Die katholische Kirchengemeinde Giengen wird die Familienkirche in Hohenmemmingen als Kirchengebäude in den nächsten Jahren aufgeben. Dies wurde den Gemeindemitgliedern in einer Gemeindeversammlung am Samstagnachmittag mitgeteilt. Die rund 70 Anwesenden hatten auch Gelegenheit, Fragen zu stellen und ihre Ansicht zum Thema zu äußern. Rede und Antwort standen Pfarrer Mathias Michaelis und Dr. Gregor Polifke, gewählter Vorsitzender des Kirchengemeinderats. Moderiert hat die Versammlung Gertrud Geiger, Mitglied der AG Organisationsberatung der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten, die in der Versammlung zur Sprache kamen:
Warum soll das Kirchengebäude aufgegeben werden?
Das Gebäude, für das 1956 der Grundstein gelegt wurde, hat Risse an der Nord-, West- und Ostfassade. Das Dach des Turmes, der Glockenstuhl und die Außenanlage sind renovierungsbedürftig. Teile der Bodenplatte haben sich um 25 Millimeter abgesenkt, generell sei die Bausubstanz schlecht, so Pfarrer Michaelis. Die Kosten einer Sanierung wurden 2022 auf 410.000 Euro geschätzt, mittlerweile sei mit 23 Prozent mehr zu rechnen, also rund 500.000 Euro.
Die Summe von rund einer halben Million Euro scheint nicht übermäßig viel. Warum wird das Geld nicht investiert?
Die katholische Kirchengemeinde Giengen, zu der Hohenmemmingen gehört, könne das Geld nicht selbst aufbringen, so Pfarrer Michaelis. Von der Diözese sei keine finanzielle Unterstützung zu erwarten. Und mehr noch: Selbst wenn sich die Kirchengemeinde dazu entschließen würde, die Summe zu investieren, gäbe es keine Genehmigung für die Sanierung von der Diözese, stellte Michaelis klar. „Der Diözesanbaumeister und ein Architekt waren vor Ort und haben sich das angeschaut“, berichtete er. Daraus sei der Kostenvoranschlag erfolgt, den er dem Bauamt der Diözese melden musste, das außerdem ein Nutzungskonzept für die Kirche verlange.
Wird die Familienkirche in Hohenmemmingen noch genutzt?
Pfarrer Michaelis berichtete, dass zu den Gottesdiensten am Dienstagabend vier bis sechs Gemeindemitglieder kommen würden. Am Samstagabend seien es zuletzt neun Gottesdienstbesucher gewesen. Im Durchschnitt besuchen 20 bis 25 Gläubige die Gottesdienste. „Eine tragfähige Liturgie im Dialog mit der Gemeinde abzuhalten, wird da schwierig“, so Michaelis. Der Pfarrer musste sich aber auch die Frage gefallen lassen, was er gegen den geringen Besuch der Gottesdienste tun würde und ob er alles richtigmache. Er reflektiere sein Tun regelmäßig, „Ich weiß, dass ich nicht alles richtigmache, sonst wäre ich der Messias“, so Michaelis. Moderatorin Gertrud Geiger berichtete, dass diese Fragen, was man gegen den geringen Besuch der Gottesdienste tun könne, überall gestellt werde, wo sie hinkomme.
Ist die Entscheidung für die Aufgabe der Kirche schon gefallen?
Betont wurde in der Gemeindeversammlung, dass der Kirchengemeinderat noch keinen Beschluss über die Entweihung des sakralen Gebäudes gefasst habe. Dass das Gebäude aufgegeben wird, scheint aber alternativlos zu sein. Im Verlauf der Diskussion wurde auch klar, dass durch die Entwicklung innerhalb der katholischen Kirche und den Mitgliederschwund in Zukunft wahrscheinlich sogar der Betrieb von zwei Kirchen in Giengen (Marienkirche und Heilig-Geist-Kirche) infrage stehen könnte. Derzeit hat die katholische Kirchengemeinde noch rund 4.800 Mitglieder.
Wie lange bleibt die Familienkirche noch in Betrieb?
