Erster Weltkrieg

Eintausend Briefe: Die bewegende Heidenheimer Liebesgeschichte von Berta und Michael Hurler

Eintausend Liebesbriefe schicken sich Berta und Michael Hurler aus Heidenheim während des Ersten Weltkriegs. Mehr als hundert Jahre später fassen ihre Enkel diese handschriftlichen Schätze zu einem Buch zusammen. Einblicke in eine so spannende wie bewegende Liebesgeschichte.

Berta liebt Michael. Und Michael liebt Berta. Dass das zeit ihres Lebens so gewesen ist, das wussten die Kinder und Enkel der beiden schon immer. Doch wie intensiv diese Liebe war und welche Hürden sie überwinden musste, offenbarte ihnen ausgerechnet eine alte, ausgediente Blechdose.

1991: Nach dem Auszug aus dem Haus der Großeltern findet der Heidenheimer Wolfgang Hurler ebenjene Blechdose. Neugierig wagt er einen Blick ins Innere. Ein mit einer Schleife zusammengebundener Stapel Briefe fällt ihm in die Hände. Es sind Liebesbriefe. Liebesbriefe, die sich seine Großeltern Berta und Michael Hurler zwischen 1915 und 1918 in der Hochphase des Ersten Weltkriegs zuschickten. „Die Dose lang jahrzehntelang im Keller. Die Briefe darin waren kaum zu entziffern. Das Ganze schien mir unmöglich“, erzählt Wolfgang Hurler.

Eine Blechdose und eine Holzkiste: Die Fundorte der mehr als 1000 Briefe und Postkarten. Foto: Rudi Penk

Und doch lässt ihn der Briefstapel nicht los. Mithilfe der Texterkennungsplattform Transkribus versucht Hurler, den Inhalt der Blechdose zu übersetzen – mit überschaubarem Erfolg. „Letztlich musste ich mehr korrigieren, als dass mir das Programm geholfen hat. Irgendwann habe ich gelernt, die Briefe selber zu transkribieren.“

Mehr noch: Im Gespräch mit Hurlers Schwester Margot offenbart sich, dass noch eine weitere Box voller Schätze existiert. Eine inzwischen mehr als hundert Jahre alte Holztruhe, in der sich noch weitaus mehr Briefe befinden. Über tausend Stück zeugen von Bertas und Michaels Geschichte. Gemeinsam mit seinen Schwestern Ulrike Hurler und Gertrud Maier fängt Wolfgang Hurler an, auch diese Briefe zu übersetzen. Stück für Stück setzt sich dadurch eine so bewegende wie faszinierende Familiengeschichte zusammen.

Die Enkel von Berta und Michael Hurler: (von links) Gertrud Maier, Wolfgang Hurler und Margot Hurler. Foto: Rudi Penk

1915: Am 31. August verloben sich Berta und Michael. Er ist damals 26 Jahre alt, sie 22. Michael wächst in Donaualtheim auf, Berta verbringt ihre Kindheit in der Heidenheimer Felsenstraße, gleich oberhalb der Bergschule. Einen Tag nach der Verlobung beginnt Michael seinen Kriegsdienst, seine Grundausbildung findet in Ulm in der Gaisenberg-Kaserne statt. Räumlich voneinander getrennt, beginnt ab diesem Zeitpunkt der Briefwechsel zwischen den beiden.

Auf dünnem, inzwischen ausgebleichten Papier geschrieben, offenbart sich das Leben des jungen Paares. Sie erzählt von der Gründung des eigenen Eisenwarengeschäfts Knödler & Hurler, welches während Michaels Zeit in der Armee quasi eigenständig von Berta geführt wird. Die Zeilen berichten von der Geburt des ersten gemeinsamen Sohnes, von den schrecklichen Erfahrungen, die Michael an der Kriegsfront macht. Und sie berichten von der Sehnsucht, die die beiden empfinden, niemals wissend, wann und wie lange sie sich wiedersehen dürfen.

Das Eisenwarengeschäft Knödler & Hurler in der Heidenheimer Wilhelmstraße. Foto: privat

„Aus den Briefen geht hervor, dass sich unsere Großeltern ganz arg geliebt haben“, sagt Wolfgang Hurler. Liebe, liebe Berta, ich habe so Sehnsucht nach dir, eröffnet Michael seiner späteren Frau in einem der Briefe. Auch Margot Hurler ist sich sicher: „Es war keine Zweckehe.“ Mehr noch, die Briefe hätten ihr eine völlig neue Seite ihrer Großmutter Berta offenbart. „Als Kind habe ich sie eher als streng erlebt. In den Briefen wirkt sie hingegen ganz weich und sehr liebevoll.“

Die mehr als tausend Briefe und Postkarten sind anfangs nicht chronologisch geordnet. So kommt es, dass Gertrud Maier mehr zufällig als allererstes einen Brief in die Hand bekommt, der von der Geburt ihres eigenen Vaters berichtet. „Wir waren zunächst etwas irritiert, weil in den Briefen oft von einem Rolf gesprochen wird.“ Erst später wird der Familie klar, dass damit der Vater, der eigentlich Rudolf getauft wurde, gemeint ist.

