HZ-Sommerinterview

Giengen im Wandel: OB Dieter Henle über Stadtumbau, Industriepark und seine Wiederwahlpläne

Giengen steht vor großen Veränderungen. Oberbürgermeister Dieter Henle spricht im HZ-Sommerinterview über Stadtumbau, neue Projekte und seine mögliche Wiederwahl 2025.

Giengen soll sich verändern – mit diesem Plan ist Oberbürgermeister Dieter Henle 2017 zur Wahl angetreten. Ein Jahr vor der nächsten Wahl schaut der 49-Jährige im Interview mit den HZ-Reportern Marc Hosinner und Jens Eber gleichermaßen auf bereits angelaufene Vorhaben wie auf die kommenden Projekte. Zur Zukunft des Industrieparks an der A7 hat Henle eine ähnlich klare Einstellung wie zu seiner möglichen Wiederwahl 2025.

Herr Henle, beim Bürgerspaziergang im Juli war ein vielfach angesprochenes Thema, wie die Giengener Innenstadt belebt werden könnte. Es soll ja viel neu entstehen, aber das dauert noch Jahre. Lässt sich denn kurzfristig Abhilfe schaffen?

Ich denke, einzelne Erfolge sind schon sichtbar. In der Marktstraße residiert die WGV-Versicherung jetzt in komplett neuen Räumen, in der Marktstraße 25 bietet das vegane Café Cut kulinarischen Genuss, aber auch kulturelle Veranstaltungen. Wir freuen uns als Stadt, dass wir das nahtlos wieder belegen konnten. Unser Förderprogramm „Giengen zahlt deine Miete!“ bewährt sich. 

Ein veganes Café in Giengen oder – haben Sie denn Rückmeldung, wie das läuft?

Ich habe zufriedene Feedbacks gehört. Es ist alles mit viel Liebe gemacht, den Apfelkuchen mag ich sehr gern. Die Torte mit Schokolade habe ich leider zu spät gesehen (lacht). Mundpropaganda ist da immer das Beste. 

Bei der Stadtmetzgerei bleibt der Wurstkessel aber noch kalt …

Trotzdem tun wir gemeinsam mit dem Investor Andreas Adldinger alles, um einen Betreiber zu finden. Da wird es auch im August noch Gespräche mit potenziellen Betreibern geben.

Es gab ja schon einen Betreiber – woran ist das denn gescheitert? Am Format mit den Automaten und der halbtägigen Öffnung?

Am Format lag es sicher nicht. Das Angebot andernorts zeigt, dass man sich heute breiter aufstellen muss. Also nicht mehr nur die tradierten Öffnungszeiten, sondern am besten 24/7, damit man auch hingehen kann, wenn abends auf dem Grill das Steak fehlt. Der vorgesehene Betreiber hat kurzfristig abgesagt, weil es ihm zu viel wurde mit all den Angeboten, die er auch sonst noch hat. Das war nur konsequent. Der Eigentümer sagt auch, lieber dauert es noch ein, zwei Monate länger, aber dann hat man einen vernünftigen Betreiber, der auf lange Sicht bleibt. 

Sie sind da zuversichtlich?

Das bin ich. Wir treiben den Stadtumbau mit großer Geschwindigkeit voran, aber da gibt es immer auch Durststrecken. Die gilt es zu überbrücken.

Es gab auch Kritik an den Umbauten in der Stadt. Nach unserer Wahrnehmung hat sich da Vieles am alten Müller-Gebäude und den geplanten Abbrüchen entzündet. Auch, dass der Abbruch bis in die Lederstraße gehen soll als Zufahrt zu einer Tiefgarage, stieß manchen auf.

Da gab es vielleicht teils einen falschen Wissensstand. Ich finde immer, es ist am besten, wenn man denkmalgeschützte Substanz erhalten kann, siehe Grabenschule. Als ich hier als Oberbürgermeister begonnen habe, hieß es „Der Schandfleck gehört abgerissen!“ Jetzt haben wir erreicht, dass ein privater Investor das Gebäude denkmalgerecht saniert, für Wohnraum sorgt und Kaufkraft in die Innenstadt bringt. Wenn man im Bestand sanieren kann, auch das ist ja ein Anliegen der „Bürger für Giengen“, ist es also das Beste. Manchmal gibt es aber die Bausubstanz nicht her, siehe Dienstleistungszentrum. Beim Tedi-Gebäude sagt niemand, dass er es unbedingt erhalten will. Deshalb weicht es etwas Neuem, und später hört man vielleicht: Das, was die in den Zwanzigerjahren gemacht haben, ist richtig gut geworden. Wo man Gebäude erhalten kann, ist es eine Spezialaufgabe für den Architekten, das Bestehende zu integrieren. Das spricht nicht gegen eine Tiefgarage im rückwärtigen Bereich. Bei der Lederstraße 23 geht es lediglich um den Abbruch nicht denkmalgeschützter Gebäudeteile wie Hütten und Garagen: Wir bekommen dort eine Abfahrt von der Scharenstetter Straße und können zusätzlichen Parkraum schaffen. Das hilft uns auch innerstädtisch weiter: Wir müssen nicht alles über die Scharenstetter Straße abfließen lassen, sondern haben eine Alternative.

