Januar
Jetzt werden keine halben Sachen mehr gemacht: Nachdem die Hebebühne am Sundgau-Center, die im vergangenen Jahr installiert wurde, die Kundschaft optisch und funktionstechnisch null Komma null überzeugen konnte, starten im Januar die Bauarbeiten für einen wahrhaftigen Aufzug. Nach drei Wochen findet die Installation rekordverdächtig ihren Abschluss. Zunächst scheint alles gut zu laufen, doch schon am zweiten Tag nach Inbetriebnahme bleibt jemand im Aufzug stecken. Wie sich herausstellt, wurden technische Teile für den Aufzug auf einer Gebrauchtwarenbörse im Internet ersteigert – von der Deutschen Bahn. Die hatte das defekte Material noch von den Liften am Bahnhof in Giengen übrig und ist bekanntlich auf jeden Cent angewiesen.
Februar
Im Gemeinderat gibt es Stress. Der Schriftführerin des Gremiums ist es nicht entgangen, dass immer dann in den vergangenen Monaten, wenn der Fußballclub im benachbarten Heidenheim donnerstags europäisch im Einsatz war, die Zahl der Absenzen in den Fraktionen in die Höhe ging. Sogar bei der letzten Sitzung 2024 war das so – obwohl es danach lecker Essen und Musik vom Handharmonika-Spielring Schnaitheim gab. Dieter Henle spricht das Thema in nicht öffentlicher Sitzung an und bittet darum, die Fußlümmelei nicht über die spannenden Tagesordnungspunkte wie „Änderungen von Hebesatzsatzungen“ oder „Vorberatung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans für das Gewann 78/123X89“ zu stellen.
Mit der scharfen Reaktion hat Henle nicht gerechnet. Aus den Reihen des CDU-Wählerblocks wird „Fußball ist unser Leben“ angestimmt, die Unabhängigen/Grünen drohen Henle Sitzungssaalverbot an und aus der SPD-Ecke fliegen gar Pyros.
Ordnungsamtsleiter Uwe Wannenwetsch und seine herbeieilenden Hilfssheriffs können die Menge schließlich beruhigen. Der Antrag, die Sitzungen auf einen anderen Tag zu verlegen, findet wegen Singstunden, Ex-Lehrer-Sport, Medizinerstammtisch und anderen Verpflichtungen keine Mehrheit. Der Kompromiss: Live-Ticker ist während der Sitzungen erlaubt, Live-Stream dagegen nicht.
März
„Giengen blüht auf“ heißt es im ersten Frühlingsmonat. Giengen bewährt sich, wie nicht anders zu erwarten, auch als Messestadt. Tausende Besucher lassen sich rund um die Schwagehalle beeindrucken von all dem, was Handwerk, Industrie, Handel und Gewerbe im mittleren Brenztal zu bieten haben. Exquisite kulinarische Köstlichkeiten (z. B. Heiße Rote, eigens positiv bewertet von Wursttester Jochen Gerstlauer) sowie kulturelle Leckerbissen (unter anderem der Handharmonika-Spielring Schnaitheim) sorgen darüber hinaus für beste Laune auf dem und rund ums Messegelände.
April
Bürgermeister Alexander Fuchs und Oberbürgermeister Dieter Henle haben das Büro getauscht. Henle ist über den Tedi gezogen, weil er von da freie Sicht auf den Briefkasten am Rathaus hat. Den bewacht er nun – tagein, tagaus. Am 1. April startete die Phase, in der Kandidaten ihre Bewerbung für die Wahl des Oberbürgermeisters abgeben können – bis zum 21. April.
Es werden harte Wochen für den Amtsinhaber. In den ersten Nächten dachte er, Kontrahenten erspäht zu haben. Bei genauerem Hinsehen wurde ihm klar, dass das die Zeitungsausträgerin ist oder ein Betrunkener, der nur schwer nach Hause findet. Ansonsten: nichts. Doch dann, kurz vor Mitternacht am 20. April: Ein Porsche hält direkt am Rathaus, hinten ein Sylt-Aufkleber darauf. Ein Mann steigt aus, wirft einen Umschlag in den Briefkasten und rauscht wieder von dannen. Henle begreift sofort: Das ist der Ex-Finanzminister Lindner, der nach der vergeigten Bundestagswahl mit anschließendem Rausschmiss Deutschlands bekanntester Arbeitsloser ist. Der will ihm den Job streitig machen? Den Supermetzger begrüßen und den Barfüßer einweihen? Henle entwirft sofort eine umfassende Strategie, wie er gegen den Freidemokraten bestehen wird.
