Das wird in Giengen einem Elektriker aus dem Reichsbürger-Milieu vorgeworfen
Für gewöhnlich setzen sich die Angeklagten bei Prozessen auf einen Stuhl hinter einem Tisch, neben ihren Verteidiger. Nicht so ein 41-jähriger Elektriker, der sich vor dem Amtsgericht wegen einer Vielzahl von Vergehen verantworten muss. Er zog es vor, während der mehr als achtstündigen Verhandlung entweder zu stehen oder sein Gesäß auf einen hinter ihm befindlichen Tisch zu platzieren.
Doch nicht nur körperlich, auch verbal setzte er klare Zeichen: „Ich bin nicht hier, um Fragen zu beantworten", so der Angeklagte in Richtung Richter Dr. Christoph Edler, als es um die Feststellung der Identität ging. Die Weigerung, sich zu äußern, brachte dem Angeklagten, der aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurde, ein Ordnungsgeld ein.
Fragen beantworten wollte der Elektriker zwar nicht. Vom Recht, Fragen an Zeugen zu stellen, machte der Mann jedoch ungebremst Gebrauch, schrieb im Stehen seitenweise mit und hatte auch Gutachten parat. Im Verlauf der Verhandlung wurde deutlich, dass der Angeklagte offensichtlich dem Reichsbürger-Milieu angehört, in dem der deutsche Staat in seiner jetzigen Form nicht existent und anerkannt ist. Waffenfunde etwa, gespeicherte Daten auf dem PC oder der Inhalt von Schreiben an Ämter sind ebenso eindeutige Belege dafür wie Ansichten über Gesetze oder gültige Zahlungsmittel. Die mannigfaltigen Taten, wegen derer sich der 41-Jährige vor Gericht verantworten muss, können zum Teil in Einklang gebracht werden mit der Überzeugung des lange in Giengen Wohnenden. Die Anklage kann in mehrere Blöcke untergliedert werden.
Der Stromdiebstahl
Laut Anklage ist dem Angeklagten, der mit seiner Partnerin im Dachgeschoss eines Hauses an der Memminger Straße wohnte, der Vertrag gekündigt und der Strom abgestellt worden. Um weiter Strom zu beziehen, habe sich der Elektriker im Sommer 2022 zunächst im Haus an die Leitung seines Vermieters „drangehängt". Später habe er mittels eines Metallhakens, den er an der Leitung am Dach angebracht habe, weiter Energie bezogen. Entweder war sein Vermieter, der Licht im Dachgeschoss gesehen hatte, auf den Diebstahl aufmerksam geworden, oder einem Mitarbeiter eines Energieversorgers war der Haken aufgefallen. Die Folge: Eine Spezialfirma rückte mittels Hubsteiger an, um den Haken zu entfernen und Teilstücke der Leitung zu isolieren. Der Angeklagte habe jedoch weitere Stellen gefunden, seinen Haken anzubringen und über eine Leitung durch das Fenster Strom zu beziehen.
Die Handgranaten-Attrappe
Im Oktober dann: Wieder ein Haken, wieder rückte eine Firma mit Hubsteiger an. Doch diesmal schritten die Mitarbeiter nicht zur Tat. Denn: Neben dem Haken hing noch eine Handgranate. Ein Polizeibeamter, der hinzugerufen wurde, konnte aufgrund seiner Erfahrung als ehemaliger Soldat Entwarnung geben. Die Granate stellte sich als Attrappe aus einem 3D-Drucker heraus. Was aber nicht ersichtlich war: Der Angeklagte soll eine Erdung hergestellt haben. Beim Abtrennen des umwickelten Hakens gab es, so der Mitarbeiter der Firma, einen "lauten Knall" und Funkenflug. Nur seine Schutzausrüstung habe ihn vor körperlichem Schaden bewahrt.
Der gesprengte Briefkasten
Der Elektriker soll, nachdem ihm sein Vermieter gekündigt hatte, die Eingangstür mittels einer Metallkette verriegelt und den Briefkasten des Hauses in Giengen zur Explosion gebracht haben. „Das war ganz klar ein Racheakt", so der Eigentümer des Hauses bei seiner Aussage vor Gericht.
Seit 2018 sei der Mann sein Mieter gewesen. Man sei zunächst auch gut ausgekommen, doch habe der Elektriker verrückte Ideen entwickelt. „Das war aber noch, bevor er Reichsbürger wurde", so der Vermieter. In der Corona-Zeit sei sein Mieter aus dem Dachgeschoss „rumgeschnappt", habe beispielsweise seine Miete mit obskuren Wechseln bezahlen wollen. Es folgten die Kündigung und es wurde ihm untersagt, das Grundstück weiter zu betreten.
Der Eigentümer hatte den Treppenaufgang vor dem Hauseingang mit einer Videokamera ausgerüstet. Die zeichnete auf, wie ein Mann eine Kette um den Eingang legte. Wenig später sprengte er den Briefkasten in die Luft. Die Kamera zeichnete auch auf, wie der Täter in die Kamera schaute – unschwer ist der Angeklagte zu erkennen.