In Giengens Stadtkern dürfte sich in den kommenden Jahren noch einiges verändern. Geyer-Luftbild

Sie haben die Grabenschule angesprochen. Nach außen hin ist da noch nicht viel passiert. Wann wird denn etwas sichtbar?

Es gab einen Wechsel in der Eigentümerschaft. Bei diesem Gebäude ist wichtig, es jemandem zu geben, der in der Sanierung denkmalgeschützter Gebäude Erfahrung hat. Das Haus soll Wohnungen bekommen und Menschen wollen eben einen Balkon haben. Die waren zunächst an den Längsseiten geplant, der Denkmalschutz möchte sie an den Stirnseiten haben. Das hat der Architekt umgeplant, jetzt wird es im September einen weiteren Vor-Ort-Termin mit dem Landesdenkmalamt geben. Mitte nächsten Jahres könnte es dann losgehen.

Die Nachfrage nach Wohnraum sollte ja vorhanden sein.

Die Nachfrage ist groß! Nehmen wir nur das Beispiel Marktstraße 64: Von neun Wohnungen sind sieben verkauft oder vermietet.

Ein weiteres Objekt, das augenscheinlich im Stillstand ist, ist das ehemalige Johanneshaus.

Da liegt seit Dezember 2023 die Baugenehmigung der Stadt für das umgeplante Gebäude vor, die Ausführungsplanung läuft. Baustart soll im Herbst sein, dann wird es laut Eigentümer zwölf Monate bis zur Eröffnung dauern, bei einem Bauvolumen von zwölf Millionen Euro. Hier fließen Fördermittel, die eine Frist haben, also muss es jetzt auch weitergehen. In Kürze wird sich der künftige Betreiber bei mir persönlich vorstellen. 

In den Burgwiesen hat der Investor Andreas Adldinger einiges an Gebäuden erworben. Da bewegt sich aber derzeit nichts.

Das ist so, weil die Zinsen und Baukosten gestiegen sind. Herr Adldinger wartet ab, bis sich manches nivelliert hat, sonst landen wir im zweistelligen Quadratmeterpreis für die Miete, und das geht hier in Giengen nicht. Aber er ist zuversichtlich, dass es weitergehen wird.

Es gibt seit Jahresbeginn einen Ärztemanager in der Stadt. Das klingt toll, aber er muss auch die Quadratur des Kreises schaffen, oder? Hat er überhaupt eine Chance?

Das Thema Einzelpraxen ist schwierig. Das gelingt vielleicht mal im Einzelfall, wir sehen aber eher eine Strukturveränderung hin zu Gemeinschaftspraxen oder medizinischen Versorgungszentren. Ganz konkret ist unser Ärztemanager dran, eine hiesige Ärztin zu unterstützen, wieder eine Kinderärztin anzusiedeln, in einer Gemeinschaftspraxis. Das ist einer der Fälle, wo wir Fördermittel, die der Gemeinderat in der stolzen Summe von 100.000 Euro pro Jahr ausgelobt hat, einsetzen können. 

Wie ist der Planungsstand bei der geriatrischen Reha-Versorgung?

Die Vorplanung zu einer teilstationären oder stationären geriatrischen Reha-Einrichtung mit 80 bis 100 Plätzen läuft auf Hochtouren. Die Krankenkassen als Partner sind an Bord, wir haben im Juni potenzielle Betreiber angesprochen. Ich war erstaunt, dass sich gleich zwei Betreiber gemeldet haben, die im August zu Gesprächen kommen werden. Gleichzeitig warten wir ab, ob sich weitere Interessenten melden werden. Auch da gilt: Ich breche erst in Jubelstürme aus, wenn die Tinte trocken ist.

Wie geht es in der alten Rehaklinik weiter?

