Landestheater Tübingen

Womit die "Dorfpunks" im Konzerthaus Heidenheim glänzten

Die Landestheater Tübingen lieferte eine originelle Version von Rocko Schamonis "Dorfpunks", die vor Ideen nur so sprühte.

Schau mal an, Punk ist mehrheitsfähig geworden. Gut, vielleicht haben sich nicht alle in der Inszenierung des Landestheaters Tübingen von Rocko Schamonis „Dorfpunks“ wiedergefunden, die der Theaterring am Dienstabend im Konzerthaus zeigte. Den Punks von einst wären vermutlich die Irokesenschnitte zusammengefallen, die Ratten von den Schultern und die Sicherheitsnadeln aus den Gesichtern gerutscht angesichts dieses unerhört unterhaltsamen Schnelldurchlaufs durch ihre Geschichte aus Anarchie und Anti-Haltung, Protest und Provokation. Damals wäre das so gewesen – heute schwelgten auch sie in Erinnerungen an "No Future", "No Bock" und "No Angst" vor selbstgemachtem Piercing. Der immer wieder aufbrausende Beifall des äußerst gemischten Publikums aus jungen, ganz jungen, älteren Zuhörern und solchen, die dem Punk offensichtlich die Treue halten, zeigte dies deutlich.

Das hat Regisseur Dominik Günther, auch verantwortlich für die Bühnenfassung, aber auch fein zusammengestellt: Zeitgeist, Sprüche, Musik von damals mit Ironie und Augenzwinkern von heute ergeben ein originelles und amüsantes Abbild einer Punker-Karriere, so wie sie Rocko Schamoni ja selbst erlebt und aufgeschrieben hat. Er tat dies in seinem Roman als Ich-Erzähler. In seine Rolle schlüpfen in dieser Inszenierung gleich zwei Spieler und eine Spielerin, und das ist noch untertrieben: Gilbert Mieroph, Justin Hibbeler und Rosalba Salomon spielen einfach alle. Berater beim Arbeitsamt, David Bowie, Diskothekenbesitzer, Budenbesitzerin, Eltern, Klassenkameraden, den Reeperbahn-Veteranen mit dem John-Lennon-Schnapsglas, und zu dritt bringen sie da eine ganze Welt auf die Bühne, die Welt der späten 1970er, Anfang 1980er Jahre mit allem Drum und Dran.

"Bravo", Zündapp, Lammfelljacken

Dabei gibt es ein munteres Durchreichen von Requisiten, die allein schon zum Seufzen einladen können: Schallplatten, die „BRAVO“, Lammfelljacken, Zündapp – alles Dinge, die ältere Besucher sentimental werden und jüngere staunen lassen, weil sie sie ja gar nicht mehr kennen. Und in der Geschichte jene Sehnsucht und Suche der Heranwachsenden, die wohl jede Generation kennt und damit ebenfalls ältere Besucher sentimental werden lassen kann.

Rocko Schamoni und seine Hauptfigur Roddy führt das – wie einige seiner Generation – zur Punkwerdung. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, und wenn es das unauffällig gefällige Äußere ist, werden sie, laut, gewalt- und diebstahlbereit und anstößig, die „Eiterbeule im Gesicht der alten Dame Dorf“. Und sie sind ständig am Gründen: das Magazin „Bitte einmal Pissscheiße“ und immer neue Bands, nach „Sprühshit“ folgen „Die Götter“ und schließlich die „Amigos“ mit dem schönen Song „Roswitha – shalalala“ mit dem Glockenspiel, womit sie bei der Anti-Haltung zur Anti-Haltung angelangt sind, in die das Publikum kräftig mitsingend einstimmt.

Heidenarbeit für das Darsteller-Trio

Die Geschichte hätte krawallig-düster sein können, so wie der Auftakt mit dem Heidenheim-Loblied à la Sex Pistols es vermuten ließ, sie hätte eine Psychoanalyse mit der Diagnose „Schrei nach Liebe“ werden können, wie es beispielsweise die Sinnsuche nach dem Sinn von Sinn, untermalt mit dem hypnotisierenden „Riders on the storm“  der „Doors“, markiert, aber mitnichten: Kunterbunt und schillernd war diese Punk-Revue, die vor Ideen nur so sprüht und an vielen Stellen einfach saukomisch ist. Das beginnt schon beim Programmheft: Die aus Texten und Schnipseln zusammengestellte Collage wie frisch aus dem Kopierer beamte sofort gut vierzig Jahre zurück in die Zeit des Geschehens. Handpuppen kamen zum Einsatz, Stofftiere, Pappmaché-Schinken und Erbrochenes aus Plastik - die Lust am Entdecken wurde immer neu geweckt. Vor allem aber ist die Geschichte eine Heidenarbeit für die Darsteller: Requisiten schwingen, Kostüme wechseln, Text sprechen in verschiedenen Rollen, singen, tanzen – herrlich: die Angus-Young-Parodie und das auch das Publikum infizierende „I was made for loving you“ – und immer wieder Drehbühne bewegen, die angesichts dreier Ebenen und vielen Gegenständen vom Drumset bis zur Ladentheke ganz schön schwer gewesen sein muss.

Schwer wiegt sie auch als Idee: Alles lässt sich darauf darstellen, von der Reithalle der angebeteten Celine über den Pausenhof bis zum Talentwettbewerb und zur Transitstrecke in das New York von Deutschland mit dem verheißungsvollen „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin“-Gefühl und schließlich dem Hosen-Konzert – für die Jüngeren: Ja, die Toten Hosen waren nicht immer so geschmeidig wie in Tagen wie diesen, das war tatsächlich mal eine Punk-Band -, das für die „Amigos“ trotz oder besser: wegen der Campino-Einladung auf die Bühne ziemlich in die Hosen ging.

Und doch: „Für immer Punk“ singen die drei Immer-noch-Amigos am Ende, auch wenn sie wissen lassen, dass „Für immer“ drei natürliche Feinde hat: „die Faulheit, die Müdigkeit wegen des Berufsalltags und vor allem die Einrichtung von Nestern privater Zweisamkeit“. Feindbilder, die ja im Übrigen auch Hippies, Popper, Waver und Co. haben. Das Publikum weiß das. Und singt fröhlich mit. Punk kann eben wunderbar mehrheitsfähig sein. Und Theater so inspirierend.

Provozierender Schlagerentertainer

Schauspieler, Schriftsteller und Musiker Rocko Schamoni wurde 1966 in Kiel geboren. Die "Goldenen Zitronen" und die "Toten Hosen" begleitete er als provozierender Schlagerentertainer auf Tourneen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Film, Funk und Fernsehen gibt er Gastspiele mit seiner Humorvereinigung "Studio Braun", zu der auch Heinz Strunk gehört. Sein Roman "Dorfpunks" erschien 2004. Im Jahr 2008 folgte die Uraufführung der Theateradaption und im Jahr 2009 die Verfilmung.

Jetzt neu: Die HZ auf WhatsApp kostenlos abonnieren – Hier klicken und alle News aufs Handy bekommen.

undefinedundefined
Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar