Besuch vom Staatssekretär

Wie Schäferei und Filzherstellung in Baden-Württemberg gemeinsam die Zukunft gestalten können

Die Filzfabrik in Gerschweiler ist ein Alleinstellungsmerkmal im Landkreis, sieht sich aber vor Herausforderungen. Staatssekretär Dr. André Baumann besuchte das Unternehmen und sprach auch über seine Begeisterung für Wolle und Schäferei.

Wer Volker Roth durch die langen Hallen und hohen Treppenhäuser der Vereinigten Filzfabriken Giengen (VFG) folgt, kann leicht außer Atem geraten. Roth natürlich nicht, er ist diesen Dauerlauf gewöhnt. Mehr als 20.000 Schritte absolviere er so jeden Tag, erzählt der Produktionsleiter und spricht nebenbei über die Feinheiten der Filzherstellung.

Sein Zuhörer an diesem Tag lässt sich von den langen Wegen auch nicht beeindrucken: Dr. André Baumann ist Staatssekretär im baden-württembergischen Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und will sich in Giengen an dieser Schnittstelle von Landwirtschaft und industrieller Produktion informieren. Dafür nimmt er die weiten Wege in Kauf: „Ich bin ein großer Schäferei-Fetischist“, sagt Baumann. Er hat über die Geschichte der Schäferei in Süddeutschland promoviert, war Nabu-Vorsitzender von Baden-Württemberg und hatte jahrelang über seinem Schreibtisch das Porträt der Nabu-Gründungsfigur Lina Hähnle hängen, die wiederum Gattin des Giengener Filzfabrikanten Hans Hähnle war. Kreis geschlossen.

Nachhaltig: Diese Maschine wurde im Kern 19898 gebaut und verrichtet bis heute ihren Dienst. Rudi Penk

Heute aber ist der Grünen-Politiker unter anderem für Schäferei und die im Land weit verbreiteten Magerrasen zuständig. Eine Fabrik im Ländle, die aus regional erzeugter Wolle Dinge herstellt, die in modernen Industrieprodukten gebraucht werden – da ist Baumann gebannt, zumal beim Gespräch mit Roth und VFG-Chef Jürgen Haggenmüller sein Blick auf die sorgfältig beweideten Hänge des Benzenbergs fällt.

Schäferei zählt zum Unesco-Kulturerbe

Zunächst aber wird es historisch. Baumann weiß aus seiner wissenschaftlichen Arbeit zu berichten, dass die Wacholderheiden, die für die Landschaft der Region so prägend sind, schon während der Bronzezeit vor etwa 4000 Jahren entstanden sind. Roth kontert im obersten Stockwerk des Produktionsgebäudes mit einer Maschine aus dem Jahr 1898, die nicht nur optisch beeindruckend ist, sondern bis heute ein unersetzlicher Bestandteil der Fertigungskette ist. Unersetzlich auch deshalb, weil niemand mehr solche Maschinen baut.

Abseits der Faszination für die lange Geschichte der Filzherstellung, die im Kern seit Urzeiten gleich funktioniert, ging es beim Besuch des Staatssekretärs vor allem um die Zukunft. Aus Sicht des Politikers ist es wichtig, die Schäferei „zukunftsfähig“ zu machen, immerhin hat die süddeutsche Wander- und Hüteschäferei seit 2018 den Status eines immateriellen Unesco-Kulturerbes. Derzeit verdienen Schäfer ihr Geld vorrangig mit der Pflege der Kulturlandschaft, die Fleischvermarktung steuert ein Zubrot bei. Wolle gilt dagegen lediglich als tierisches Nebenprodukt.

Aus Wolle, Dampf und Reibung wird Filz. Rudi Penk

Dieses Nebenprodukt ist aber der zentrale Rohstoff für die Giengener Filzfabrik. Und was wäre eleganter, als Wolle heimischer Schafe für die Filzproduktion zu verwenden. Die Grenzen dieses Ansatzes erklären sich beim Blick ins Wolllager von allein: Dort stapeln sich die Ballen mit Wolle verschiedenster Herkunft, und schnell ist klar, dass hier mehr Wolle verarbeitet wird, als Schäfereien in weitem Umkreis liefern könnten.

Keine Wollwaschanlage in der Nähe

Hinzu kommt: Wolle ist nicht gleich Wolle. Produktionsleiter Roth erklärt: Die Wolle von der rauen Alb ist nicht fein genug, zumindest nicht für alle Anwendungen. Roth plädierte daher für verstärkte Zucht, um die Wollqualität zu verfeinern. Außerdem wird bei der Schur die Wolle in den meisten Fällen nicht sortiert, obwohl es am Schaf selbst Körperregionen mit besserer und schlechterer Wolle gibt. Letzter Knackpunkt: Wolle muss vor der Verarbeitung gewaschen werden, um etwa das Wollfett zu entfernen. Die derzeit wichtigste Wollwaschanlage steht jedoch in Belgien.

Staatssekretär Baumann notierte sich etliche Themen, die er in die Landeshauptstadt tragen will. Für das wichtige Schäfereiland Baden-Württemberg eine mobile Wollwaschanlage zu beschaffen, ist demnach nicht utopisch. Baumann will sich außerdem für einen gemeinsamen Termin der Player in dieser wirtschaftlichen Nische einsetzen, damit Schäfer, Landschaftspflege und verarbeitende Industrie zu einem neuen Gleichgewicht finden.

Filz für Daimler und Porsche?

VFG-Alleinvorstand Jürgen Haggenmüller berichtete von den Herausforderungen, die Energiekosten zu senken, die in einem Betrieb, der zwingend mit Wärme und Dampf arbeiten muss, ein wesentlicher Faktor sind. Aber auch die Tatsache, dass die Fabrik fernab aller schnellen Datenleitungen in Gerschweiler liegt, beschäftigt Haggenmüller.
Der Filz, der bei den VFG hergestellt wird, findet verschiedenste Anwendungen, nicht zuletzt auch im Maschinenbau, wo mittels Filzbauteilen Schmierstoffe exakt dosiert verteilt werden können. Staatssekretär Baumann wollte geprüft wissen, ob die baden-württembergische Autoindustrie nicht auch Filz aus dem Brenztal für Dichtungen oder ähnliche Anwendungen nutzen könnte.