Wir haben das Gebäude ja zwischenzeitlich gekauft und werden es als Interimsgebäude für unser technisches Dezernat während der Bauphase des Dienstleistungszentrums nutzen. Im Idealfall sollen zudem bis zum 1. Januar 2025 ambulante Therapiepraxen für Podologie, Ergotherapie, Physiotherapie und Prävention eröffnen. Da sind wir in guten Gesprächen.

Aber es wäre auch eine temporäre Lösung?

Für mindestens drei Jahre, aber die Praxen haben schon erwähnt, sie wären nicht abgeneigt, in die neue Rehaklinik umzuziehen, um unter einem größeren Dach auch mehr Patienten zu haben.

Wir halten fest: Langfristig geht die Stadt dann an ihren neuen Standort im Dienstleistungszentrum, die Praxen ziehen auch um, man könnte die alte Reha also abreißen und die Fläche neu mit Wohnungen bebauen.

Das könnte man. Man könnte es aber auch für eine andere Nutzung sanieren. Da habe ich schon Ideen, die es gilt, mit den Partnern und dem Gemeinderat zu sondieren. Wir wollten das Objekt in unser Portfolio holen, damit wir sicherstellen können, dass dort etwas Vernünftiges hinkommt. Das ist eine super Lage. 

Es gibt also Vieles zu entscheiden in den nächsten Monaten und Jahren. Jetzt gibt es einen neuen Gemeinderat mit vielen neuen Gesichtern – wird da auch Aufgabe der Verwaltung sein, Themen nochmals tiefer zu erklären?

Sicher. Wir müssen uns auch immer wieder ermahnen, manches als Verwaltung genauer zu erklären. Wir sind in der Stadtentwicklung sehr schnell unterwegs, das brauchen wir auch, um wieder mehr Menschen in die Stadt zu holen. Gleichzeitig ist es wichtig, immer wieder aus dem Gleis zu treten und sich zu vergewissern, ob wir noch richtig unterwegs sind oder ob wir Weichen anders stellen müssen.

Schauen wir vor die Tore der Stadt. Im Giengener Industriepark A7 sind die übrigen Grundstücke reserviert oder bereits verkauft, aber es wächst derzeit wenig heran.

Es fällt doch ins Auge, dass der Branchenmix entsteht und wächst. Ich meine, der GIP A7 präsentiert sich als hochmodernes, attraktives und schon jetzt grünes Gewerbegebiet. Im Mai konnten wir die erste Wasserstofftankstelle in der Region eröffnen. Der Wasserstoff-Pionier Hylane stellt Logistikern in Giengen in einer Testphase Wasserstoff-Lkw zur Verfügung. Wir haben namhafte Unternehmen dort: Tesla, Amazon, Noerpel, Iveco, Kühne & Nagel, Woelpert, Jet. Die Zahl der Arbeitsplätze beträgt aktuell 665. Im September wird die Würth-Handelsvertretung eröffnen. In den nächsten Monaten wird das Bezirkszentrum der Netze ODR gebaut, auch da gab es eine Umplanung, weil sie ein größeres Grundstück brauchten. EnBW baut auf einem Grundstück direkt an der B 492 einen E-Ladepark mit 40 Ladesäulen und zwei Lkw-Ladesäulen. Eine Bäckereifiliale, ein Fast-Food-Restaurant und ein Dentallabor sind die nächsten Schritte. Im Herbst werden wir 22.500 Quadratmeter verkaufen, an ein mittelständisches Unternehmen, bodenständig, in zweiter Generation, das den Gewerbemix zusätzlich erweitert.

Ziel waren 1000 neue Arbeitsplätze.

Die werden wir erreichen, so sind wir angetreten. Damit ist der Gewerbepark dann auch abgeschlossen. Es wird ja oft gefragt, ob es nach dem Verkauf in eine Erweiterung des Parks gehen wird.

Und?

Nein, es ist keine Erweiterung geplant. Wir sind zufrieden damit, was uns hier gewährt wurde.

Bringen die Arbeitsplätze die Stadt auch finanziell voran?

Wir partizipieren an der Einkommensteuer, auch an der Grundsteuer, wenn die Gebäude entstehen. An manches denkt man von außen zunächst gar nicht: Auch Baugenehmigungsverfahren bringen Geld in die Stadtkasse, und es arbeiten dort Handwerker, die hier in Giengen und in der Region ihre Betriebe haben. Das sind Sekundäreffekte, die erst hinterher kommen. Und wenn die Abschreibungen getätigt sind, fließt ebenfalls Gewerbesteuer in den Stadtsäckel. Das Geld brauchen wir dringend: Die Geschichte hat gezeigt, dass man schnell in Schieflage kommt, wenn man von einzelnen großen Gewerbesteuerzahlern abhängig ist. Da sind wir nun breiter aufgestellt. 

