Noch bevor man um die Ecke auf die Rückseite der Schwagehalle abgebogen ist, riecht es schon nach Lackfarbe und man hört in einem unregelmäßigen Rhythmus Sprühgeräusche. Im Näherkommen dann: vier Jugendliche mit Atemschutzmasken, die vor einem vorbereiteten Stück der Hallenwand stehen und dort ihre Kunstwerke aufsprühen. Alle vier haben sich Figuren ausgesucht, die sie im Workshop mit Graffiti-Künstler Sebastian „Seko“ Hienz umsetzen. Aber jede hat einen komplett anderen Stil, die jungen Sprayer gehen auf unterschiedliche Weise ans Werk. Alle vier besuchen das Margarete-Steiff-Gymnasium, kommen aber aus verschiedenen Jahrgangsstufen.
Der coole Jürgen
Laura (16) hat einen Jungen im Comicstil auf die Wand gesprüht, er steht ganz lässig da, die Hände in den Hosentaschen, mit skeptischem Blick. Später baut sie noch mal ironische Distanz zu ihm auf, indem sie ihm den Namen Jürgen gibt und diesen daneben sprüht. Ein cooler Junge, dem die Eltern einen Vornamen aus der falschen Generation verpasst haben? Oder ein heute schon älter gewordener Jürgen, den man hier als coolen Jungen sieht? Die Interpretation des Kunstwerks liegt wie immer beim Betrachter. Laura zeichnet schon länger im Comic- oder Mangastil, normalerweise aber digital. Mit dem Graffiti-Workshop hat sie sich zum ersten Mal an ein ganz anderes Medium gewagt. Dass sie schon Vorkenntnisse mitbringt, sieht man aber deutlich.
Ihr bester Freund Paul (17) beschäftigt sich sonst eher mit grafischen Designs und gestaltet Flyer und Plakate. Er hat ein dreiköpfiges Wesen auf die Wand gesprüht, das einige ornamentale Elemente enthält. „Als ich heute Morgen hierherkam, hatte ich noch keine Ahnung, was ich machen will“, sagt er, seine Figur sei ganz spontan entstanden. Er findet es cool, dass es in Giengen die Möglichkeit für so einen Workshop gibt, und wünscht sich Flächen in der Stadt, auf denen legal gesprüht werden darf. „Die Schwagehalle wäre doch perfekt dafür, hässlicher kann sie nicht werden“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Lisa (14) hat sich eine Hello-Kitty-Figur ausgesucht, die sie mit weißer und rosa Farbe auf die Wand bringt. Sie malt sonst mit Acryl oder Kreide. Ihre Comic-Katze kann sie ohne Vorlage sprühen, „aber man kann ja auch ausbessern, es muss nicht gleich perfekt sein“, sagt sie. Sie hat Freunde, die Graffiti machen, und hat sich von ihnen inspirieren lassen, am Workshop teilzunehmen.
Auf Folie im Garten geübt
Bei Samuel (17) liegt die Kreativität in der Familie, seine Mutter ist Kunstlehrerin. Trotzdem habe er sich selbst bis vor Kurzem noch nicht fürs künstlerische Gestalten interessiert. Vor einiger Zeit allerdings fing er an zu zeichnen, beim Malen auf Papier kam dann eine Sprühdose als Gestaltungselement mit ins Spiel. Das Sprayen auf einer großen Fläche hat er zu Hause schon auf Folie ausprobiert, die im Garten zwischen Bäumen gespannt wurde. Das betrachtete er aber nur als Möglichkeit zu üben, denn die Kunstwerke auf Folie können nicht konserviert werden. Anders am Samstag auf der Hallenwand: Hier hat er sich als Vorlage ein Bild von Rapper Travis Scott ausgesucht, das er nun in Lila, Blau, Schwarz und Weiß aufsprüht.
Sebastian Hienz, der selbst seit mehr als 20 Jahren mit Spraydosen gestaltet, leitet nur behutsam an, steht für Fragen bereit, lässt den Jugendlichen aber völlig freie Hand. Er ermuntert dazu, nicht zu viel nachzudenken: „Beim Sprayen steht man manchmal auch unter Zeitdruck und dann entstehen spontan coole Sachen, weil man einfach machen muss“, so Hienz. Das bedeutet allerdings nicht, dass hinter der aufgesprühten Straßenkunst nicht sehr viel Arbeit und Übung steckt: „Man braucht schon eine gewisse Ausdauer, wenn man gut werden will“, sagt er.
Neon-orange aus dem Baumarkt
Selbst war er schon als Kind fasziniert von Graffitis, die er beispielsweise bei Autofahrten an Brückenpfeilern sah. Seine Mutter förderte die Faszination und kaufte ihm mit acht Jahren die erste Sprühdose im Giengener Baumarkt – Farbe neon-orange – und ließ ihren Sohn in der Garage ausprobieren, wie man damit umgeht. „Als ich Jugendlicher war, gab es noch kein Internet, man hat ganz schwer Informationen über die Graffiti-Szene bekommen“, erinnert sich Hienz. Das Hip-Hop-Magazin „Juice“ sei eine Inspiration gewesen, dort gab es immer einige Seiten über Graffiti. Erste legale Kunstwerke sprühte Hienz in der Giengener Südstadt ans Lumpen-Wolff-Gebäude, das vor dem Abriss stand, später auch an die Bühlschul-Turnhalle.
Heute hat er einen Brotberuf, der ihm den Lebensunterhalt sichert, um in seiner Kunst unabhängig von Aufträgen sein zu können. „Ich will Kunst nicht als Arbeit sehen und jeden Auftrag annehmen müssen“, so Hienz. Bei der Vermittlung des Sprayens an Jugendliche hat er sichtlich Spaß. „Oft ist das Niveau überraschend hoch, egal, ob die Jugendlichen jetzt Graffiti oder Streetart machen“, sagt er. Er freut sich über jeden, der sich kreativ betätigt: „Das ist doch besser, als immer nur am Handy zu hängen“, so der Workshopleiter.
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