Fehlte nur noch John Travolta in Giengen
Die Erwartungshaltung im Publikum war sicherlich hoch, doch schafften es die Künstler, die 300 anwesenden Gäste mit ihrer unterhaltsamen Performance zu begeistern. Und das lag sicherlich nicht nur an den vierstimmigen Gesangarrangements als besonderem Attribut – alle Darsteller wussten auf höchstem Niveau zu überzeugen. Hinzu kam eine Band, die vor Spielfreude nur so strotzte, sowie eine erlesene und durchdachte Auswahl an Titeln. Auf den Punkt gebracht: Hier passte alles bis ins kleinste Detail.
Die Musical-Darsteller Stefan Tolnai (Heimspiel für den gebürtigen Heidenheimer, der die Hälfte seines Lebens in Giengen verbrachte), Richard-Salvador Wolff, Philipp Hägeli und Frank Winkels traten an, um zahlreiche Musical-Songs in gelöster Atmosphäre zu präsentieren. Unterstützt wurden sie dabei von einer Live-Band unter der Leitung des Pianisten Janis Pfeifer, der als gebürtiger Ulmer immerhin ein „halbes“ Heimspiel haben sollte.
Zu den „Musical Gents & Friends“ gehörten an diesem Abend auch die Sopranistin Lucy Scherer, die Sängerin und Schauspielerin Anja Wendzel sowie die Nachwuchskünstler Emily Barth und Steffen Vogel aus der Heidenheimer Talentschmiede.
Gelungene Titelauswahl für alle Generationen
Soullastig eröffnete „On Broadway“ den Giengener Musical-Auftritt – ein Titel aus dem Musical „Beautiful – The Caroline King Story“, welcher die vier Akteure ohne Aufwärmphase in Bestform zeigte. „Moving Too Fast“ aus „The Last Five Years“ wurde im Anschluss von Richard-Salvador Wolff in Szene gesetzt, ehe „Fight From The Heart“ aus dem „Rocky“-Musical präsentiert wurde. Anja Wendzel intonierte gemeinsam mit den vier Hauptprotagonisten auf beeindruckende Weise „Die totale Finsternis“ aus „Tanz der Vampire“ – nomen est omen – so langsam wurde es dunkel, das verlieh dem Konzert ein besonderes Flair: Musical-Songs im Open-Air-Format bekommt man auch nicht alle Tage zu sehen und hören.
Stefan Tolnai, der auch die Idee für diese Veranstaltung hatte und laut Veranstalter im Vorfeld keinen Stein auf dem anderen ließ, um diesen Abend zu einem unvergesslichen werden zu lassen, erörterte im Anschluss seine „Unstillbare Gier“, ebenfalls aus „Tanz der Vampire“. „Die Schöne und das Biest“ war sicherlich eines der großen Highlights der Darbietung – wenn es denn überhaupt angemessen ist, einzelne Titel hervorzuheben – denn Glanzpunkte waren de facto nahezu alle Songs in diesem knapp dreistündigen Spektakel. Lediglich „I Wanna Dance Somebody“ von Whitney Houston, ein Klassiker aus dem Jahre 1987 und für das Musical „Bodyguard“ adaptiert, transportierte das Feeling der 2012 verstorbenen Pop-Diva nur bedingt weiter.
Diese drei Gänsehautmomente bleiben in Erinnerung
„Dies ist die Stunde“ aus „Jekyll & Hyde“ wurde von Philipp Hägeli genauso überzeugend akzentuiert, wie die beiden Titel „Ich gehöre nur mir“ (Lucy Scherer) und „Boote in der Nacht“ (Emily Barth und Steffen Vogel) – beide aus dem Musical „Elisabeth“. Drei Songs, drei Gänsehautmomente – und das lag definitiv nicht nur an den langsam sinkenden Temperaturen. „Greased Lightning“ aus dem bekannten „Grease“-Musical ließ das Gefühl aufkommen, im nächsten Moment könnte John Travolta tanzend um die Ecke kommen – eine Gute-Laune-Nummer par excellence.
Nach einer kurzen Pause wurde mit „Phantom der Oper“ (Lucy Scherer) der zweite Akt eingeläutet. Aus „Les Misérables“ präsentierten Anja Wendzel den Titel „Ich hab’ geträumt vor langer Zeit“ und Frank Winkels den Song „Sterne“. Erotisch wurde es dann bei der Interpretation von „Come What May“ aus „Moulin Rogue“ – einen Titel, den die vier Hauptdarsteller wiederum gemeinsam anstimmten. „Irgendwo wird immer getanzt“ wusste Lucy Scherer zu behaupten – ein Lied aus der „Mozart“-Musikrevue, das schlagartig wieder an dem immer noch mit Abwesenheit glänzenden John Travolta erinnerte. Danach entfloh Aladdin seiner Wunderlampe und wurde durch Richard-Salvador Wolff mit „Stolz auf deinen Sohn“ bedacht.
Acht Darsteller setzen gemeinsam den Schlusspunkt
John Farnhams Welthit „You’re The Voice“ aus dem Jahre 1986 wurde beeindruckend in den glasklaren Giengener Nachthimmel geschmettert – lediglich der Dudelsack im zweiten Drittel wurde clever durch dezente Gitarrenklänge ersetzt. „Frei und schwerelos“ aus „Wicked – Die Hexen von Oz“ läutete bereits den Endspurt ein, der mit einem Udo-Lindenberg-Medley und Songs aus dem Musical „Hinterm Horizont“, darunter „Sonderzug nach Pankow“ oder „Mein Ding“, zu begeistern wusste. Keine Panik, denn es sollte nicht der Schlusspunkt eines imposanten Abends sein. Bei der Hommage an Udo Jürgens „Heute beginnt der Rest deines Lebens“ standen alle acht Musicaldarsteller gemeinsam auf der Bühne. Das Gesangsstück stammt aus dem Musical „Ich war noch niemals in New York“.
New York oder Giengen – das ist hier die Frage
Auch wenn New York ein paar Attraktionen mehr aufweisen mag als Giengen, musste man an diesem Abend nicht zwingend in der US-Metropole weilen, denn der Nabel der Musical-Welt war zumindest für einen Tag in Giengen.