Stammt die Hürbener Glocke von Schloss Hellenstein?
Unsere Glöckner sind heute in Hürben, wo sie sich im mit Abstand engsten Glockenstuhl der Expeditionsreise tummeln: Deshalb haben sich Arthur Penk und Manfred Kubiak wieder in ihre Schutzkleidung gehüllt und wirken darin, wie sie so durchs Dorf schreiten, ein bisschen wie Invasoren von der Wega: Männer in Weiß, zu denen sich kurz vor der Kirche ganz selbstbewusst noch ein weißer Kater gesellt.
Die Glocke, um die es den Besuchern vor allen Dingen geht, ist, wenn man so will, von einem gewissen Raunen umgeben, da ihre Herkunft nicht mehr ganz eindeutig geklärt werden kann. Denn sie hing nicht schon immer im Turm von St. Veronika, sondern tut dies erst seit dem Jahr 1711. Damals stand die Kirche noch weiter oben am Berg beim Friedhof. Und zwar in sehr schlechtem Zustand, da sie im Dreißigjährigen Krieg völlig abgebrannt und noch nicht wieder präsentabel aufgebaut war.
Da dies nun nachgeholt werden sollte, wurde auch nach einer Glocke gesucht – und wohl aus Kostengründen wurde eine „gebrauchte“ gefunden. Wie es aussieht, in Heidenheim. Die Glocke, so ist in einer alten Beschreibung der Kirche nachzulesen, soll von Schloss Hellenstein stammen. Einen Beweis dafür gibt es nicht, doch hat sich glücklicherweise der Gießer auf der Glocke verewigt. Und dessen Name lässt stark darauf schließen, dass die Geschichte mit Schloss Hellenstein stimmen könnte. „bernhart lachaman gos mich anno dm 1496“ ist auf der Schulter der Hürbener Glocke neben „ihesus naserenus rex ivdeorum“ zu lesen.
Bernhart Lachaman also. Bei ihm handelt es sich um einen der berühmtesten spätgotischen Gießer in Württemberg, der in Heilbronn wirkte und ein äußerst umfangreiches Œuvre, im Landkreis Heidenheim aber, außer in Hürben, nirgendwo sonst Spuren hinterlassen hat. Will man nun davon ausgehen, dass die Glocke von 1496 von Schloss Hellenstein gekommen ist, muss man sich fragen, wann sie dorthin gelangt sein mag. Und woher? Kaum direkt aus der Gießerei. Denn Schloss Hellenstein kam erst 1503 zu Württemberg, nachdem es zuvor 1450 aus dem Besitz der Helfensteiner zunächst in bayerische Obhut gelangt war. Hätten die Bayern die Glocke bei einem Gießer aus einer schwäbischen Reichsstadt bestellt? Und wofür? Die Schlosskirche zum Beispiel wurde erst 1610 erbaut. Es könnte also durchaus sein, dass die Lachaman-Glocke zuerst noch woanders geläutet wurde, ehe sie nach Heidenheim gelangte. Hat sie Herzog Johann Friedrich aus irgendeiner anderen herzoglichen Kapelle, Kirche für die Heidenheimer Schlosskirche holen lassen? Oder hing sie doch schon vorher ganz woanders auf dem Schloss? Als Sturmglocke etwa? Wogegen allerdings die Art ihrer Inschrift spräche… Ehe das Rätsel nicht gelöst ist, bleibt es ein Gerücht. Allerdings haben ja auch Geheimnisse ihren ganz eigenen Charme.
Sicher ist nur: 1711 kam die Glocke nach Hürben – und hatte dort bald schon gefährliche Abenteuer zu bestehen. Im August 1728 nämlich schlug der Blitz in die gerade halbwegs restaurierte Kirche ein. Und als man die Schäden mehr schlecht als recht behoben hatte, wurde das regelrecht vom Pech verfolgte Gotteshaus im Jahr 1737 von einem gleich doppelten Blitzschlag in Schutt und Asche gelegt.
