Sommerinterview

Giengens OB Dieter Henle: "Wir werden nicht überheblich"

Umbau der Innenstadt, Lösungen für die Klimawende, ein neuer Schießberg und noch vieles mehr: Die Stadt Giengen steht in vielen Bereichen vor Veränderungen. Jetzt und in den nächsten Jahren. Darüber spricht Oberbürgermeister Dieter Henle im Interview mit der HZ – und kündigt an, noch mehr umtreiben zu wollen.

Giengens OB Dieter Henle: "Wir werden nicht überheblich"

Dynamisch: dieses Wort beschreibt die Entwicklung Giengens ziemlich treffend. Dahinter stehen der Gemeinderat, aber auch die Verwaltung mit Oberbürgermeister Dieter Henle an der Spitze. Klar ist: das Tempo wird hoch bleiben.

Herr Henle, in Europa wird Krieg geführt, im Winter musste Energie gespart werden, die Populisten scheinen gefühlt in der Überzahl zu sein. Wie geht es Ihnen bei all diesen Entwicklungen?

Natürlich beunruhigt das die Bevölkerung – und auch mich. Als Auswirkungen erleben wir eine stark erhöhte Dynamik, teils Orientierungslosigkeit oder Passivität selbst bei Entscheidungsträgern, häufig Stress. Eine entspannte Lage wäre uns allen lieber. Aber wir haben keine Wahl. Wir müssen die Situation verkraften, wir in Giengen können und tun es. Mir selbst ist dabei wichtig, immer wieder gedanklich aus der Situation herauszutreten, die Möglichkeiten zu betrachten und angesichts unserer eigenen und der Gesamtlage adäquat zu handeln. Es gilt, einen kühlen Kopf zu behalten und aktiv zu kommunizieren. Populismus baut auf Unsicherheit und Unwissenheit – dem begegnen wir.

Wie geht es der Stadt Giengen derzeit generell?

Unserer Stadt geht es gut, das kann man gar nicht anders sagen. Wir befinden uns auf einem hohen Entwicklungsniveau, werden dabei aber nicht überheblich. Stattdessen bleiben wir bei unserer Überzeugung, dass antizyklisches Investieren das Richtige ist und nutzen die Möglichkeit, unsere Betriebe durch Auftragsvergaben zu unterstützen. Eine Herausforderung ist der zunehmende Fachkräftemangel, auch bei uns. Rund sechs Prozent der kommunalen Stellen sind nicht besetzt. Im Vergleich zu anderen stehen wir dennoch gut da: Wir konnten für wichtige Positionen Fachleute einstellen, die uns echte Perspektiven eröffnen, etwa in den Bereichen Kämmerei und Digitalisierung. Auch die Stellen für ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher – in vielen Kommunen ein Problem – sind bei uns besetzt. Wenn sich Fachkräfte bei uns bewerben, profitieren wir meiner Einschätzung nach vom verlässlichen Bild Giengens in der Region.

Wir haben das Projekt Lamm nie infrage gestellt

Oberbürgermeister Dieter Henle

Lassen Sie uns die Reise durch die Stadt direkt im Umkreis Ihres Büros im Rathaus beginnen. Wo das Lamm war, ist ein Loch. Am 18. August ist Spatenstich für den Barfüßer samt Brauerei, Hotel und Wohnungen. Zuletzt wurden die Pläne geändert. Stand das Vorhaben in Giengen auf der Kippe?

Zu sagen, es wäre die ganze Zeit alles in Butter gewesen, würde die Situation sicherlich nicht korrekt beschreiben. Wenn die Baukosten so steigen, dass statt 14 Millionen Euro nachher 25 Millionen Euro fällig sind, kann das nicht ohne Auswirkungen bleiben. Dennoch haben wir das Projekt nie wirklich infrage gestellt, sondern gemeinsam nach Lösungen gesucht. Wir waren in Kontakt mit Kreditinstituten und Handwerkern. Hier gab es viel Unterstützung. Investor Eberhard Riedmüller hat zudem auf meine Empfehlung hin ein Investorenmodell in Anspruch genommen und die Planung entsprechend umgestellt. Es ist gut, aufeinander zählen zu können.

