
Zudem kritisierte er die fehlende Förderung für das Bauprojekt: „Das Land Baden-Württemberg hat sich aus seinen Verpflichtungen zurückgezogen“, sagte Polaschek, er könne den Unmut der Bewohner über den hohen Kostenanteil verstehen. Trotzdem wolle er sich mit allen anderen freuen, dass es weiterhin ein Pflegeheim in Gerstetten und für Gerstetter Bürgerinnen und Bürger geben werde.
Wohngruppenkonzept und Aladien-System
Die 60 Einzelzimmer des Gerstetter Pflegezentrums werden nach dem Wohngruppenkonzept der Evangelischen Heimstiftung betrieben, was bedeutet, dass jeweils 15 Zimmer zu einer Wohngruppe zusammengefasst werden und sich eine Küche mit Aufenthalts- und Wohnbereich teilen. Dadurch soll es möglich sein, Bewohnerinnen und Bewohner an täglichen Aufgaben wie Kochen, Tischdecken oder Backen teilhaben zu lassen.
Die 14 betreuten Wohnungen sind mit dem Aladien-System ausgestattet. Das Wort steht für „Alltagsunterstützende Systeme mit Dienstleistungen“ und wurde von der Evangelischen Heimstiftung für Menschen mit Unterstützungsbedarf entwickelt. Es wird über ein für Senioren optimiertes Tablet gesteuert, das zur Grundausstattung jeder Wohnung gehört. Je nach Bedarf können Leistungen hinzugefügt oder abgewählt werden.