Zweimal vom Blitz getroffen
Die Glocke überlebte. Und sie zog schon ein Jahr später in die 1738 in Rekordzeit an der heutigen Stelle errichtete Kirche ein. Dort läutete sie als mit 470 Kilogramm schwerste Glocke zusammen mit einer kleineren Schwester, die 1869 von einer von Philipp Jakob Wieland in Ulm gegossenen, 200 Kilo auf die Waage bringenden ersetzt wurde.
Der Hürbener Kirchturm ist sehr schmal. Dementsprechend eng geht es darin zu. Und so überrascht es keineswegs, dass der Glockenstuhl, zu dem der Vorsitzende des Kirchengemeinderats, Hans-Ulrich Eberhardt, und der frühere Pfarrer Friedrich Hartmann die beiden Glockentester führen, extrem wenig Platz bietet. Hier zwei Glocken nebeneinander zu hängen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb hängen die inzwischen drei Glocken des Hürbener Geläuts übereinander: ganz oben die Taufglocke von 1869, in der Mitte die Kreuzglocke von 1496 und ganz unten die 1959 bei Heinrich Kurtz in Stuttgart gegossene Betglocke, die mit 575 Kilogramm schwerste des Terzetts.
Bevor Letztere angeschafft werden konnte, musste auf Anraten des Sachverständigen des Oberkirchenrats der damals noch im Turm befindliche hölzerne Glockenstuhl gegen einen aus Stahl ausgewechselt werden. Man hatte wohl Angst um den Turm, der, so die Einschätzung, unter ständiger Überbelastung ernstzunehmenden Schaden hätte nehmen können. Auch die Holzjoche, an denen die Glocken bis dato aufgehängt gewesen waren, wurden durch Stahljoche ersetzt. Und um die Gefahr noch weiter zu minimieren, wurden die Glocken tiefgekröpft aufgehängt, was ihren Schwerpunkt nach oben verlagert. Dies mag zwar der Statik des Turms entgegenkommen, bringt aber deutliche Einbußen in Sachen Klang mit sich. Die heutige Denkschule der Glockensachverständigen würde sicherlich eine Gesamtlösung des Hürbener Problems in Holz suchen und finden.
Kirchenpfleger Epplen greift ein
Gefunden wurde die älteste der Hürbener Glocken glücklicherweise auch wieder nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem sie 1942 hatte abgegeben werden müssen. Wer die Möglichkeit hat, im Innern der Glocke genau nachzuschauen, kann dort noch die Herkunftsbezeichnung „Hürben“ entdecken, die der damalige Kirchenpfleger Epplen in die Glocke geschrieben hatte, nachdem diese vor dem Abtransport noch einen Tag auf einem Pferdeschlitten in der Dorfmitte gestanden hatte. Es ist überliefert, Epplen habe rote Farbe benutzt. Dies allerdings bestätigt der Blick hinein nicht. Mag sein, dass die Farbe nach so langer Zeit aber auch ausgebleicht ist. Jedenfalls konnte die Glocke nicht zuletzt aufgrund dieses schriftlichen Hinweises aus der Heimat richtig zugeordnet werden und kam so im Februar 1948 wieder nach Hürben zurück.
Dort wurde sie feierlich auf einem Pferdefuhrwerk durch das Dorf zur Kirche gefahren, nachdem zuvor ein Lkw der Spedition Hartmann sie bis an den Ortseingang gebracht hatte. Mit derselben Fuhre kehrten übrigens auch die Glocken aus Lontal, Hausen ob Lontal und Reuendorf wohlbehalten aus dem Krieg zurück.
Der Schlagton der Lachaman-Glocke ist übrigens ein b.
Und die Glockenspione begnügen sich diesmal mit dem Klang nur einer, der ältesten Glocke. Denn würden sich im engen Hürbener Glockenstuhl alle drei Glocken bewegen, wäre Filmen, Fotografieren und selbst sogar Lauschen nur unter höchster Gefahr für Leib und Leben möglich.