Zu den täglichen Stoßzeiten ist es für Autofahrer kein Vergnügen, durch Giengen zu fahren. An den Ampeln staut sich der Verkehr, die Waldhornkreuzung ist überlastet, auf der Planiestraße geht es oft nur im Schritttempo voran. Abhilfe könnte die Stadtrandstraße schaffen, also eine Straße, die auf Höhe der Memminger Wanne abzweigen und über das Ried in die Bahnhofstraße führen würde. Auf dem Papier eine einfache Sache – seit Jahrzehnten tauchen aber immer wieder neue Probleme auf. Auch jetzt. Ein neues Gesetz der Landesregierung hat dem Projekt nämlich einen Bremsklotz in den Weg gelegt.
Giengens Bürgermeister Alexander Fuchs lässt keinen Zweifel am Ziel der Stadt: „Wir wollen die Planung jetzt zu einem Abschluss bringen.“ Gelinge es, den Verkehr zu einem großen Teil aus der Innenstadt zu bekommen, wäre das ein Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger, so Fuchs.
Der erste Schritt für Giengen: die Ostanbindung
Für das Verständnis der Komplexität des Vorhabens ist wichtig zu wissen, dass die Stadtrandstraße nicht einfach eine Piste ist, die mal eben in die Landschaft asphaltiert werden kann. Vielmehr müssen planerisch etliche Schritte aufeinander folgen und ineinandergreifen, damit die Straße ihren erhofften Zweck erfüllen kann.
Der erste Schritt wäre aus Giengener Sicht die sogenannte Ostanbindung. Auf Höhe der Memminger Wanne würde hierfür ein Kreisel an der Memminger Straße entstehen, an den nach Süden in Richtung der Giengener Kläranlage die neue Straße anschließen würde. Diese Straße würde zwar noch nicht direkt die Innenstadt entlasten, aber zumindest den Verkehr ins und aus dem Ried aufnehmen, der aus Hohenmemmingen und aus dem Dillinger Landkreis kommt.
Im nächsten Schritt müsste die Beseitigung des Giengener Bahnübergangs in Richtung Hermaringen erfolgen, den das Land anstrebt. Wie unlängst bei einer öffentlichen Präsentation in Hermaringen deutlich wurde, bevorzugt das Regierungspräsidium Stuttgart den Bau eines Tunnels unter dem bestehenden Bahnübergang, der nach aktueller Planung rund 67 Millionen Euro kosten würde. 2025 wird die Maßnahmenliste des Landes, auf der auch dieses Vorhaben steht, wieder überprüft. Dann wird klar sein, ob die Pläne weiter ausgearbeitet werden.
Zuerst braucht es Klarheit beim Bahnübergang
Der dritte Schritt, der aber erst geplant werden kann, wenn klar ist, durch welche Variante den Bahnübergang beseitigt wird, ist die sogenannte Westanbindung, also die Verbindung zwischen dem Ried und der Bahnhofstraße, für die auch die Brenz überquert werden müsste. Während es für die Ostanbindung bereits einen Aufstellungsbeschluss des Gemeinderats für einen Bebauungsplan gibt, existieren laut Fuchs für die Westanbindung bislang nur Skizzen. „Da müssen wir abwarten, welche Variante für die Beseitigung für den Bahnübergang zum Zuge kommt“, sagt der Bürgermeister. Erst dann könne man die Trassenführung genau planen, eine Artenschutzprüfung vornehmen und auch untersuchen lassen, wie dort vorhandene, überdeckte Moorbereiche zu bewerten sind.
