Apotheker fürchten um die flächendeckende Versorgung im Landkreis Heidenheim
Der November wurde als Protestmonat der Apotheken ausgerufen. Jeweils mittwochs bleiben in einem anderen Gebiet die Apotheken geschlossen. Bayern und Baden-Württemberg sind am 22. November dran. Zentrale Kundgebung beider Länder ist in Stuttgart und beginnt symbolträchtig um fünf nach zwölf Uhr, die Veranstalter rechnen mit 4000 Teilnehmenden.
Warum streiken die Apotheker nun ein drittes Mal?
Cornelie Rau: Es stand wirklich noch nie so schlecht um die Gesundheitsversorgung der Patienten und Patientinnen in Deutschland. Wenn nicht endlich gegengesteuert wird, wird es unser derzeitiges System aus Hausärzten und Apotheken in dieser Form nicht mehr geben. Nachdem Karl Lauterbach nicht auf unsere Vorschläge eingegangen ist, hat die Apothekerschaft beschlossen, dass der November zum Protestmonat wird, weil es schon fünf nach zwölf ist.
Kritiker sagen, die Apotheker jammern auf hohem Niveau.
Wir haben diese Woche die aktuellen Zahlen zu betriebswirtschaftlichen Auswirkungen in den Apotheken bekommen. Das hat mich sehr geschockt, wie auch viele meiner Kollegen, die bei der Live-Schaltung mit dabei waren. Denn ein Drittel der Apotheken liegt bei einem jährlichen Betriebsergebnis von 5000 Euro. Jede zehnte Apotheke schreibt sogar schon rote Zahlen. Nur noch 64 Prozent der Apotheken haben ein Betriebsergebnis von über 75.000 Euro. Betriebsergebnis ist ja nicht das, was wir uns sozusagen in die Tasche stecken. Sondern das wird versteuert und wir müssen davon auch unsere Krankenkasse und Rentenversicherung zahlen. Da bleibt nicht ausreichend viel übrig, dass wir in der Zukunft weitermachen können. Wahrscheinlich werden in diesem Jahr deutschlandweit 600 Apotheken schließen.
Wissen Sie, ob auch im Landkreis Heidenheim Apotheken schließen werden?
Die Brenzapotheke in Königsbronn wird zum Jahresende geschlossen. Die Apotheker in Königsbronn haben aber gemeinsam eine Lösung gefunden, da auch Beate Schmidt von der Herwartstein-Apotheke in den Ruhestand gehen möchte. Jannik Fischer, der bislang in der Brenzapotheke bei Rudolf Post gearbeitet hat, wird die Herwartstein-Apotheke übernehmen, sodass eine Apotheke in Königsbronn erhalten bleibt. Damit fällt aber wieder eine aus dem Notfall-Turnus weg. Ab 2024 sind wir noch 30 Apotheken im Notdienstkreis. Wir beobachten bundesweit, dass gerade die Apotheken auf dem Land wegfallen, auch in den Stadtrandlagen wird es eng. Aber auch die großen Apotheken in den Innenstädten haben Probleme wegen steigender Betriebskosten.
Medikamente sind teuer, kosten teils einige hundert Euro. Was bleibt denn davon bei den Apotheken hängen?
Die Arzneimittelpreisverordnung greift bei verschreibungspflichtigen Präparaten. Der Verkaufspreis setzt sich zusammen aus dem Einkaufspreis, zuzüglich drei Prozent, dem Festzuschlag von 8,35 Euro und der Mehrwertsteuer. Wir bekommen die drei Prozent sowie 6,35 Euro. Denn zwei Euro vom Festzuschlag erhält die Krankenkasse. Als Beispiel: Wenn ein Medikament im Einkauf 100 Euro kostet, kommen 9,35 Euro bei den Apotheken an.
Aber machen die Apotheken nicht mit den Hochpreisern ihr Geschäft?
Es gibt Medikamente, die 25.000 Euro teuer sind. Diese kann man oft nicht über den Großhandel und über Monatsrechnungen bestellen, sondern beim Hersteller direkt, den man sofort bezahlen muss. Das Geld von der Krankenkasse wird aber erst fünf bis sechs Wochen später erstattet. Ohne ausreichender Liquidität wird diese Vorfinanzierung schwierig.
Können Apotheken nicht mit anderen Produkten wie Kosmetika und apothekenpflichtigen Medikamenten mehr Umsatz machen?
