Wer die Giengener Stadtkirche nach dem Gottesdienst durch das Südportal verlässt, könnte an dem Lädchen auf der anderen Seite des Kirchplatzes ein gelbes Schild sehen, das auf eine Lotto-Annahmestelle hinweist. Im Normalfall mag die Verbindung zwischen Kirchgang und Glücksspiel sehr lose sein, am Dienstag wurde sie aber sehr eng: Die Denkmalstiftung Baden-Württemberg überbrachte der evangelischen Kirchengemeinde einen Scheck über 73.240 Euro – aus Mitteln der „Glücksspirale“.
Seit einigen Tagen ist der Glockenturm der Stadtkirche von einem mächtigen und komplizierten Gerüst eingehüllt, seit Wochenbeginn tummeln sich auch erste Handwerker im Turm, darunter Zimmerleute und Fachleute für die Sanierung von Rissen im Mauerwerk. Wie Bauleiter Werner Stolz vom Langenauer Architekturbüro Weber erklärte, pressen die Arbeiter speziellen Mörtel in die Risse, um diese auszufüllen. Im nächsten Schritt werden sogenannte Anker eingebaut, die das Gemäuer weiter stabilisieren sollen.
Stadtkirche Giengen: Glockenstuhl aus Stahl führte zu Schäden
In Kürze wird zudem der Glockenstuhl im Innern mittels hydraulischer Pressen angehoben und mit Dämpfungslagern versehen. Diese sollen dazu beitragen, dass beim Glockenläuten künftig weniger Schwingungen auf das historische Mauerwerk übertragen werden. Wie Pfarrer Dr. Joachim Kummer am Rande der Scheckübergabe berichtete, wurde bei einer Sanierung 1905 der damalige hölzerne Glockenstuhl durch einen aus Stahl ersetzt. Was damals offensichtlich niemand erkannte: Stahl überträgt viel mehr Schwingungen auf die Mauern als Holz, so wurden die Wände nach und nach rissig. Bis zu fünf Millimeter breit sind die senkrechten Risse laut Bauleiter Stolz.
Schäden gibt es aber auch im Nachbarturm: Es war Mesner und Turmbläser Tilman Kreh, der die Architekten schon vor rund drei Jahren darauf hinwies, dass der Bläserturm beim Läuten beträchtlich wackle. Bei genaueren Untersuchungen zeigte sich, dass dort ebenfalls gravierende Risse aufgetreten sind. Der Bläserturm soll ab dem Frühjahr 2025 saniert werden, das Gerüst am Glockenturm soll in wenigen Wochen schon wieder abgebaut werden können.
Die Turmsanierung wird mehr als 900.000 Euro kosten
Im Laufe der aufwändigen Voruntersuchungen traten nicht nur unerwartete Schäden zutage – die Sanierungskosten stiegen auch immer weiter in die Höhe. Nach der jüngsten Berechnung liegen die Kosten für die Turmsanierung bei rund 904.000 Euro. Aus Eigenmitteln und Spenden finanziert die Kirchengemeinde rund 227.000 Euro. Knapp 203.000 Euro steuert die Stadt Giengen bei, weil sie aufgrund einer historischen Ausscheidungsurkunde dazu verpflichtet ist, an Turm, Uhr und Glocken entstehende Kosten anteilig mitzutragen. Bürgermeister Alexander Fuchs betonte, die Stadtkirche sei eines der prägendsten Gebäude der Stadt, das nun deutlich mehr als eine Schönheitsreparatur benötige. Der Ausgleichsstock der Landeskirche beteiligt sich mit fast 245.000 Euro an den Baukosten, der Kirchenbezirk steuert 83.000 Euro bei.
Mit der gleichen Summe wie die Denkmalstiftung beteiligt sich das Landesamt für Denkmalpflege an den Kosten. Dessen Präsident Prof. Dr. Claus Wolf hob den Wert der Stadtkirche als Baudenkmal hervor. Kritik an nachlässigen Sanierungen der Vergangenheit wollte der oberste Denkmalschützer Baden-Württembergs nicht verhehlen: „Wenn man bei den Sanierungen der Siebziger- und Achtzigerjahre sorgfältiger gearbeitet hätte, hätten wir heute weniger Probleme.“ Es sei schmerzhaft, jetzt hohe Summen investieren zu müssen, „aber dann haben wir für einen langen Zeitraum Ruhe“.
Stadtkirche hatte nicht immer zwei Türme
Die erste urkundliche Erwähnung der Stadtkirche stammt aus dem Jahr 1374, es gibt jedoch Reste eines noch älteren romanischen Vorgängerbaus. Der Bläserturm war ursprünglich ein Wachturm innerhalb der Stadtmauer, wurde aber im 15. Jahrhundert bei einer Erweiterung ins Kirchengebäude integriert.