Verkehrssicherheit vor 60 Jahren

Als Heidenheim erstmals „Kavaliere der Straße“ suchte

Im März 1964 ereigneten sich in Heidenheim mehrere tödliche Unfälle. Im Bemühen um mehr Verkehrssicherheit wurden erstmals „Kavaliere der Straße“ gesucht. Das hatte es mit dieser Aktion auf sich.

60 Kilometer pro Stunde. Auf der B19. Beim Abzweig Richtung Itzelberg. Mancher fühlt sich über Gebühr ausgebremst durch die Schilder, die dort im März 1964 nach einer Verkehrsschau aufgestellt werden und Unfällen vorbeugen sollen. Sie dienen dem gleichen Ziel, das auch die Arbeitsgemeinschaft „Kavalier der Straße“ verfolgt.

Neu vertreten ist in diesem Kreis die Heidenheimer Zeitung. Sie nimmt fortan Vorschläge entgegen, welche Verkehrsteilnehmer für vorbildliches Verhalten ausgezeichnet werden sollen. In einem Kommentar appelliert die Redaktion an die Leserinnen und Leser, sich an der Suche nach Personen zu beteiligen, die beispielhaft auftreten: „Es gibt kein sicheres Mittel gegen den Verkehrsunfall, aber es gibt die Möglichkeit, vorzubeugen und dem Sensenmann Opfer zu entreißen.“

Im Hotel Ochsen kommt im März 1964 der Verleihungsausschuss der Aktion „Kavalier der Straße“ zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Teilnehmer sind unter anderem Oberbürgermeister Elmar Doch, Landrat Albert Wild, HZ-Verleger Karl-Heinz Wilhelm und Chefredakteur Helmut Braun. Archiv

Genau einen Monat später stehen vier Männer im Rampenlicht und werden als erste offizielle „Kavaliere der Straße“ im Landkreis Heidenheim gewürdigt: Helmut Brachert, Otto Donat, Werner Fanselow und Willi Rutat. Die Entscheidung, sie mit einer Plakette zu ehren, ist begleitet von der Hoffnung, „dass sich auf unseren Straßen mehr und mehr ein ritterlicher Geist durchsetzen, und dass das Beispiel der vier Ausgezeichneten Schule machen möge“. So nachzulesen in der HZ.

Wie nötig es ist, immer wieder eine angemessene Fahrweise anzumahnen, belegen nackte Zahlen: Zwischen Gründonnerstag und Ostermontag ereignen sich auf den Straßen in Stadt und Kreis Heidenheim 23 Verkehrsunfälle. Drei Personen kommen dabei ums Leben: ein zehn Monate altes Kind, seine Mutter und ein 59-jähriger Mopedfahrer. Die ernüchternde Bilanz weist außerdem sieben Verletzte und einen Sachschaden von insgesamt 42.370 Mark aus.

Pkw mit zwei unterschiedlichen Kennzeichen

Nicht genau zu beziffern ist der Wert des ausgedienten VW Käfers, den Unbekannte an der Turnstraße in Heidenheim zurücklassen. „Zustände wie in Amerika“ ist über dem Foto zu lesen, das das schrottreife Gefährt zeigt: Im Innern liegt der Motorblock, die Sitze sind herausgerissen, die Nummernschilder fehlen. Gleich zwei unterschiedliche – vorn ein belgisches, hinten ein deutsches – befinden sich an einem bei Salach von der Polizei kontrollierten Pkw.

Am Steuer des wegen Benzinmangels liegengebliebenen Fahrzeugs sitzt ein 21-jähriger Automechaniker aus Gerstetten. Er hat seinem Arbeitgeber den Wagen entwendet und damit eine Spritztour unternommen, die aufgrund des leeren Tanks alsbald ein plötzliches Ende findet. Die Ausrede des jungen Mannes, ein Unbekannter habe ihn zur Mitfahrt eingeladen, verfängt nicht. Es stellt sich heraus, dass er den Pkw gestohlen hat, seine Tat aber nicht zugeben will, weil er wegen Fahrens ohne Führerschein vorbestraft ist. Da er außerdem aufgrund einer Reihe von gemeinschaftlich begangenen Einbrüchen verurteilt wurde und in Kürze ins Gefängnis muss, wird er an Ort und Stelle in Haft genommen.

Flugplatz für Heidenheim im Gespräch

Vor allem Geschäftsreisende können derweil mit kleineren Maschinen auf den Pisten des Luftsportrings Aalen in Elchingen bzw. einer Privatfirma bei Heubach landen. Unterdessen werden Forderungen laut, nahe Heidenheim einen Flugplatz zu bauen, „wenn wir nicht auch auf diesem Gebiet in den von Fachleuten oft zitierten Verkehrsschatten geraten wollen, unter dem wir von der Straße und von der Bahnlinie her gesehen schon zu leiden haben“.

Allerdings bietet der Luftweg keineswegs die Gewähr, verlässlich ans Ziel zu kommen. Das zeigt sich, als nahe Neu-Ulm ein Düsenjäger der Bundeswehr bei einem Übungsflug abstürzt. Zwei Besatzungsmitglieder sterben.

Der Heidenheimer Bahnhof im März 1964. Kurz darauf soll der zeit- und kostenaufwändige Umbau des Empfangsgebäudes abgeschlossen sein. Archiv

Auf dem Boden bleiben hingegen die Zugreisenden. Um ihren Aufenthalt in Heidenheim komfortabler zu gestalten, wird das Empfangsgebäude seit 1961 für zwei Millionen Mark umgebaut. Am 16. Juni 1964 soll es feierlich eingeweiht werden, teilt die Bahn mit. Mit einem buchstäblich großen Bahnhof ist an diesem Tag zu rechnen, immerhin steht Heidenheim mit fast exakt 50.000 Einwohnern auf Platz 14 der größten Städte Baden-Württembergs. Die Spitzenposition nimmt Stuttgart ein (640.000), auf Rang 21 liegt Aalen (34.000).

Heidenheims Stadtkämmerer Ernst Kuch (stehend) bei seiner Verabschiedung am 20. März 1964. Rechts neben ihm ist Oberbürgermeister Elmar Doch zu sehen. Archiv

Noch ist die Gästeliste nicht veröffentlicht. Der Name Ernst Kuch dürfte aber wohl draufstehen, auch wenn Heidenheims Stadtkämmerer Ende März nach 42-jähriger Amtszeit in den Ruhestand verabschiedet wird. Fest steht auch: Zur Feier des Tages wird der allseits als seriös geschätzte Beamte auf keinen Fall die Angelique genannte Modefrisur für Frühjahr und Sommer 1964 tragen – mag die örtliche Friseurinnung sie auch unter großem Beifall bei ihrer Zusammenkunft im Konzerthaus vorstellen und als „für jeden Typ tragbar“ anpreisen.

Warum ausgerechnet 60 Jahre zurück?

Im Dezember 2008 war der Lokschuppen Schauplatz eines Festabends, bei dem eine seit 60 Jahren bestehende freie und unabhängige Presse in Heidenheim im Mittelpunkt stand. Damals mischten sich Aus- und Rückblicke. Unter anderem wurde die Idee geboren, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, worüber die HZ jeweils 60 Jahre zuvor berichtet hatte. Die Serie startete mit der Rückschau auf 1949. Mittlerweile gilt das Augenmerk dem Jahr 1964.

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