Mission im Ruhestand beendet

Darum ziehen die Brenders von der Plattenbauwohnung in Erfurt zurück nach Giengen

Ausruhen im Ruhestand? Für das Ehepaar Brender, die Jahrzehnte in Giengen ein Schuhgeschäft betrieben hatten, kam das nicht infrage. Sie tauschten das Haus an der Brenz gegen eine Zwei-Raum-Wohnung in Erfurt ein. Nach mehr als fünf Jahren Wirkens in einem christlichen Projekt kehren sie zurück. Mit vielen bereichernden Erfahrungen.

Darum ziehen die Brenders von der Plattenbauwohnung in Erfurt zurück nach Giengen

Die letzte Fahrt in die Wohnung im Plattenbauviertel in Erfurt, bevor die Schlüssel an die neuen Mieter weiter gegeben werden. Das letzte Mal vom Balkon aus auf den Stadtteil Roter Berg blicken, der sich deutlich vom malerischen Zentrum der thüringischen Landeshauptstadt unterscheidet: Die Giengener Renate und Hermann Brender haben ihre Mission als Teilzeit-Thüringer beendet - auf doppelte Weise erfolgreich. Sie haben anderen mit ihrem Wissen und ihrem Wirken geholfen, andererseits selbst viele bereichernde Begegnungen machen und Erfahrungen sammeln dürfen. Nach mehr als fünfeinhalb Jahren beendet das Giengener Ehepaar an diesem Wochenende mit der Abgabe der Wohnungsschlüssel das Kapitel beim Jesus-Projekt in Erfurt, das sie im Ruhestand aufgeschlagen hatten.

Nach dem mit der Weitergabe des Schuhgeschäfts an der Giengener Marktstraße beginnenden Eintritt in den Ruhestand suchten die Brenders nach neuen Aufgaben und wurden 2018 schließlich in Erfurt beim Jesus-Projekt fündig. Er war damals 68, sie 67.

Wohnungen für die Helden der Arbeit und SED-Mitglieder

Im Wohngebiet Roter Berg hatten Ende der 1980er-Jahre 16.000 Menschen eine Wohnung bekommen. "Darunter waren die eher privilegierten, die Helden der Arbeit und die SED-Mitglieder, denen die Neubauten zugewiesen wurden. Nach der Wende waren es schnell nur noch 5000 Leute. Die Jungen, die verdienen und gestalten wollten, zogen in den Westen. Die Älteren blieben zurück und zu viele davon wurden arbeitslos, weil es ihre Betriebe nicht mehr gab. Gut über die Hälfte der großen Häuser wurden abgerissen. Die stehengebliebenen konnten gedämmt und renoviert werden. Wir hatten eine Zweiraumwohnung mit kleinem Bad", sagt Hermann Brender über die Art zu wohnen und das sich von Giengens Zentrum doch sehr unterscheidende Umfeld. Drei Wochen im Monat lebten die Brenders in Erfurt, eine in Giengen.

Hermann Brender vor dem neuen Familienzentrum. Er hat sich in der Bauzeit um die Finanzierung gekümmert. Brender

Das Jesus-Projekt hatte vor fast zwanzig Jahren damit begonnen, dass sich ein geheilter Junkie Gott zur Verfügung stellen wollte. Mit seiner Frau und einem weiteren Ehepaar zog Michael Flügge an den Roten Berg. Weil die Mieten dort bezahlbar waren, wohnten unter anderem viele derer, die staatliche Unterstützung erhalten, dort. Viele Ältere fühlten sich als Wende-Verlierer. Alkoholsucht war in der Zeit, als die Brenders dort ankamen, ebenso ein großes Problem wie der Konsum von anderen Drogen.

Der Platz im Begegnungszentrum reichte nicht aus

Ein Anker für die Menschen im Stadtteil wurde das vom Jesus-Projekt geleitete Begegnungszentrum "Anders", untergebracht in einem ehemaligen Konsum. In einer Werkstatt konnten hilfsbedürftige Menschen arbeiten und Straffällige ihre Sozialstunden leisten. 2013 kam eine Kinder- und Jugendhilfe hinzu. Eigentlich war aber für all das zu wenig Platz.