Gregor Polifke sagte, es gebe keinen konkreten Zeitplan, weshalb man sich auf die Formulierung geeinigt habe, die Kirche mittelfristig aufzugeben. Erfahrungsgemäß würden solche Prozesse zwei bis sieben Jahre dauern. „Wir haben keine Zeitnot“, betonte er. Das Gebäude ist nicht akut einsturzgefährdet.
Was passiert mit dem Kindergarten, der direkt an die Kirche angebaut ist?
Der Kindergarten ist baulich in einem noch schlechteren Zustand als die Kirche. Der Beschluss für den Abriss des Kindergartens wurde vom Kirchengemeinderat schon vor längerer Zeit gefasst und soll in der zweiten Jahreshälfte erfolgen. Dies sei aufgrund der Verkehrssicherungspflicht notwendig. Das Loch, das dadurch in der Kirchenmauer entsteht, soll geschlossen werden.
Wurden die Gemeindemitglieder in Hohenmemmingen zu spät darüber informiert, dass ihre Kirche aufgegeben werden soll?
Darüber gab es in der Versammlung geteilte Meinungen. Vor allem Mitglieder des Sachausschusses Hohenmemingen fühlten sich nicht rechtzeitig mitgenommen und vor vollendete Tatsachen gestellt, zumal der Kostenvoranschlag für die Sanierung aus dem Jahr 2022 stammt. Entscheidungsgremium ist allerdings der Kirchengemeinderat. Aus dessen Sicht wurde der Sachausschuss informiert, sobald alle Fakten bekannt waren. Danach wurde die Gemeindeversammlung angesetzt. Zu dieser wurden die Mitglieder der Kirchengemeinde per Brief eingeladen, jedoch erst eine Woche vor dem Termin. Gregor Polifke bat darum, nach vorne zu schauen und sich nicht im Rückblick Vorwürfe zu machen. Es sei noch genug Zeit, um den Abschied vom Kirchengebäude gemeinsam zu gestalten.
Wie soll das Gemeindeleben in Hohenmemmingen ohne Kirchengebäude vor Ort aussehen?
Das ist bislang noch offen, wenn auch schon verschiedene Vorschläge am Samstag spontan geäußert wurden. So wurde angeregt, mit der evangelischen Kirchengemeinde in Hohenmemmingen Kontakt aufzunehmen, die dort ebenfalls eine Kirche hat. Es soll nun eine Arbeitsgruppe gebildet werden, die sich nicht nur aus Kirchengemeinderat und Sachausschuss zusammensetzt, sondern für alle interessierten Gemeindemitglieder offen ist. „Bitte überlegen Sie, wer mitmachen möchte“, so Polifke.
Wird die Kirche zwangsläufig abgerissen oder könnte sie auch anders genutzt werden?
„Ob die Kirche abgerissen wird oder nicht, müssen andere entscheiden“, so Pfarrer Mathias Michaelis. Es sei klar, dass die Kirchengemeinde das Gebäude nicht selbst nutzen könne, deshalb werde das Gelände auf jeden Fall abgegeben. Gregor Polifke sagte, es könne einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden, beispielsweise für Wohnbebauung.
Die Kirche wurde mit viel Eigenleistung von Flüchtlingen gebaut
Wie sieht die Generation, die die Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg mit viel Eigenleistung und Spenden erbaut hat, die Aufgabe des sakralen Gebäudes? Ein Vertreter dieser Generation war bei der Gemeindeversammlung dabei und meldete sich auch zu Wort: Der frühere Stadtrat und Kirchengemeinderat Jürgen Fischer (89), selbst mit seiner Familie aus Oberschlesien nach Giengen geflüchtet, berichtete von der Situation in den 1950er- und 60er-Jahren: Zunächst sei die Marienkirche saniert worden, dann habe man die Familienkirche und 1962 die Heilig-Geist-Kirche gebaut. Viele der Flüchtlinge seien Katholiken gewesen, der Kirchenbauverein sammelte Geld für die Gotteshäuser. „Alle Kirchen waren damals voll“, erinnerte sich Fischer. Diese Zeiten seien vorbei, „wir müssen den Realitäten ins Auge blicken“, so Fischer. Es lohne sich aus seiner Sicht nicht, auch nur einen Euro in die Kirche zu investieren.