Gegenüber vom ehemaligen Lamm wird sich in den nächsten Jahren einiges tun. Nicht nur ein Dienstleistungszentrum soll gebaut werden, auch Müller hat im Verlauf der Marktstraße Großes vor. Das wird ein großer Eingriff. Die Befürchtung könnte lauten: Das ist alles gut, wird aber zu viel auf einmal oder zu lange die Fußgängerzone in eine Baustelle verwandeln.

Ich kann mir vorstellen, dass diese Befürchtung hier und da aufkommt. Wirklich berechtigt wäre aber nur die Befürchtung, zu spät dran zu sein. Wir sind entschlossen, unsere Innenstadt attraktiv zu machen. Und wir können nicht warten – der Online-Handel tut es auch nicht. Also müssen wir schnellstmöglich zu einem sehr guten Ergebnis kommen. Mit dem auf längere Zeit angelegten Sanierungsgebiet und zwei Förderprogrammen ziehen wir dafür alle Register. Und wir bleiben bei Ihrer Formulierung: Das ist alles gut! Unser entschlossenes Vorangehen spart Zeit, die Fußgängerzone wird durch die Arbeiten natürlich belastet, aber sie bleibt offen. Sehr positiv ist, wie umfänglich und vergleichsweise schnell wir das Areal gegenüber dem Rathaus zusammenfügen konnten. Mit mehr als 2600 Quadratmetern eröffnet es uns den Spielraum, den wir brauchen. Wir sind dran, wir bleiben dran, und wir nehmen die Bevölkerung mit!

Neben dem griechischen Lokal wurde ein Haus, auch mit Sanierungsmitteln, umgebaut. Ist für das Erdgeschoss schon eine gewerbliche Nutzung absehbar? Kommt wieder ein Bäcker ins Spiel? Jüngst hatte so ein Geschäft am unteren Ende der Marktstraße die Türen geschlossen.

Der Eigentümer des Objekts gegenüber vom Rathaus strebt eine gewerbliche Nutzung an, hat sich bezüglich der Branche jedoch noch nicht festgelegt. Falls er sich für ein anderes Angebot entscheidet, ist unser Ziel, in der direkten Umgebung eine Bäckerei zu installieren. Wir erörtern die möglichen Lösungen aktuell mit mehreren Eigentümern, da bitte ich noch um ein wenig Geduld. Sobald alles geklärt ist, berichten wir. Auch im Geschäft der ehemaligen Bäckerei Walliser gegenüber der neuen Stadtmetzgerei macht eine Bäckerei Sinn. Beide Angebote würden sich ideal ergänzen. Ich bin der Überzeugung, dass wir das hinbekommen.

Der Spielplatz am Anlägle erfreut sich großer Beliebtheit. Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung?

Tatsächlich freuen wir uns sehr, wie gut der Spielplatz angenommen wird. Er ist hochwertig und attraktiv hergestellt, die eigens entwickelten Spielgeräte gefallen den Kindern, das zahlt sich aus.

Das Thema Rauchen am Spielplatz sehen wir kritisch

Oberbürgermeister Dieter Henle

Kritisiert wird, dass es dort keinen Wasserkreislauf gibt und Eltern oft rauchend angetroffen werden. Auch Shishas wurden gesichtet. Gibt es Möglichkeiten, dies zu ändern?

Auf einen Wasserkreislauf haben wir an dieser Stelle bewusst verzichtet. Das Wasserspiel hat Trinkwasserqualität, da hier auch Kleinkinder spielen. Die Wassermenge ist vergleichsweise gering und es wird dort mit Sand gespielt: Ein Wasserkreislauf wäre daher häufig verstopft.

Das Thema Rauchen am Spielplatz sehen wir ebenfalls kritisch. Unser Gemeindevollzugsdienst und die Polizei kontrollieren und halten die Leute dazu an, dort nicht zu rauchen und ihren Müll in die bereitstehenden Mülleimer zu entsorgen. Wir werden in Kürze offizielle Benutzungsregeln aufhängen. Sollte das nicht ausreichen, müssen wir hier weitergehende Strategien anwenden – und wären dann vermutlich beim Thema Verbot. 

