Seit mehr als 30 Jahren verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig in Deutschland und Europa sogenannte Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern und ein gedankliches Stolpern bewirken sollen. Mit den Stolpersteinen sollen diese Opfer ihren Namen und ihre Biografie zurückerhalten.
Bereits im November 2022 waren auf Initiative von Dr. Michael Benz und Anregung durch Stadtrat Rainer Baisch fünf Stolpersteine in Giengen verlegt worden. Am Samstag, 10. Februar, folgt nun die Verlegung sechs weiterer Stolpersteine in Giengen sowie in den Teilorten Burgberg und Sachsenhausen. Sie erinnern an fünf Bürgerinnen und Bürger, die von den Nationalsozialisten im Jahr 1940 wegen einer psychischen Erkrankung in Grafeneck ermordet wurden, und an eine Bürgerin, die der Deportation durch den Freitod entging.
Die Veranstaltung beginnt um 9 Uhr in der Marktstraße 53 mit Ansprachen von Oberbürgermeister Dieter Henle, Gunter Demnig und Dr. Michael Benz. Begleitet vom Posaunenchor der Evangelischen Kirchengemeinde findet im Anschluss der erste Stolperstein dort seinen Platz – er gilt dem Gedenken an Anna Schock. Es folgt die Verlegung von fünf weiteren Stolpersteinen: in der Gartenstraße 5 im Gedenken an Babette Mack, in der Weinbergstraße 14 im Gedenken an Reinhold Hähnle, am Kriegerdenkmal in Sachsenhausen im Gedenken an Leonhard Häußler, in der Stettbergstraße 39 in Burgberg im Gedenken an Margarete Ludwig und beim Kreuzstein 1 im Gedenken an Frida Langer.
Die zehn mal zehn Zentimeter großen Betonquader mit einer Messingplatte auf der Oberseite werden in der Regel vor dem ehemaligen Wohnhaus der Ermordeten in den Gehweg eingelassen. Inzwischen liegen diese Trottoir-Denkmale in etwa 1.265 Kommunen Deutschlands und in über 21 Ländern Europas. Mit mehr als 100.000 verlegten Steinen ist das Stolpersteinprojekt das größte dezentrale Mahnmal Europas. Stolpersteine sind nicht nur Opfern der „Euthanasie“-Morde gewidmet, sondern auch Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Zeugen Jehovas sowie Menschen, die aus politischen und religiösen Gründen Widerstand leisteten.
Stolpersteine sind auch als Mahnung gedacht
Bereits in seiner Ansprache beim Neujahrsempfang hatte OB Dieter Henle eindringlich auf den gefährlichen Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft hingewiesen. „Im Angesicht der fürchterlichen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges setzen wir gerade jetzt bewusste Zeichen für Demokratie, Menschlichkeit und unsere unverbrüchliche Solidarität mit all den Menschen, die in unserem Land von rechtsnationalen Gruppierungen, Parteien und Rädelsführern diffamiert oder eingeschüchtert werden“, so Henle im Vorfeld der Veranstaltung am 10. Februar. „Die zweite Verlegung von Stolpersteinen bei uns in Giengen ist ein klares Bekenntnis zu dieser Solidarität und Mahnmal zugleich.“
Zur Erinnerung: Zwischen 1939 und 1945 wurden insgesamt ca. 200.000 Frauen, Männer und Kinder aus psychiatrischen Einrichtungen des Deutschen Reiches durch Vergasung, giftige Medikamente oder mangelhafte Ernährung ermordet. Die erste Tötungsanstalt zum Massenmord in Deutschland richteten die Nationalsozialisten Ende 1939 auf dem Gelände des ehemaligen Samariterstifts Grafeneck bei Münsingen (Landkreis Reutlingen) ein. Dort wurden von Januar bis Dezember 1940 insgesamt 10.654 behinderte Menschen systematisch in einer zur Gaskammer umfunktionierten Baracke mit Kohlenmonoxid getötet.
Verantwortlich für den planmäßigen Massenmord an über 70.000 Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen in den Jahren 1940 und 1941 war seit Beginn des Zweiten Weltkriegs die geheime Leitzentrale zur Ermordung behinderter Menschen in Berlin, Tiergartenstraße 4 – benannt nach ihrer Adresse: „T4“.