Zahlen internationale Unternehmen wie Amazon oder Tesla überhaupt Gewerbesteuer?

Ja. Mehr darf ich aber nicht sagen (lacht). Das ist Steuergeheimnis.

Es gibt in Giengen relativ breit gestreute Kulturangebote, die aber zu einem großen Teil von der Stadtverwaltung organisiert werden. Bräuchte es da noch mehr private Initiative, wie etwa beim Gitarrenfestival von Jule Malischke?

Das muss das Ziel sein. Die Stadt kann immer in einem gewissen Rahmen Dinge stemmen. Beim Winzersommer funktioniert es, da haben wir einen Veranstalter, der aus einem anderen Standort heraus auf unser Konzept mit aufgesprungen ist. Beim Open-Air funktioniert es natürlich über eine direkte Ansprache der Künstler. Für 2025 ist das Open-Air schon gesichert. Was das betrifft, kann ich mich abends ruhig zu Bett legen, das funktioniert. Es wird 2025 auf jeden Fall etwas Moderneres sein, mehr darf ich noch nicht sagen. Aber die Tinte unter dem Vertrag ist fast schon trocken. 

Jugendliche in Giengen haben Defizite bei der Barrierefreiheit in Schulen festgestellt. Wie wird die Stadt da reagieren?

Es kann nicht – wie seinerzeit bei Margarete Steiff – von der Muskelkraft von Freundinnen und Freunden abhängen, ob ich ein Stockwerk höher komme. Deshalb haben wir das Thema Barrierefreiheit bei allen Schulsanierungen und -neubauten mit auf der Agenda. Als Beispiel der Pavillon sechs der Bühlschule: Der wird zweistöckig gebaut und barrierefrei sein, auf dem Weg zum Gebäude wird es keine Treppen geben, die Sanitäranlage wird ebenfalls barrierefrei sein. Und wir achten darauf, dass man vernünftig in die Klassenräume kommt. Da gehören entsprechende Flur- und Türbreiten dazu. In gleicher Weise machen wir es bei den nächsten Schulgebäuden – etwa bei Pavillon fünf, der mit 15 Millionen Euro eine echte Hausnummer ist.

Nächstes Jahr ist OB-Wahl. Wir nehmen an, Sie werden nochmal antreten?

Ich werde manchmal von Menschen angesprochen, die sagen: „Wie lange sind Sie jetzt OB in unserer Stadt? Vier Jahre?“ Nein, es sind sieben Jahre. Nächsten Sommer ist es also soweit, die Bürgerinnen und Bürger wählen ihren Oberbürgermeister oder ihre Oberbürgermeisterin. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich wieder antrete und dabei natürlich um die Stimmen der Bürgerschaft werbe. Giengen entwickelt sich sehr gut, ich habe viel Freude dran. Für mich bleibt es eine Ehre, meine Geburtsstadt mit allen Beteiligten weiterzuentwickeln: mit der Bürgerschaft, mit dem Gemeinderat, mit dem Team in der Verwaltung. Deshalb habe ich Pläne für mindestens weitere acht Jahre. Dabei ist mir wichtig, dass die Menschen Kritik oder Lob immer direkt äußern. Daran kann man wachsen, so bin ich von meinen Eltern erzogen: immer auf dem Boden zu bleiben und sich zu erinnern, woher man kommt. Mein Großvater war Schneider, da habe ich manches mit auf den Weg bekommen, und dem fühle ich mich auch verpflichtet.

Obürgermeister seit 2017

Im Juli 2017 wurde der damals 42-jährige Dieter Henle im zweiten Wahlgang mit 59,2 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen zum neuen Giengener Oberbürgermeister gewählt und löste Gerrit Elser ab, der nach einer Amtszeit nicht mehr angetreten war. Zuvor hatte er im ersten Wahlgang gegen damals neun Konkurrenten mit 48,7 Prozent die absolute Mehrheit knapp verpasst. Zum Zeitpunkt seiner Bewerbung war Henkle Sozialdezernent im Landratsamt Heidenheim. Davor war der Diplom-Betriebswirt und Diplom-Verwaltungswirt Fachbereichsleiter für Familie, Bildung und Sport bei der Stadtverwaltung Heidenheim gewesen.

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