Leserbrief

Ein Sohn der Stadt Giengen war Täter

Leserbrief zu neuen Stolpersteinen in Giengen, Burgberg und Sachsenhausen und zum Beitrag „Sie waren plötzlich nicht mehr da“ (Ausgabe vom 12. Februar):

Ein bewegender Artikel zu einer berührenden Veranstaltung. Ein großer Dank an die Initiatoren und die Stadt Giengen, die sich diese Mahnveranstaltung auf die Fahnen geschrieben haben. Es waren nicht zu viele Bürgerinnen und Bürger, die an diesem frühen Samstagvormittag den Weg in die Marktstraße fanden, aber genügend, um die Schicksale hinter den sechs Stolpersteinen zu würdigen und zu ehren. Liegt doch die Bedeutung der Stolpersteine in einer langfristigen historischen Würdigung, gleichsam in die Straßen der Stadt Giengen eingemeißelt. Eben Stolpersteine für jeden, der daran vorbeigeht.

Die sechs Opfer und mit ihnen über 10.000 andere wurden in Grafeneck vergast zwischen Januar und Dezember 1940. Die Tötungsmaschinerie des NS-Reiches lief gerade erst an und musste „optimiert“ werden, denn auf diese langsame Art und Weise konnten Millionen Juden und andere unerwünschte Personen nicht ermordet werden.

Gut in diesem Zusammenhang, sich schamvoll daran zu erinnern, dass dies ganz wesentlich durch einen Giengener Sohn der Stadt geschah: Erich Ehrlinger. Er war Sohn von Christian Ehrlinger, der seit 1929 Bürgermeister von Giengen war. Erich Ehrlinger überlebte das 3. Reich und starb 2004 in Karlsruhe, ohne jemals rechtskräftig verurteilt worden zu sein, obwohl er nachweislich an der Erschießung von über 1000 Juden und Partisanen mit eigener Waffe mitgewirkt hat. Wenn man die Bedeutung von Erich Ehrlinger in einem Satz zusammenfassen will, dann indem man sich vor Augen hält, dass er der Stabschef von Adolf Eichmann war. Eichmann selbst war der Chef aller Konzentrationslager.

Ehrlinger hat die Entwicklung der Vergasungen durch Zyklon-B wesentlich mit verantwortet.  Wenn wir wie am Samstag an die Opfer erinnern, sollten wir die Täter nicht aus dem Blickfeld verlieren. Zumal, wenn sie mitten aus unserer Stadt kommen. Vielleicht finden sich in Giengen ja noch Wege, dies auch in öffentlich angemessener Weise zu tun. Wer sich für die Biographie und die Taten von Erich Ehrlinger interessiert, findet im Stadtarchiv eine sehr informative Arbeit des österreichischen Historikers Peter Stadlbauer. Wolfgang Proske hat in seiner Reihe „Opfer, Helfer, Trittbrettfahrer“ im Band „NS-Belastete von der Ostalb“ (2010 erschienen) Erich Ehrlinger und seinen Vater Christian beschrieben und die Täterbiografie dokumentiert.
Karl-Heinz Müller, Giengen