Zu einer Kandidatur kommt es jedoch gar nicht. Bei einer Nachfrage der Wahlkommission bei Lindner sagt dieser, er habe keine Kenntnis von der Kandidatur und der Inhalt sei ihm nicht erinnerlich.
Mai
Die Gruppe „Bürger für Giengen“ hat seit ihrer Gründung schon einiges erreicht. Sie hat den Gemeinderat erfolgreich unterwandert und Kandidaten für die Kommunalwahl beim Speed-Dating verkuppelt. Im Vorfeld der Oberbürgermeisterwahl kommt es bei der Giengener APO allerdings zu ersten Verwerfungen. Einige hätten gern einen eigenen Kandidaten oder eine Kandidatin ins Rennen geschickt. Andere wiederum wollen nicht wie bisher gegen alles sein, sondern sich auf ein Thema fokussieren. Es kommt zu Abspaltungen. Gegründet werden die Gruppen „Bürger für Giengen first“, „Bürger, Bürgerinnen und alle dazwischen und außerhalb für Giengen“ und die „Südstadt/Schießberg-Separatisten“. Allen Gruppen gemein: Michael Zirn ist Vorsitzender.
Juni
Das Kinderfest findet gemäß Tradition am Pfingstdienstag, in diesem Jahr also am 10. Juni, statt. Fast schon im Hochsommer. Kontrovers wurde zuvor im Gemeinderat diskutiert, ob aufgrund der Jahreszeit und des Klimawandels nicht auf das Frühlingslied „Der Winter ist dahin“ verzichtet werden sollte. Eine knappe Mehrheit sprach sich dagegen aus. Es konnte keine Alternative dafür (auch nicht von der Alternative fD) gefunden werden. Wegen der akuten Waldbrandgefahr um diese Jahreszeit sieht sich OB Dieter Henle beim Preistanz beim Entfachen des Zunders mit der Zigarre umringt von Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr. Das zur Sicherheit im Tanzkreis stehende Löschgruppenfahrzeug LF 10 trübt die heitere Kinderfeststimmung kaum. Die abschließende Stäffelespredigt findet, mit der Möglichkeit der Abkühlung, im Bergbad statt.
Juli
Im ersten Wahlgang ist die Sache entschieden. Dieter Henle wird am 20. Juli erneut zum Oberbürgermeister gewählt. Obwohl es keinen Gegenkandidaten gibt, liegt die Wahlbeteiligung sensationell gut bei 93 Prozent. Und auf den alten und neuen Oberbürgermeister entfallen 99,9 Prozent der Stimmen. In den nächsten Tagen erreichen das Rathaus zahlreiche Glückwunschtelegramme aus Kuba, China und von ehemaligen Apparatschiks aus früheren Ost-Berliner Bezirken.
Am Wahlabend selbst zeigt sich Henle erleichtert, bedankt sich und sagt: „Wir werden in den nächsten acht Jahren die Stadtrandstraße fertigstellen.“ Millisekunden später fällt ihm auf, dass er versehentlich die Rede vom Wahlsieg 2016 eingesteckt hat. Egal, denkt er sich, das hat ihm schließlich vor acht Jahren auch schon keiner geglaubt.
August
Nachdem das Kirchplatz-Open-Air mit Stefanie Heinzmann ja eher für ein jüngeres Publikum gedacht war, hat Kulturamtsleiter Andreas Salemi beim Stadtfest zwei weitere Asse für die reifere Jugend im Ärmel. Gleich nach dem Auftritt des Handharmonika-Spielrings Schnaitheim betreten die Liedermacher Reinhard Mey und Hannes Wader die Bühne. Nicht nur haben beide in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Konzerte in der Stadt gegeben, sondern sie haben auch im Laufe ihrer Karriere Lieder gedichtet, die speziell von Giengen handeln. Der Barde Mey besingt in seinem Song „Mein roter Bär“ beglückt das Produkt der weltberühmten Giengener Spielzeugfirma Steiff, Wader schwärmt nostalgisch im Lied „Lissi“ von der verstorbenen Wirtin des Gasthauses Felsen, Elisabeth Drost. Das Publikum, sichtlich gerührt, schluchzt mit, auch der Zeitungsreporter braucht drei Tage, bis er sich so weit wieder gefasst hat, um einen brauchbaren Bericht vom Ereignis zu verfassen.
