Wie lebt es sich im Tiny House, Herr Keindl?
Wer ein Haus mit Dachboden hat, kennt das Problem. Wer einen Keller hat ebenso. Und alle anderen vermutlich auch. Man besitzt Dinge, die man eigentlich gar nicht bräuchte. Entweder weil man sie schon längst nicht mehr nutzt oder weil man sie doppelt und dreifach hat. Auch Martin Keindl ging es vor einigen Jahren so. „Ich habe festgestellt, dass ich sieben Rucksäcke habe“, sagt der 62-Jährige. „Dabei kann ich ja nur zwei tragen. Einen hinten und einen vorne.“ Keindl hat also ausgemistet. Und das radikal.
Von einer bewohnbaren Lagerhalle in Haunsheim zog der selbstständige Architekt in ein sogenanntes Tiny House. Ein sehr kleines Haus also, hauptsächlich in Eigenleistung gebaut, das heute im Garten von Keindls Grundstück an der Gerstetter Seestraße steht. „Ich hatte immer wieder von ,Tinys‘ gehört“, sagt Keindl. „Das wollte ich ausprobieren.“ Also ließ er sich bei einem Fahrzeugbauer für landwirtschaftliche Anhänger in Wertingen ein Fahrgestell anfertigen. Für Elektro- und Spenglerarbeiten zog er ebenfalls Profis zurate. Um den restlichen Aufbau aber kümmerte sich Keindl selbst – vom Bad über die Küche bis zum Schlafbereich.
Wohnen auf 18 Quadratmetern im Gerstetter Tiny House: Wie war die Umstellung?
Am Ende standen dem gebürtigen Münchner circa 18 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. „Sogar arbeiten kann man hier“, sagt Keindl bei der Hausbesichtigung und klappt zwei an der Wand befestigte Tischplatten aus. Ob ihm der Umzug von der geräumigen Halle ins Tiny House schwergefallen ist? Im Gegenteil: „Die Umstellung war problemlos“, beschreibt der 62-Jährige. „Und das Ausmisten war gigantisch! Ich habe alles aufs Wesentliche reduziert.“
Keindls Eindruck: Außenstehende begegnen seinem minimalistischen Lebensstil eher mit Neugierde als mit Skepsis. Sowohl in seinem privaten Umfeld als auch in der Gerstetter Nachbarschaft zeigten sich viele interessiert an seinem Tiny House. „Am Anfang kamen plötzlich ganz viele Radler und Fußgänger vorbei“, sagt Keindl und lacht. Und als Vagabund abgestempelt worden sei er auch nicht. Zwar lässt sich das Tiny House mit seinem auf 3,5 Tonnen ausgelegten Fahrgestell mit einem normalen Pkw ziehen. Bei 16 Metern Länge und einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40 km/h würde ein regelmäßiger Umzug aber wohl keinen Spaß bereiten.
Das sah hier aus, als wäre jemand 1950 in den Urlaub gefahren und nie wieder zurückgekommen.
Martin Keindl, Architekt
Nach rund eineinhalb Jahren im Tiny House wohnt der Architekt inzwischen wieder auf circa 30 Quadratmetern – immer noch klein, aber doch eine Nummer größer. Auf Keindls Grundstück bietet sich das an. Das dortige Hauptgebäude verfügt über einen Anbau, den der 62-Jährige ebenfalls in viel Eigenleistung wieder bewohnbar gemacht hat. „Das sah hier aus, als wäre jemand 1950 in den Urlaub gefahren und nie wieder zurückgekommen“, sagt Keindl. „In der Kittelschürze waren sogar noch Tempos.“
Viel Holz, ein hohes Maß an Zweckmäßigkeit, wenig Krimskrams: Martin Keindl ist seinem Stil treu geblieben
Heute erinnert allenfalls eine alte Fotografie am Treppenaufgang an die Vergangenheit des Anwesens. Das Erdgeschoss teilen sich Küche, Wohnbereich und Badezimmer. Im oberen Stockwerk mit seinen Dachschrägen sind Schreibtisch und Bett untergebracht. Seinem Tiny-House-Stil ist Keindl auch in seinem größeren kleinen Zuhause treu geblieben: viel Holz, ein hohes Maß an Zweckmäßigkeit, wenig Krimskrams. Keindls Kredo: „Wenn ich was Neues kaufe, schmeiße ich was Altes weg“ – selbst 30 Quadratmeter wirken da geräumig.
Aktuell renoviert der 62-Jährige das Haupthaus. Folgt also bald der nächste Umzug? Keindl schmunzelt und verneint. „Die 30 Quadratmeter sind ideal für mich“, sagt er. Etwas geräumiger als das Tiny House und das auf zwei Etagen. „Jetzt habe ich zwei getrennte Bereiche und nicht nur einen Raum. Das macht gleich ein anderes Wohngefühl“, sagt Keindl. Das große Haus will der 62-Jährige nach abgeschlossener Renovierung wahrscheinlich vermieten. „Das dauert aber noch.“ Klar, wieder ist viel Eigenleistung angesagt.
Seestraße in Gerstetten: Was passiert jetzt mit dem unbewohnten Tiny House?
Und das Tiny House? Da dürfen aktuell Keindls Übernachtungsgäste schlafen. Praktisch ist das schon. Über kurz oder lang will der Architekt das kleine mobile Häuschen aber verkaufen. „Das ist ja so ähnlich wie mit den sieben Rucksäcken“, sagt Keindl. „Man kann nicht in zwei Häusern wohnen.“ Wo er recht hat…
Besondere Wohnformen gesucht
Wie lebt es sich auf einem Aussiedlerhof? Welche Besonderheiten bietet die Gemeinschaft in einer WG? Stößt man bei der Renovierung eines denkmalgeschützten Hauses eigentlich ständig an Verbote? In loser Serie soll in der Heidenheimer Zeitung über verschiedene Wohnformen berichtet werden. Interesse? Anregungen, Ideen und Tipps gerne per E-Mail an laura.strahl@hz.de