Kommen wir vom Wasser zu anderen Energieformen. Die Stadt hat mit dem Anstoßen der Wärmeplanung schon ein dickes Brett gebohrt. In der Öffentlichkeit wird das Thema gerade aber sehr diffus diskutiert. Wie stehen Sie dazu und was kommt auf Giengen zu?

Diffuse Diskussionen bilden sich, wie zuvor bereits erwähnt, aus ungewissen Situationen heraus. Wir wollten auch in Sachen Klima und Energie möglichst schnell klare Perspektiven und die zugehörige Information schaffen.

Ganz schwierig finde ich die Haltung: „Ich mache nichts, dann kann ich nichts falsch machen.” So kann das nicht gehen. Wir machen uns auf den Weg, auch wenn sich nicht alles genau vorhersehen lässt. Dank unserer Fachleute konnten wir als erste Kommune in Baden-Württemberg ein tragfähiges Konzept zur Kommunalen Wärmeplanung einreichen, zu finden auf der Homepage der Stadt.

Es verbindet Analysen, konkrete Vorhaben zur Energieeinsparung und zur erneuerbaren Wärmeerzeugung. Es enthält kurzfristige Vorhaben zur Wärmewende, die aktuell auf ihre Realisierbarkeit geprüft werden: etwa den Aufbau von Wärmenetzen in der Innenstadt. Ergänzend gibt es langfristige Maßnahmen wie die energetische Gebäudesanierung oder die klimaneutrale Versorgung von Neubaugebieten.

Erste Prüfergebnisse erwarten wir noch 2023, parallel dokumentieren wir die Abfolge aller Maßnahmen in einem sogenannten Transformationspfad. Er schafft zeitliche Transparenz – das ist auch ein Anliegen des Gemeinderats. Genaue Infos für einzelne Straßenzüge können wir jetzt noch nicht liefern. Aber auch das kommt.

Wärme im Winter ist die eine Seite. Auf der anderen Seite wird es auch darum gehen, Städte vor Überhitzung zu schützen. Gibt es für Giengen diesbezüglich Pläne?

Ja – wo sinnvoll, geht dieses Thema in alle laufenden Planungen ein. Bis Ende 2023 entsteht eine Karte mit allen aktuell geplanten Nachpflanzungen: Weitere Bäume soll es unter anderem beim Barfüßer und in der weiteren Fußgängerzone geben. Im Ausschreibungskatalog für unser Dienstleistungszentrum beziehen sich 20 Prozent der Vergabekriterien auf ökologische Maßnahmen; beispielsweise erwarten wir Dach- und Fassadenbegrünungen. Auch eine unauffällige PV-Installation in den Dachziegeln ist ein Wunsch an den Investor. Wir sind gespannt, welche Ideen eingehen.

Das Thema Ökologie wird immer wieder beim Industriepark Giengen an der A7 hervorgehoben. PV auf den Dächern ist zwar löblich, doch bisher sieht man nur große Hallen, die als Aufbewahrungsstätten dienen. Eine zu kritische Sicht?

Ja, ich würde das als zu kritische Sicht sehen. Zwar hält der GIP A7 schon wegen seiner Lage große Flächen für Logistikanbieter vor, die Bezeichnung Aufbewahrungsstätten passt jedoch nicht. Ohne Logistik keine Produktion – Industrieunternehmen vergeben den Bereich wegen der immer komplexeren Prozesse zunehmend an Spezialisten und nutzen bisherige Logistikflächen neu. Diese Flächen finden sich dann in den Logistikzentren wieder, verbunden mit Arbeitsplätzen: Allein das neue Iveco-Lager bietet 230 Stellen.

Gleichzeitig entsteht der angekündigte Branchenmix. Denken Sie an die Jet-Wasserstofftankstelle, an die Baustoffhandlung Wölpert, an das Netze ODR-Bezirkszentrum, das nun größer als geplant wird, an den E-Mobility-Hub, an Liepert Blitzschutz, an die Würth-Niederlassung und, und, und. Wir werden die angekündigten 1000 Arbeitsplätze in jedem Fall schaffen: auch solche, für die ein Anlernprozess genügt, dem sich bei Interesse eine Weiterqualifikation anschließt. Das fehlt aktuell in Giengen.