"Wir Brenders kamen in der Zeit, als über Lösungen nachgedacht wurde. Eine Aufstockung wurde von den Angrenzern abgelehnt. Der Neubau in unmittelbarer Nähe war dann doch eine mögliche Alternative, die immer mehr ins Bewusstsein gerückt ist", so Brender. Der Neubau war aber ein Wagnis: Ohne verlässliche Einnahmen, mit kaum Rücklagen. Die Kosten wurden damals auf 1,9 Millionen Euro taxiert.

Als dann 2021 wirklich damit begonnen werden konnte, sind die voraussichtlichen Kosten auf 2,3 Millionen Euro geklettert. Stiftungszusagen sind eingetroffen, Spendenkampagnen initiiert worden, eine Bank war bereit, aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Spendern Darlehen zu gewähren. Und es blieb spannend. "Das wollten wir miterleben und so lange wollten wir uns zur Verfügung stellen", so Brender, der ergänzt: "Wir waren dort mit unserer Art, unserer Begabung, unserer Erfahrung, unserem Glauben. Das ist im Alter wichtiger als unser Tun. Meine Frau hat die Räume gestaltet und sich im Gespräch um die Teilnehmer gekümmert. Ich habe die Buchhaltung des wachsenden Betriebes übernommen und die finanziellen Belange des Neubaus bearbeitet, Rechnungen bezahlt, mit Behörden verhandelt, die Zahlen für den Jahresabschluss geliefert. In der Lebensgemeinschaft der Mitarbeiter konnten wir uns einbringen und haben jetzt über fünf Jahre ehrenamtlich und unseren Gaben gemäß mitgemacht."

Im neuen Familienzentrum gibt es unterschiedliche Angebote. Brender

Sie seien froh und dankbar, dass sie die Einweihung des neuen Hauses Ende Juni miterleben durften - unter der Teilnahme und mit der Wertschätzung des Ministerpräsidenten und des Oberbürgermeisters. "Nur Geld zum Bau kam nicht, nicht von der Stadt und nicht vom Staat", sagt der Giengener.

Jetzt wurden wir Brenders nach fünfeinhalb Jahren verabschiedet. Das Hin und Her sei nach und nach anstrengend geworden, die vielen Beziehungen dort und hier und die schnell gewachsene Arbeit haben sie am Ende angestrengt und das Alter erfordere eben auch Konsequenzen.

Giengen ist jetzt wieder das Zentrum für die Brenders. Wenn sie künftig sporadisch nach Erfurt fahren, dann zu Besuch. Übernachten werden sie dann im Gästezimmer im neuen Haus des Familienzentrums. Die Buchhaltung macht Hermann Brender von Giengen aus weiter, bis eine Nachfolge gefunden ist.

Eine andere Art Kirche kennen gelernt

Auf seine Art ist das Jesus-Projekt auch Gemeinde, ist auch Kirche. Eine, die unseren herkömmlichen Vorstellungen nicht entspricht. In der aber mehr gebetet wird, mehr Andachten sind, als in den Gemeinden jeglicher Konfession, die wir kennen.

Es gibt keinen Sonntagsgottesdienst und die Mitarbeiter gehen dafür sonntags zu verschiedenen landes- oder freikirchlichen Gemeinden. Dafür ist wöchentlich eine von allen Mitarbeitenden wahrgenommene Andacht mit Wort, Lied, Gebet, Abendmahl. Und es gibt den gemeinsamen Auftrag an den Menschen, die es nötig haben. Die Mitarbeiter bilden eine Gemeinschaft, die sich in Kleingruppen trifft und auch sonst miteinander lebt. „Diakonie ist damit nicht etwas neben der Gemeinde, sondern ihre Hauptaufgabe", sagt Hermann Brender

"Was ich da kennengelernt habe, ist Kirche der Zukunft", so Brender. Eine Kirche, die ihre Mitglieder nicht bediene, sondern beteilige. Eine Kirche, die einlade, anders zu leben als bisher – etwa ohne Drogen und Alkohol. Eine Kirche, die in ihre Umgebung ausstrahle.

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