Berta Hurler mit dem gemeinsamen Sohn Rudolf im Jahr 1919. Foto: privat

„Unsere Großeltern hatten nur eine einfache Schulbildung“, erläutert Gertrud Maier. „Und trotzdem konnten sie ihre Empfindungen und Erlebnisse so ausführlich, so schön in Worte fassen. Die Geburt unseres Vaters beschreibt unsere Oma in einem Brief so detailliert, man hat sie beim Lesen quasi miterlebt.“

Die Hurler-Geschwister lernen bei der Lektüre zahlreiche neue Seiten von Berta und Michael kennen. Berta sei eine emanzipierte Frau gewesen, findet Margot Hurler. „Auch wenn sie das vielleicht gar nicht sein wollte.“ Dennoch zieht Berta während des Ersten Weltkriegs ein Kind gewissermaßen alleine groß, sie führt ein Geschäft, sie kämpft für mehr Lohn. Eine moderne Frau. Auch Michael scheint seiner Zeit voraus gewesen zu sein, wie diese Briefe zeigen.

Zwölf dieser identischen Postkarten waren vom 30. September bis 17. Oktober 1917 die einzigen Lebenszeichen von Michael Hurler. Foto: privat

„Trotz all seiner Erlebnisse an den Fronten in ganz Europa ist unser Opa ein lieber, immer lächelnder Mensch geblieben“, findet Margot Hurler. Und auch wenn der Respekt und die Liebe für ihre Oma schon immer dagewesen seien, so seien diese durch die Briefe nur noch größer geworden, berichtet Gertrud Maier.

Drei Jahre Korrespondenz zeichnen nicht nur die Tücken und Wirren des Krieges nach, sie beschreiben eben auch die ersten Beziehungsjahre von Berta und Michael, wie sie deren Enkel nie gekannt haben. Fragen sind dennoch geblieben. An die tausend Fragen, wie die Geschwister erklären. „Wir wissen zum Beispiel nicht, welche Einstellung unsere Großeltern während der Hitlerzeit hatten“, so Wolfgang Hurler. Patriotisch veranlagt sei Michael aber wohl nicht gewesen, vermutet Gertrud Maier. Mit Ende des Ersten Weltkrieges sei er eher erleichtert gewesen.

Ein Familienfoto von Michael, Rudolf und Berta Hurler im Urlaub, Juni 1918. Foto: privat

„Ich hätte unsere Großeltern gerne gefragt, warum sie uns damals nicht mehr von ihrem Leben erzählt haben“, sagt Maier. „Das soll kein Vorwurf sein. Es wäre nur so schön gewesen.“ Ihr Bruder stimmt Maier zu. Aus Kenntnis dieser Briefe hätte er viel intensiver mit seinen Großeltern gesprochen.

Die Corona-Hochphase kommt den Geschwistern zugute. In dieser Zeit transkribieren sie die rund tausend Briefe, sortieren sie chronologisch und basteln sie schließlich zu einem Buch zusammen. Wichtig sei dabei der übergeordnete Zusammenhang, weswegen die Briefe nicht einfach nur abgedruckt, sondern immer wieder mit Kommentaren, Kontext und Ergänzungen an einem gemeinsamen roten Faden zusammengeknüpft werden.

Die Briefe wurden auf dünnem Papier geschrieben und nach Ende des Krieges in Zeitungspapier verpackt. Foto: Rudi Penk

Lange überlegen die Hurler-Geschwister, ob der Inhalt der Briefe nicht vielleicht zu intim für die Öffentlichkeit ist, ob der Schatz nicht vielleicht weiter in den eigenen vier Wänden gehütet werden sollte. „Doch die Briefe wurden so lange und so sorgfältig aufgehoben“, erzählt Wolfgang Hurler. Es ist fast, als ob Berta und Michael gewollt hätten, dass die Nachwelt diese ersten, aufwühlenden Jahre ihrer Beziehung eines Tages zu Gesicht bekommt. Die originalen Schriftstücke werden inzwischen beim Landesarchiv in Stuttgart verwahrt. In Buchform ist diese Heidenheimer Liebesgeschichte jedoch jedem zugänglich. Denn sie zeigt: Berta liebt Michael. Und Michael liebt Berta.

Lesung der tausend Briefe in der Stadtbibliothek Heidenheim

Die Geschichte von Berta und Michael Hurler wird am Dienstag, 19. November, in der Stadtbibliothek Heidenheim erzählt. Ab 19 Uhr findet im Margarete-Hannsmann-Saal zunächst ein einleitendes Gespräch mit den Hurler-Geschwistern über die Entstehung des Buchs statt. Es folgt eine szenische Lesung von Marita Kasischke und Klaus-Peter Preußger aus den Briefen.

Karten gibt es im Vorverkauf in der Stadtbibliothek, bei der Stadtinformation, online unter laendleevents.de sowie an der Abendkasse. Das Buch selbst ist über die Stadtbibliothek ausleihbar.

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