Am weitesten fortgeschritten ist also die Ostanbindung. Hierfür hatte die Stadt sogar schon einmal Fördermittel bekommen, die Spaten für den offiziellen Baubeginn waren praktisch bereits bestellt, da machten seltene Arten und die städtischen Finanzen einen Strich durch die Rechnung (siehe Info). 2015 stellte die Stadt erneut einen Förderantrag beim Land, der offenbar bis heute nicht beschieden wurde – wegen der offenen Frage des Bahnübergangs. Dieses Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, aus dem die Mittel stammen sollen, hat nicht nur einen sperrigen Namen, es beinhaltet seit Kurzem auch einen Klimacheck. Dabei wird geprüft, ob neu zu bauende Straßen bei der Herstellung und Nutzung gegenüber der bisherigen Strecke eine Einsparung bei den Kohlenstoffdioxid-Emissionen erbringen.
Forschungsprojekt könnte den Bau ermöglichen
Diese Entlastung für die Umwelt würde die Ostanbindung nach bisheriger Planung aber offenbar nicht liefern. „Wir hatten bisher immer die Unterstützung des Regierungspräsidiums“, sagt Fuchs. Von Gesetzen könne man aber nicht abweichen. Vielmehr wird im Rathaus nun intensiv nach einer Lösung gesucht, wie die Straße doch eine Förderung bekommen könnte.
Planerisch abgespeckt wurde sie bereits in der Vergangenheit, die Rettung könnte aber im Straßenbelag liegen. Dieser besteht in der Regel aus Bitumen, also einem Nebenprodukt der Erdölverarbeitung, und Zuschlägen aus Gestein. Mittlerweile wird aber auch daran geforscht, dem Bitumen teilweise Kohlenstoff aus der thermischen Verarbeitung organischer Materialien wie Holz oder Nussschalen beizumischen. Das Kohlenstoffdioxid der organischen Stoffe wäre so dauerhaft im Straßenbelag gebunden und würde die Klimabilanz der Straße verbessern.
Noch sind solche Materialien aber nicht serienreif, sondern in der Erforschung. Giengen will sich aber bemühen, Teil eines Pilotprojekts zur Erprobung neuartiger Straßenbeläge zu werden. Das Land müsse diesen Schritt, an dem vor allem auch Universitäten und Asphalthersteller beteiligt wären, aber ausdrücklich befürworten. Die Stadtverwaltung sei hierzu bereits in Gesprächen mit dem Land, sagt der Bürgermeister.
Ein Ergebnis gibt es freilich bisher nicht, dennoch hat man rathausintern einen neuen Zeitplan erarbeitet. Die Gespräche mit dem Land über eine Förderung des Vorhabens sollen demnach idealerweise noch dieses Jahr, spätestens aber bis Mitte 2025 abgeschlossen werden. Danach werde man, so Fuchs, die Planung weiterführen, um in etwa zwei bis drei Jahren mit dem Bau der Ostanbindung beginnen zu können.
Noch weitaus fernere Zukunftsmusik ist übrigens eine Ortsumfahrung für Hohenmemmingen, die dann wiederum die Stadtrandstraße ergänzen und vervollständigen würde. Mehr als eine Machbarkeitsstudie gibt es hierfür jedoch bis jetzt nicht.
Fortschritte und Rückschläge
Während die Idee der Stadtrandstraße schon seit etlichen Jahrzehnten existiert, gibt es seit etwa 2002 eine Planung, die heute in den Grundzügen noch aktuell ist. 2005 stellte die Stadt einen Antrag nach dem Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, der 2006 auch positiv beschieden wurde. Drei Jahre später verzögerte sich die weitere Planung jedoch aus Gründen des Artenschutzes. 2010 wurde die Planung allerdings abgebrochen, weil das Regierungspräsidium damals festgestellt hatte, dass der Bau die damals klamme Stadt finanziell überfordert hätte. Die Finanzierung musste aus dem Haushalt genommen werden, 2012 wurde der Förderbescheid widerrufen, der rund die Hälfte der Baukosten umfasst hätte. Schlimmer noch: 2018 musste Giengen bereits geflossene Fördermittel zurückzahlen. Bereits 2012 begann die Stadt mit der Planung einer abgespeckten Variante für die Ostanbindung.