Giengener Start-up

Die Carbonauten bauen jetzt eine große Fabrik in China: Was genau dahintersteckt

Die Giengener Carbonauten um Geschäftsführer Torsten Becker reduzieren Klimagase durch Karbonisierung. Weil sie in Deutschland, wie sie sagen, kaum vorankommen, verlagern sie ihre Arbeit mehr und mehr ins Ausland - zum Beispiel mit einer "Mega-Factory" in der chinesischen Stadt Chibi.

Die Carbonauten bauen jetzt eine große Fabrik in China: Was genau dahintersteckt

Auf einmal lag also dieser Vertrag auf dem Schreibtisch, dazu die Skizze der künftigen Fabrik. Torsten Becker musste eigentlich nur noch unterschreiben. "Aus Chibi war nicht mal jemand in Eberswalde, um sich dort unsere Pilotanlage anzuschauen", erzählt der Geschäftsführer der Giengener Carbonauten. Und dennoch soll in der 600.000-Einwohner-Stadt im Südosten Chinas jetzt eine Fabrik, eine "Mega-Factory" entstehen. 15 Millionen Euro investiert die Stadt in die Fabrik, die im Jahr mehr als 100.000 Tonnen CO2 aus der Luft entziehen und dabei bis zu 130.000 Megawattstunden Wärme und mehr als 30.000 Tonnen Biokohlenstoff produzieren soll. "Das ist gleichzeitig eine sehr erfreuliche und eine sehr traurige Angelegenheit", so Becker.

Fangen wir mit der erfreulichen Seite an. Das Ziel von Beckers Start-ups lautete von Anfang an, Klimagase zu reduzieren. Am besten weltweit, am besten im Gigatonnenbereich. Becker erklärt, dass es nur durch den Entzug von CO2 aus der Luft gelingen wird, den Klimawandel aufzuhalten. "Natürlich können wir CO2 reduzieren. Wichtiger, aber auch komplizierter ist jedoch der Entzug", vergleicht er. Für den Entzug setzt Becker auf pyrolytische Karbonisierung von Biomasseresten zu technischen Biokohlenstoffen. An einem Beispiel verdeutlicht: Reste wie Hackschnitzel, Altholz oder Grünschnitt werden in einer Anlage zu Biokohlenstoffen verarbeitet. Mit der dadurch freigesetzten Energie können Haushalte um die Anlage herum mit günstiger Energie versorgt werden. Gleichzeitig können aus den Kohlenstoffen Produkte wie Dämmmaterial für Häuser oder Destillate zum Düngen von Pflanzen hergestellt werden. Oder aber, wie Becker betont, Öle, aus denen man einen Glyphosatersatz auf Naturbasis herstellen könnte oder Biobitumen für den Straßenbau. "Diese Öle sind für mich das eigentliche Geheimnis, damit könnten wir eine CO2-negative Straße bauen. Die Chinesen machen das jetzt mit uns, in Deutschland würde das erst mal fünf Jahre geprüft werden", sagt der Geschäftsführer der Carbonauten.

Im zweiten Anlauf

China also. Wie kam es, dass ein Giengener Start-up Geschäftsbeziehungen zu China entwickelt? Becker zufolge begann die Geschichte schon vor ein paar Jahren. Über einen Bekannten lernten die Carbonauten einen Mitarbeiter der BSH kennen, der in China aufgewachsen ist, aber in Deutschland Kunststofftechnik studiert hat. Er sei von der Geschäftsidee der Carbonauten überzeugt gewesen und habe Becker zweimal nach China eingeladen. "Ich war vor Ort und begeistert davon, wie die Chinesen mit vielen Dingen umgehen. Da liegt nichts auf der Straße herum und in Sachen Digitalisierung und Geschwindigkeit haben sie uns viel voraus." Würde es hier in Deutschland zwei Monate dauern, eine GmbH anzumelden, dauere es in China nur zwei Tage. Trotzdem mussten sich die Carbonauten eine Weile gedulden, zunächst kam es nicht zur Zusammenarbeit mit einer chinesischen Stadt.

