Heiliger Bimbam (3 von 17)

Hohenmemmingen hat gleich zwei Prachtexemplare aus dem 16. Jahrhundert

In Hohenmemmingen liegt in einem romanischen Kirchturm zumindest klanglich noch die Renaissance in der Luft. Und: Wegen den Glocken stieg sogar ein Pfarrer einst aus Protest aus der Nazi-Uniform.

Hohenmemmingen hat gleich zwei Prachtexemplare aus dem 16. Jahrhundert

Vorbei sind ab sofort die bislang merkwürdig klöppellosen Zeiten dieser Serie. Konnte man während der beiden Ausflüge nach Giengen den Eindruck gewinnen, dass vor 1700 gegossene Glocken aus den verschiedensten Gründen irgendwie nicht mehr läuten können, wird sich das nun ändern. In Hohenmemmingen sogar doppelt. Hier hängen gleich zwei Prachtexemplare aus dem 16. Jahrhundert. Die mit 450 Kilo schwerste Glocke des Geläuts verrät uns gut leserlich, wie alt sie ist und aus welchem Hause sie stammt:

„AVS DEM FEIR FLAMEN BIN ICH GEFLOSEN VON WOLF NEIDTHART IN VLM WARD ICH GEGOSEN 1576“

lautet die mit kleinen Knospen geschmückte Inschrift, deren N alle spiegelverkehrt wiedergegeben sind.

Dass diese Besonderheit weniger dem Corporate Design des Gießers zu verdanken als vielmehr eher auf ein Versehen oder mangelnde Sorgfalt beim Guss zurückzuführen ist, darauf lässt die Inschrift auf der zweiten Hohenmemminger Renaissance-Glocke schließen, die folgendes kundtut: „zv gotes lob vnd ehr bravch man mich wolfgang neidthardt in vlm gvs mich 1586“. Hier haben wir es zwar mit kleinen n zu tun, aber nicht mit spiegelverkehrten. Und selbst wenn stattdessen diesmal der Vorname des Gießers Wolfgang und nicht bloß Wolf lautet und der Nachname nicht nur in der Mitte, sondern auch hinten mit dt buchstabiert wird, so kann konstatiert werden, dass beide Glocken, wenn man so will, gewissermaßen aus demselben Stall kommen, nämlich der Werkstatt des aus Nürnberg gebürtigen und ab 1573 in Ulm wirkenden Wolfgang Neidthardt. Die größere und ältere der beiden Schwestern hat den Schlagton b, die jüngere, mit 260 Kilo mittlere Glocke des Geläuts schlägt das zweigestrichene des.

So alt sie sind, so jung gewissermaßen klingen die beiden Hohenmemmingerinnen. Wieder, muss man sagen, denn das klang bis vor zehn Jahren noch anders. Beide Glocken hatten sich in so abgenutztem Zustand präsentiert, dass Claus Huber, der Glockensachverständige der Evangelischen Landeskirche, Alarm schlug. Mit Erfolg. Beide Glocken wurden zur Sanierung zum für solcherlei Arbeiten weltweit einzig übriggebliebenen Spezialisten, dem Nördlinger Schweißwerk Lachenmeyer, gebracht. Und wo man schon mal dabei war, wollte sich der Kirchengemeinderat auch nicht lumpen lassen und spendierte allen drei Glocken, also auch der kleinsten, die 1974 von den Gebrüdern Bachert in Kochendorf bei Bad Friedrichshall gegossen wurde, neue, weichere Klöppel und neue Joche aus Holz.

Als 1974 nämlich der historische hölzerne Glockenstuhl durch einen vermeintlich modernen aus verzinktem Stahl ersetzt worden war, hatte das dem Klang der Glocken nicht unbedingt gutgetan. Nicht nur den Sound getrübt, sondern die Glocken regelrecht gefährdet hatten allerdings die seinerzeit verwendeten, viel zu harten Klöppel.

Die Zunge der Glocke

Der Klöppel wiederum, so etwas wie die Zunge der Glocke, ist in deren Haubenmitte befestigt, wo er, an einer von Metall umschlossenen dicken Lage Rindsleder verschraubt, an einem Bolzen hängt. Ein guter Klöppel ist handgeschmiedete Präzisionsarbeit, die früher nur wenige und heute noch weniger Schmiedemeister beherrschten beziehungsweise beherrschen. Genauso wichtig wie die Kunst des Schmieds ist die Wahl des Materials, da der Klöppel, um die Glockenwandung nicht zu beschädigen, beim Anschlag weich sein muss. Aus diesem Grund werden Klöppel inzwischen aus bestem Edelbaustahl gefertigt. Ein guter Klöppel hält lange: nämlich hundert Jahre. Trotzdem sollte man ruhig schon vor Ablauf dieser Frist nachschauen, ob noch alles seine Richtigkeit hat oder ob sich am Schlagring, dem untersten Teil der Glocke, an dem sie ihre größte Wandstärke besitzt und den der Klöppel beim Schwingen auf beiden Seiten trifft, schon auffällige Abnutzungserscheinungen bemerkbar machen. Die Faustregel dafür, was ein Klöppel so auf die Waage bringt, lautet: ungefähr vier bis fünf Prozent des Gewichts der Glocke, für die er bestimmt ist.

So viel zu den neuen Klöppeln. Wobei Pfarrer Johannes Weißenstein im Nachhinein mit ihnen und den Jochen am liebsten auch gleich den kompletten Glockenstuhl ausgetauscht hätte. „Wenn man bedenkt, um wieviel besser die Glocken an den hölzernen Jochen klingen, dann bedauert man schon, nicht auch gleich den stählernen durch einen Glockenstuhl aus Holz ersetzt zu haben. Der Klang wäre dann garantiert noch einmal schöner.“ Eine Einschätzung, der heute, da sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass in Sachen Glocken Holz nicht nur in in Bezug auf den Klang, sondern auch, was die Haltbarkeit anbelangt, Stahl eindeutig aussticht, niemand widersprechen würde.

Bestimmt auch nicht, wenn er denn sprechen könnte, der Hohenmemminger Kirchturm. Der wiederum, man sieht ihm das nicht unbedingt auf den ersten Blick an, ist sogar noch älter als die Glocken, die er beherbergt. Der romanische Turm der Martinskirche ragt seit dem Jahr 1100 in Hohenmemmingen auf und ist damit eines der ältesten noch erhaltenen Bauwerke überhaupt im Kreis Heidenheim.

Rückkehr aus dem Krieg

Er hat viel erlebt – und alles an Bedrohung seither überlebt. Wovon freilich auch die beiden in ihm wohnenden Renaissance-Glocken, von denen sich die jüngere allerdings aus elektrischen Gründen ausgerechnet vor den Ohren der Glockentester nicht in Bewegung setzen will, ein Lied läuten könnten. Kehrten doch beide unversehrt aus dem Zweiten Weltkrieg heim, der sie ins Glockenlager Lünen nach Westfalen verschlagen hatte, wo sie in den Hüttenwerken Kayser eingeschmolzen werden sollten. Sie blieben jedoch unangetastet liegen und kamen 1948 nach Hohenmemmingen zurück.

Sehr zur Freude auch des damaligen Pfarrers Georg Munz, einem der ersten Autofahrer im Dorf, von dem erzählt wird, er habe aus Ärger darüber, dass die Glocken überhaupt abtransportiert worden waren, am Tag ihrer Abholung die Uniform des NS-Kraftfahrerkorps ab- und nie wieder angelegt.