September
Das Rund-um-Flutlicht am Giengener Industriepark zieht nicht nur Motten an. War es im vergangenen Jahr die Feldlerche, die sich auf den satt begrünten Dächern der Hallen zu Dutzenden Pärchen niederließ, um den Nachwuchs auszubrüten, wurden in den vergangenen Monaten weitere Tierarten entdeckt. Zunächst wurden Beschreibungen von Mitarbeitenden als Kokolores abgetan, doch nun hat es Giengen schwarz auf weiß, nachdem Tierforscher im Dreieck zwischen Autobahn und Landesstraße ein Kolloquium abgehalten haben. Ihre Erkenntnisse sind sensationell: Sowohl die Lichtstärke in der Nacht als auch die ausufernde Bedachung, der weitläufige Schattenwurf der XXL-Hallen und die Wasserqualität im Regenbecken sind ideale Habitate sogar für exotische Tiere.
Nicht nur Hamster, Igel, Rehe und Wildschweine wurden von den Experten gesichtet, sondern auch bedrohte Tierarten wie Adler, Bonobos, Braunbären, Elche, Kegelrobben und Meeresschildkröten. Auch Faultiere und Pfeilgiftfrösche wurden entdeckt. Amazonas bei Amazon sozusagen.
Oberbürgermeister Henle freut sich: „Ich wusste schon immer, dass das Gebiet die perfekte Symbiose aus Ökologie und Ökonomie ist.“ Die Lokalpresse tauft den Industriepark in „Arche Dieter“ um.
Oktober
Große Erleichterung bei der evangelischen Gemeinde: Die Finanzierung der teuren Sanierung der Stadtkirche steht. Beim Umherkruschteln im Bläserturm entdeckt Pfarrer Joachim Kummer in einer staubigen Ecke ein unscheinbares Holzkistchen. Darin, gar nicht unscheinbar, finden sich einige mittelalterliche Golddukaten, die ein durchreisender Theologe offenbar zurückgelassen hat, um sich nach seinem Aufenthalt für Kost und Logis in Giengen zu bedanken. Diese erbringen bei einer Auktion durch das Haus Christies in London mehr als genug, um die Stadtkirche als wahre Notre Dame an der Brenz erstrahlen zu lassen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gratuliert. Leider bestätigt sich die Hoffnung, dass es sich im Begleitschreiben zu den Dukaten um die Handschrift Martin Luthers handelt, nicht. Der Autor schreibt unter anderem, auf der Marktgass sei ihm zwar „manch grimmig Gesicht“ begegnet, aber er habe gleich neben dem Rathaus auch „viel leckeren Trunk“ genossen in der Schenke „Zum baren Fuß“.
November
Als letztes großes Thema des Jahres knöpft sich der Gemeinderat nochmals die Abschaffung des ungeliebten straßengleichen Bahnübergangs in Richtung Hermaringen vor. Die diskutierte Tunnellösung wird sogar vom größten Optimisten (OB Henle) als illusorisch betrachtet. Das Gremium hält sogar die eher scherzhaft eingebrachte Lösung einer Autofähre auf der Brenz für realisierbarer als den Vorschlag des Regierungspräsidiums. Die Idee: Am Giengener Wohnmobilstellplatz rollen die Fahrzeuge auf die Schiffe, gleiten die Brenz hinab bis zum Zielpunkt Hermaringen-Hafen, wo direkter Anschluss besteht an die B 492, und weiter geht die Fahrt. Das Catering auf den Fähren übernimmt der Höhlen- und Heimatverein Hürben. Für musikalische Unterhaltung sorgt der Handharmonika-Spielring Schnaitheim. Der Gemeinderat Hermaringen grummelt gegen das Vorhaben, vordergründig wegen ökologischer Bedenken, aber in Wirklichkeit, weil man nicht selbst auf diese bahnbrechende Idee kam.
Dezember
Haushaltseinbringung: Für 2026 sehen die Zahlen exzellent aus. Nicht mal dem CDU-Wählerblock fallen Schwachpunkte auf, die sich in Anträgen formulieren ließen. Kein Gemecker, kein Genörgel. Damit keine Langeweile aufkommt, hat sich OB Henle etwas einfallen lassen: „Die fünf Sterne haben wir nun mit größtmöglichem Erfolg hinter uns gelassen. Es ist an der Zeit, die Erdumlaufbahn zu verlassen und in neue Dimensionen einzutreten.“
Der Rathaus-Chef kündigt an, dass jetzt in Galaxien gedacht wird: Milchstraße, Große Magellanische Wolke, Andromeda, Sculptor und M 33 – so werden die städtischen Vorhaben nun aufgeteilt. Und ein Beispiel aus der Praxis hat Henle sofort im Blick: Die bürgerschaftliche Aktion Sternenkässle wird in „Galaxienkässle“ umbenannt. Durch Zeit und Raum mit dieser neuen Version des Raumschiffs Enterprise geht es, klarer Fall, wie gehabt mit Schirmherrin Simone Henle am Steuer. „Beam me up, Dieter!“