Bundestagswahlkampf

Hoffmeister-Kraut und Kiesewetter in der Giengener Schranne: Einig in der Wirtschaftspolitik, uneins in der „Brandmauer“-Frage

Wenige Stunden nach der Abstimmung im Bundestag, in der die CDU erstmals eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD in Kauf nahm, waren die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter im CDU-Wahlkampf in der Giengener Schranne.

Es war 20.50 Uhr am Mittwochabend, als der sprichwörtliche Elefant, der schon seit fast zwei Stunden im Raum stand, doch noch in Gänze wahrgenommen wurde. Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut war schon mit einem Steiff-Teddy als Gastgeschenk im Gepäck auf der Heimreise, als der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter erneut das Wort ergriff, um über „die aktuelle Lage“ zu sprechen.

Die „Lage“, das war ein Verweis des CDU-Manns auf die Bundestagsabstimmung vom Mittwochnachmittag, in der ein Fünf-Punkte-Plan des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zur Migrationspolitik mit den Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD eine Mehrheit erlangte. Kiesewetter selbst hatte nicht an der Abstimmung in Berlin teilgenommen, um am Abend in Giengen Wahlkampf machen zu können. Seine Wahlkreiskollegin, die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier, lehnte den Merz-Plan ab.

Differenzen in der Bewertung der Merz-Taktik

Kiesewetter räumte vor dem Publikum in der nicht ganz vollbesetzten Schranne ein, er sehe manches anders als sein Fraktionsvorsitzender. Die Tatsache, dass Merz für seinen Plan die Zustimmung der AfD in Kauf nahm, werfe Fragen auf: „Mit wem gehen wir zusammen und wie schlachten die das aus?“, fragte Kiesewetter rhetorisch. Es gehe aber auch darum, als Partei Handlungsfähigkeit zu zeigen. Es gebe diesbezüglich eine „riesen Erwartungshaltung“ in der Bevölkerung. Tatsache sei aber auch, dass es in Deutschland deutlich zu wenige „Abschiebeplätze“ gebe. Kiesewetter betonte, es gehe nicht um die Abschiebung integrierter Menschen mit Migrationshintergrund, sondern: „Wir müssen an die Straftäter ran.“

Kiesewetters differenzierte Sicht stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. „Wir brauchen die Zuspitzung, die Bevölkerung erwartet sie“, sagte Dr. Dietrich Kölsch, der für Bürgerliche Liste und CDU im Königsbronner Gemeinderat sitzt. Man habe es geschafft, Landeserstaufnahmeeinrichtungen „aus dem Boden“ zu stampfen, und „wenn der Wille besteht, können wir auch Abschiebezentren schaffen“, so Kölsch. Was am Mittwoch im Bundestag geschah, war aus Kölschs Sicht „taktisch sehr klug.“ Die CDU habe keinen idealen Koalitionspartner mehr, „aber wir haben heute die Tür geöffnet“. Die AfD werde kleiner, wenn die CDU „vernünftige Asylpolitik“ mache.

„Ich habe bei der AfD eine feste Meinung“, erwiderte Kiesewetter. Die Partei stelle sich in Teilen ihrer Landesverbände gegen die Verfassung, außerdem wolle er keine Zusammenarbeit mit einer Partei, deren Ex-Vorsitzender Gauland die Nazi-Herrschaft von 1933 bis 1945 als „Vogelschiss“ bezeichnet hat. Zudem, so die Überzeugung des Abgeordneten, schade die AfD dem Mittelstand.

Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) ist seit 2016 baden-württembergische Wirtschaftsministerin. Rudi Penk

Nicht nur der Mittelstand, sondern die Wirtschaft im Allgemeinen war das ursprünglich angekündigte Thema des Abends. Nicole Hoffmeister-Kraut, seit 2016 Wirtschaftsministerin in Baden-Württemberg, forderte von der Bundespolitik nicht weniger als einen „Befreiungsschlag für die Wirtschaft“. Man müsse in Deutschland „Wirtschaft first“ denken, sagte Hoffmeister-Kraut in Anlehnung an die Rhetorik des wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump. Dessen Plan, die Unternehmenssteuern in den Vereinigten Staaten deutlich zu senken, hob die Wirtschaftsministerin hervor.

CDU will Wirtschaft entlasten

In Deutschland seien Anlagenbau und Automobilindustrie ebenso unter Druck wie die Baubranche. Die Wirtschaft brauche bezahlbare Energie, einen Abbau von Bürokratie und Steuersenkungen, zudem gebe es „zu viele Anreize für Nichtarbeit“, was Hoffmeister-Kraut als Kritik am Bürgergeld verstanden wissen wollte. Es brauche „mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Menschen“. Mit einer die Wirtschaft stärkenden „Agenda 2030“ der CDU könne dies nach Ansicht der Landesministerin aus dem Wahlkreis Balingen gelingen. Um die Autoindustrie zu unterstützten, müsse man sich beispielsweise vom fixen Datum für das Verbrenner-Aus verabschieden und den Strukturwandel stärker dem Markt überlassen.

In den kommenden Jahren sei Pragmatismus gefragt, fügte Roderich Kiesewetter hinzu: „Wir brauchen eine Anstrengungskultur“, Mehrarbeit müsse sich für die Menschen lohnen. Für die Zeit der Koalitionsverhandlungen nach der anstehenden Bundestagswahl sollte die CDU „in der demokratischen Mitte nichts ausschließen“. Die Christdemokraten müssen „Anwälte der Arbeitskräfte werden“, solange sich die SPD „von denen vor den Karren spannen lassen, die das Bürgergeld falsch verstehen“.

In der Diskussion wurden die Forderungen nach Entlastung der Wirtschaft bekräftigt. Die Giengener Stadträtin Gabriela Fetzer wünscht sich analog zur E-Mobilität ein „E-Bauen“, wobei das „E“ für „einfacher“ stünde, mit vereinfachten Verfahren und weniger Verordnungen. Angeregt wurde von einem Teilnehmer aber auch eine gewisse Selbstkritik: Viele Probleme seien nicht erst in den vergangenen drei Jahren unter Rot-Grün entstanden.

SPD-Landeschef Andreas Stoch: „Indiskutabel“

Der Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, Andreas Stoch (Heidenheim), kritisierte die Abstimmung im Bundestag in einer Pressemitteilung. In der Debatte zur inneren Sicherheit müssten die Parteien der demokratischen Mitte gemeinsam nach Lösungen suchen. „Mehrheiten mit einer rechtsextremen Partei in Kauf zu nehmen“ sei, so Stoch, „indiskutabel“. Und weiter: „Schon seit Wochen liegen umfangreiche Gesetzesentwürfe auf dem Tisch, die durch die Union blockiert werden.“ Die SPD sei bereit, mit allen demokratischen Fraktionen gemeinsam einen Weg für mehr Sicherheit im Land zu suchen.

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