Eigentlich sollte es am späten Abend im April letzten Jahres nur ein kurzer Stopp an der Shell-Tankstelle in Giengen werden, stattdessen artete es in einer üblen Schlägerei aus. Jetzt musste sich ein 28-Jähriger aus Essen dafür vor dem Heidenheimer Amtsgericht verantworten. Er kam mit der Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Tankstellen-Kassierer davon. Ein Stück weit kam ihm dabei sicher zugute, dass alle Beteiligten das Ziel hatten, das Verfahren zum Abschluss zu bringen.
Das wäre fast gescheitert, weil eine wichtige Zeugin nicht zur Verhandlung erschien. Auch die von Richter Jens Pfrommer losgeschickte Polizeistreife konnte die Frau nicht finden. Sie war unmittelbar vor der Schlägerei mit dem Angeklagten und dessen Arbeitskollegen in der Tankstelle aneinandergeraten. Offenbar hatte sie sich darüber geärgert, dass die beiden Männer ihr Auto so ungünstig parkten, dass dadurch ihr Fahrzeug blockiert wurde. Ihren Unmut tat die Frau wohl mit einer provozierenden Bemerkung kund. Der Kollege des Angeklagten geriet daraufhin mit der Frau in ein Streitgespräch, in das sich der Kassierer einmischte und die beiden Männer, die schon gezahlt hatten, zum Gehen aufforderte. Von da ab unterschied sich die Wahrnehmung des Angeklagten und des Tankstellen-Angestellten, der als Zeuge und Nebenkläger auftrat, gewaltig.
Angeklagter fühlte sich rassistisch beleidigt
Der Angeklagte berichtete, dass die Situation eskaliert sei, weil er sich vom Kassierer schlimm rassistisch beleidigt gefühlt habe. Nach einer langen Nachtschicht sei er zudem reizbar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war der 28-Jährige schon fast an der Tür, doch anstatt zu gehen, kam er zurück und schmetterte die eben gekaufte Plastik-Wasserflasche in Richtung des hinter dem Tresen stehenden Kassierers. Alles, was danach passierte, bezeichnete der Angeklagte als „Notwehr“. Er sei davon ausgegangen, dass sein Kontrahent ihn angreifen werde, erklärte er. Sein Mandant habe sich die Glasflasche aus einem Regal gegriffen, um sich „zu verteidigen“, bestätigte auch sein Rechtsanwalt. „Ich habe gezielt geblockt, er hat gezielt angegriffen“, beschrieb der Angeklagte die Situation aus seiner Sicht. Doch die Glasflasche landete unstrittig auf dem Kopf des Kassierers, der durch die Attacke eine Platzwunde, ein blaues Auge und einen abgebrochenen Schneidezahn erlitt.
Das 46-jährige Opfer gab vor Gericht an, dass er die beiden Männer mehrfach aufgefordert habe zu gehen, als der Kollege des Angeklagten sich mit der Kundin gestritten habe. „Wir wollen hier keinen Stress, geht doch einfach“, habe er ihnen gesagt. Nachdem die Plastikflasche geflogen sei, sei er um den Tresen herumgegangen, um den Angeklagten „nach draußen zu befördern“. Da sei dieser mit der Glasflasche auf ihn los.
Staatsanwalt: Video mit Interpretationsspielraum
Wie sich das Ganze tatsächlich abgespielt hatte, konnten sich die Prozessbeteiligten auf einem Video aus unterschiedlichen Perspektiven anschauen. Einen Ton gab es aber nicht dazu. Und das Video ließ Interpretationsspielraum, wie Oberstaatsanwalt Oliver Knopp einräumte. Er habe das Verfahren zunächst eingestellt, aufgrund des Widerspruchs der Nebenklagevertreterin aber wieder aufgenommen und sich das Video genauer angesehen. Alles in allem kam er zu der Ansicht, dass der Angeklagte nicht aus Notwehr gehandelt habe und der Tankstellen-Angestellte von seinem Hausrecht Gebrauch machte. Provozierende Handzeichen, die der Angeklagte auf dem Video gegen den Kassierer richte, würden für ihn aussehen, als ob er den Mann auffordere: „Ja, komm“. Wenn man keine Auseinandersetzung haben möchte, würde man so aber nicht handeln. Der Kassierer hingegen, versuche den Angeklagten nach draußen zu schieben.
Weitere wichtige Erkenntnisse hatte sich der Staatsanwalt von der Zeugin erhofft. Hätte man diese aber noch vernehmen wollen, wäre vermutlich ein weiterer Gerichtstermin nötig gewesen, bei dem das gesamte Verfahren nochmals hätte aufgerollt werden müssen. Ein enormer Aufwand für alle Beteiligten. Staatsanwalt Knopp ließ durchblicken, dass er sich vorstellen könne, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Er nannte als ungefähren Betrag 4000 Euro und regte an, dieses Geld dem verletzten Kassierer als Schmerzensgeld zukommen zu lassen.
Nebenklage: Angeklagter macht sich zum Opfer
Auch die Nebenklagevertreterin konnte sich diese Einigung vorstellen. Sie warf dem Angeklagten vor, sich zum Opfer machen zu wollen, aber ihr Mandant habe sich noch hinter der Theke befunden, als er sich bereits mit einer Glasflasche bewaffnet habe. Der Verteidiger sah indessen „den Angriff“ von Seiten des Kassierers nicht über das Hausrecht abgedeckt. Er forderte die Einstellung des Verfahrens gegen die Zahlung eines deutlich geringeren Betrages. Auch der Angeklagte, der in Essen wohnt, hatte durchaus Interesse daran, nicht ein zweites Mal anreisen zu müssen. Aber zahlen wollte er nur „den Mindestpreis“.
„Ich schachere nicht“, hielt Staatsanwalt Knopp entgegen und Richter Pfrommer verwies mit Blick auf Einträge des Angeklagten ins Bundeszentralregister darauf, dass bei einer möglichen Verurteilung in einem weiteren Prozess mit einer Geldstrafe nicht unter 3600 Euro zu rechnen sei. Am Ende einigte man sich darauf, dass der Angeklagte eben diesen Betrag als Schmerzensgeld bezahlt. Der Angeklagte, betonte aber, dass dies kein Schuldeingeständnis seinerseits sei.
Wenn Zeugen einfach nicht erscheinen
Weil eine wichtige Zeugin unentschuldigt nicht zum Prozess erschien, wäre der gesamte Prozess beinahe geplatzt. Das passiert vor Gericht immer häufiger, kann aber teuer zu stehen kommen. Der Richter kann in diesem Fall ein Ordnungsgeld verhängen. Wenn sogar ein Prozess deshalb neu aufgerollt werden muss, können die gesamten Kosten ebenfalls dem Zeugen auferlegt werden. In diesem Fall hatte die Frau Glück, dass nicht nachweisbar war, ob sie die Ladung wegen eines Umzugs erreicht hatte.