Die Waffen in der Wohnung
Bei einer Durchsuchung Ende Oktober 2022, damals wohnte das Paar noch in Giengen, wurden in der Dachgeschosswohnung laut Anklageschrift und Zeugenaussagen nicht nur Pillen und eine Feinwaage, sondern auch eine Vielzahl an Pfeilen, Bögen und Armbrüsten gefunden. Obendrein: eine Schreckschusswaffe mit geladenem Magazin, ein Revolver. Festgestellt werden konnten zudem Kennzeichen verfassungswidriger Organe.
Die Chemikalien im Lager
Nach dem Rauswurf in Giengen lebte das Paar, so sagte es die Lebensgefährtin aus, seit Ende 2022 offenbar in einem Lagerraum an der Hirschhaldestraße. Ein Pizzafahrer hatte Mitte März aus einem Kellerfenster Rauch aufsteigen sehen und die Feuerwehr alarmiert. Wie sich herausstellte, brannte es auf auf einer Werkbank. Die Vermutung: Es geriet ein selbstentzündliches Pulver in Brand.
Bei einer wenige Tage darauf vorgenommenen Begehung entdeckte die Polizei in den Regalen Chemikalien, die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft als Mischung auch als Explosionsstoffe genutzt werden könnten. Chemische Stoffe wurden auch an der Wiederholdstraße in Heidenheim gefunden, wo der Angeklagte Räume nutzte.
Die Briefe ans Finanzamt
Beginnend im April 2022 soll der Angeklagte mehrere Schreiben ans Finanzamt in Heidenheim geschickt haben. Darin fordert er die Behörde auf, ihm seine Steuern zurückzuzahlen. Seitenweise geht es, so wird vor Gericht verlesen, um die BRD als rechtsfreien Raum, um ein Volk, das betrogen werde, um die „Firma BRD", die Besatzungsmacht USA. Der Verfasser der Briefe spricht schriftlich „letzte Warnungen" aus und kündigt Lynchjustiz mit großem Medienaufgebot im Finanzamt an. Wie ein Beamter aussagt, sei das Amt daraufhin verstärkt überwacht worden.
Der Tankbetrug und mehr
Vorgeworfen wird dem 41-Jährigen auch, zweimal getankt, aber nicht bezahlt zu haben. Einmal an der Tankstelle Lonetal Ost auf der Autobahn, einmal in Giengen. Statt Geld bot er an einer Tankstelle an der Heidenheimer Straße an, mit einem fiktiven Wechsel zu bezahlen. Als er bei einer Geschwindigkeitsüberwachung „geblitzt" wurde, soll der Mann sein Auto vor die Radarfalle gestellt und die Mitarbeiter des Ordnungsamtes zur Rede gestellt haben. Das Geschehen wurde per Handykamera aufgenommen. Zwar ist kein Gesicht zu sehen, aber eine Stimme zu hören: eindeutig die des Angeklagten. Dieses Video, das bei der Verhandlung abgespielt wurde, wurde offenbar mehrfach im Netz verbreitet.
Angeklagt ist der Mann zudem wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge für Mitarbeiter und des Zerreißens seiner Ausweispapiere. Nachdem am ersten Tag der Verhandlung fast 15 Zeugen vernommen wurden, wird am Mittwoch vor dem Amtsgericht das Urteil erwartet.
Psychiaterin: "Ein gesunder Mann"
Im Rahmen des Verfahrens gegen den 41-jährigen Elektriker war eine Sachverständige mit einem Gutachten beauftragt worden. Die Psychiaterin aus Göppingen sollte klären, ob beim Angeklagten die Paragrafen 20 und 21 eine Rolle spielen. Hierbei geht es um Schuldunfähigkeit: Die liegt vor, wenn eine Person zur Zeit der Begehung einer Straftat aufgrund bestimmter Umstände nicht in der Lage ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder entsprechend dieser Einsicht zu handeln.
„Leider war vom Angeklagten keine Begutachtung erwünscht. Deshalb stütze ich mich auf die Aktenlage, ein Schreiben des Angeklagten und den Prozessverlauf", so die Psychiaterin. Der 41-Jährige mache auf sie einen körperlich und psychisch gefestigten Eindruck. Er sei "wach" und weise eine hohe Konzentrationsfähigkeit auf. Seine Gedächtnisfunktion sei intakt. Sie attestierte dem Angeklagten eine „gute Begabung über dem Normalbereich".
Es liegen ihrer Einschätzung zufolge keine Hinweise auf Störungen vor. Eine Persönlichkeitsstörung könne sie nicht erkennen, wohl aber eine leichte Persönlichkeitsabweichung mit querulatorisch-paranoiden-anti-sozialen Tendenzen.
„Der Angeklagte steht zwischen den Stühlen. Nicht nur in der Verhandlung, die er hauptsächlich im Stehen absolvierte. Da gehört schon eine kräftige Willensstärke dazu. Manches in seinem Verhalten ist auffällig, fast schon pubertär und respektlos", so die Gutachterin.
Ein Zeuge habe den Angeklagten als „nicht ganz richtig im Kopf" beschrieben. Krankhaft sei das aber nicht. Der 41-Jährige wisse sehr wohl, was er tue.
Der stellte seinerseits eine Frage an die Sachverständige: „Ist der Angeklagte gefährlich, und setzt er um, was er ankündigt?" Das zu untersuchen, sei nicht ihre Aufgabe gewesen, so die Antwort.