Beim Thema Bebauungsplan im GIP A7 lassen wir niemanden raus.

Oberbürgermeister Dieter Henle

Kommen wir zurück zum Thema Ökologie…

Die geforderte Dachbegrünung geht im GIP A7 mit vielen anderen ökologischen Maßnahmen einher – bis hin zur Bepflanzung der Gesamtanlage, die zum Jahresende abgeschlossen sein wird. Lassen Sie ein bis zwei Jahre ins Land gehen, dann ist der GIP A7 das sichtbar grüne und belebte Gewerbegebiet nach dem Motto „Ökonomie und Ökologie“ im Einklang, das von Anfang an versprochen war.

Sie achten auch auf die Umsetzung, wie es in den Bebauungsplänen festgeschrieben ist?

Ja, da lassen wir niemanden raus. Uns waren 80 Prozent Dachbegrünung wichtig, um dem Thema Erderwärmung etwas entgegenzusetzen. Hinzu kommt die Möglichkeit der PV-Anlagen. Da waren wir sogar schneller als die Gesetzgebung.

Wie sieht es mit dem Verkauf von Flächen aus?

Ich bin optimistisch, dass schon bis Jahresende alles abverkauft sein könnte.

Die Stadt hat in den nächsten Jahren eine ganze Menge vor der Brust: Wärmeplanung, Umbau der Innenstadt, Radverkehrskonzept, massiver Umbau des Schießbergs, der Sportpark Schwage und noch mehr. Viele fragen sich: Woher soll das Geld kommen? Selbst wenn die Aufgaben auf Jahre angelegt sind, werden große Summen nötig.

Ja – die Aufgaben sind vielfältig, auf Jahre angelegt und bedingen große Summen. Das bildet die Herausforderung, der wir gerecht werden. Das nötige Geld dafür erwirtschaften wir solide, wie in unserer Strategie festgelegt. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat das einmal sehr schön als eine Politik beschrieben, die Wandel und Erneuerung nach vorne treibt, aber verhältnismäßig bleibt, die Sehnsucht nach dem Vertrauten berücksichtigt und die Menschen mitnimmt. Wir gehen als Kommune Schritt für Schritt voran, verknüpfen dabei Teilgebiete intelligent und nutzen Synergien. Rücken dabei Einzelthemen zeitweise nach hinten, weil wir aktuell wichtigere Posten vorziehen oder auf beantragte Fördergelder warten, ist das dem gesamten Gelingen geschuldet. Wichtig ist uns, Fortschritte früh zu kommunizieren und so die Menschen einzubinden – wie etwa aktuell beim Thema Bauen in Burgberg.

Geld ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen brauchen Sie auch in der Verwaltung die Power dazu. Ist das große Pensum zu schaffen oder birgt es die Gefahr, dass Mitarbeitende überfordert werden und eventuell sogar kündigen?

Ein gewisses Maß an Fluktuation gibt es immer, auch bedingt durch äußere Umstände oder individuelle Lebenspläne. Aber dass Mitarbeitende unserer Verwaltung aus Überforderung kündigen, sehe ich nicht. Grund dafür ist auch hier die Kommunikation in den Teams, das Erklären, das Abfragen persönlicher Ziele. Die Dynamik in der Verwaltung Giengens ist zweifellos außergewöhnlich. Gleichzeitig fasziniert sie und stärkt die Bindung im Team.

Die fördern wir auch in der Ausbildung: Wir tun alles, um unsere Azubis zu qualifizieren, zu motivieren und ihnen interessante berufliche Perspektiven zu bieten.

Sie sind noch für zwei Jahre gewählt. Die ganzen Vorhaben gehen deutlich drüber hinaus. Ich nehme an, Sie wollen die alle zu Ende bringen?

Sie kennen meinen Kommentar dazu: Wenn man mich lässt, bleibe ich ab 2025 sehr gerne weitere acht Jahre Oberbürgermeister der Stadt Giengen. Allerdings, auch das wissen Sie, denke ich nicht in Wahlperioden. Für mich entscheidet jeder Tag. Und: Vertrauen Sie darauf, dass das nicht alle Vorhaben sind… Da kommt noch was!