Vor Ort allerdings hielt ein Bekannter des BSH-Mitarbeiters weiter Ausschau und klopfte schließlich bei der Stadt Chibi an - unter anderem deshalb, weil im Verwaltungsgebiet Xianning, zu dem Chibi gehört, große Bambusfelder liegen, mit denen die Carbonauten gut arbeiten könnten. "Bambus ist eine wahre CO2-Saugmaschine und wächst täglich bis zu 80 Zentimeter. Im Durchschnitt absorbiert ein Hektar Bambus 17 Tonnen CO2 pro Jahr", heißt es in einer Pressemitteilung der Carbonauten. Durch die Karbonisierung könne das CO2 dauerhaft im Feststoff gebunden werden. Was die Größenordnung anbelangt, vergleicht Becker das chinesische Chibi mit dem schwäbischen Stuttgart.

Kein Umzug nach China

Chibis Bürgermeister Jun Yang zeigte Interesse am Giengener Start-up und will jetzt in den Bau einer großen Firma investieren. Becker entschied sich dafür, flog dieses Mal aber nicht extra nach China, um den Vertrag zu unterzeichnen. Stattdessen regelte er alles über seinen Bekannten, der sich auch künftig vor Ort um alles kümmern wird. Becker selbst wird deswegen nicht nach China ziehen, weil er sich momentan um viele andere Projekte etwa in Nordamerika, Malaysia, Indonesien und Vietnam kümmern müsse. Der Spatenstich für die Firma könnte noch in diesem Jahr erfolgen.

Dass sich die Carbonauten für Chibi entschieden haben, löste vor Ort regelrecht Euphorie aus: Für die Unterzeichnung des Vertrags gab es eine Zeremonie in der größten Stadthalle mit Reden und Live-Musik, die ins Fernsehen übertragen worden ist. Kommende Woche wird eine Delegation zu Besuch in Deutschland sein. Rund 100 Arbeitsplätze sollen durch die Anlage geschaffen werden, unter anderem sollen momentan Arbeitslose dort beschäftigt werden. Chibi will zu einer grünen Parkstadt werden, die im Ranking der chinesischen Städte unter den Top 100 zu finden ist, wie Becker erklärt.

Am eigenen Ast sägen

Womit wir bei der für Becker traurigen Seite der Angelegenheit angekommen sind: "Wir verschaffen China mit unserer Anlage einen signifikanten Wettbewerbsvorteil gegenüber Deutschland, wenn es um nachhaltige Produkte und Energie geht", betont er. Im Grunde säge man mit der Verlagerung ins Ausland am eigenen Ast. In Deutschland jedoch würde kein Unternehmen Geld in die Hand nehmen, um effektiv etwas für den CO2-Entzug zu tun. "Ich sehe da keine Transformation", so Becker.

Was China betrifft, sehe er nicht alles positiv: "Ich habe meine kritische Seite zu China, das sage ich ganz deutlich", so Becker im Hinblick auf die Geopolitik Chinas und den Umgang mit den Uiguren. Natürlich seien auch die Kohlekraftwerke nicht gut. "Aber die Chinesen stellen jetzt wenigstens konsequent um." Nichtsdestotrotz ist Becker weiterhin auch in Deutschland unterwegs: Eventuell könnten die Carbonauten eine Anlage im Saarland bauen und damit die dortige Stahlindustrie ökologischer gestalten.

28 Beschäftigte beim Giengener Start-up

Das Giengener Start-up Carbonauten gibt es seit 2017 und konzentriert sich mit seinen Biokohlenstoffen auf mehrere Bereiche wie den Ersatz von erdölbasierten Kunststoffen, den Ersatz konventioneller Agrarchemie und Tierpharmazeutika, den Ersatz mineralischer und erdölbasierter Baustoffe, den Ersatz fossiler Brennstoffe und Aktivkohle sowie die Bereitstellung erneuerbarer Energie. Momentan sind 28 Mitarbeitende im Unternehmen beschäftigt, es waren aber schon einige mehr. "Momentan reicht dafür das Geld nicht", erklärt Geschäftsführer Torsten Becker.

Seinen Sitz hat das Unternehmen im Giengener Ried, sein Werk in Eberswalde. Im chinesischen Chibi wird durch die Zusammenarbeit mit den Carbonauten neben dem neuen Werk auch der Hauptsitz eines Projekts entstehen, das den Namen "Negative Emission Technology Materials China" trägt und das dazu beitragen soll, die Forschung, Entwicklung und Herstellung von biobasierten Produkten voranzutreiben.

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