Das ist nur bedingt machbar. Der Markt der nicht verschreibungspflichtigen Präparate ist zum großen Teil in den Onlinehandel abgewandert und macht nur noch knapp 8 Prozent des Umsatzes einer Apotheke aus. Die Apotheken bieten zwar fast alle auch Online-Bestellungen an, aber wir können bei den Preisen nicht mithalten. Kosmetik und Drogerieartikel sind vielleicht in Gegenden mit viel Laufkundschaft ein Thema, aber nicht in der Durchschnittsapotheke. Diese so genannte Freiwahl macht circa acht Prozent am Umsatz aus, je nach Standort. Verschreibungspflichtige Medikamente liegen bei 83,8 Prozent des Umsatzes.
Was fordern die Apotheker denn nun ganz konkret?
Es muss Geld in das System, damit es weiter bestehen kann. Wir müssen uns die Grundsatzfrage stellen: Möchten wir weiterhin ein flächendeckendes System auch auf dem Land mit einer qualitativ hochwertigen und unabhängigen Beratung? Momentan haben wir den gleichen Verdienst wie Stand 2004. Eine durchschnittliche Apotheke hatte aber in den vergangen zehn Jahren eine Kostensteigerung um 59 Prozent. Beschleunigt hat sich das noch durch die Erhöhung des Apothekenabschlags, den Karl Lauterbach zum Februar auf zwei Euro erhöht hat. Das heißt, wir müssen 25 Cent mehr pro Packung an die Krankenkassen abgeben. Dadurch hat er 114 Millionen Euro aus dem System genommen. Zusätzlich sind unsere Betriebskosten allein im ersten Halbjahr um 3,3 Prozent gestiegen.
Was spricht gegen den Vorschlag von Karl Lauterbach, Apotheken zuzulassen ohne Apotheker, ohne Rezeptur und ohne Notdienst? Das wäre doch eine gute Lösung?
Gelten soll das nur für Neugründungen. Aber kein Apotheker wird deshalb eine neue Filiale gründen. Dazu hätte ich gar nicht die Zeit. Außerdem kostet eine Filialgründung viel Geld. Und ohne Rezeptur? Ich hatte erst heute Morgen eine Rezeptur für ein Herzmedikament für einen Säugling. Wie weit müssten Eltern künftig fahren, um solche Medikamente anfertigen zu lassen?
Was ist denn die Hauptforderung der Apotheker?
Die Apotheker fordern, den Festzuschlag von 8,35 auf 12 Euro anzuheben. Zudem wollen wir die Einführung eines dynamischen Faktors, damit dieser Festzuschlag regelmäßig an den Preissteigerungen angepasst werden wird. Auch fordern wir mehr Freiheiten, um bei Lieferengpässen schnell und unbürokratisch Arzneimittel austauschen zu können.
Deutschland hat doch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern eine hohe Apothekendichte?
Nein, das stimmt so nicht. Wir haben in Deutschland 21,1 Apotheken auf 100.000 Einwohner, im EU-Durchschnitt sind es 32 Apotheken. Wir liegen auf den hinteren Rängen, das hat sich sehr verschlechtert. In anderen europäischen Ländern gibt es teils das System von Apothekenketten, aber die sind meistens nicht auf dem Land. Unsere inhabergeführten Apotheken sind aber auch in der Fläche, dadurch ist für jeden Bürger eine schnelle und unabhängige Beratung gewährleistet.
Wie reagiert die Kundschaft auf die Schließungen?
Ich habe noch keinen Kunden gehabt, der sich beschwert hat. Im Gegenteil. Die meisten sagen: Hoffentlich hört der Gesundheitsminister mal zu. Die meisten sind sauer und sagen, jetzt macht die Gesundheitspolitik auch noch unsere Apotheken zu. Sie bestärken uns, unbedingt zu protestieren. Denn wenn die Apotheken erst einmal weg sind, werden sie nicht wiederkommen. Apotheken ohne Apotheker lehnen unsere Kunden strikt ab. Wir könnten im Gesundheitssystem an ganz anderen Stellen sparen. Muss sich ein Land knapp 100 gesetzliche Krankenkassen leisten? Die Apotheken hatten leider noch nie die beste Lobby gehabt. Wenn wir aber nicht jetzt deutlich machen, was auf dem Spiel steht, dann hat das Folgen für die Bevölkerung, vor allem da unsere Gesellschaft immer älter wird und eine gute Arzneimittelversorgung damit noch mehr Bedeutung gewinnt.
Zum Protesttag am Mittwoch: Welche Apotheken haben Notdienst?
Notdienst haben die Apotheke Nattheim und die Lärchen-Apotheke in Gerstetten.
Cornelie Rau führt über 100-jährige Tradition fort
Die Apothekerin Cornelie Rau übernahm im Juli 2010 die Kapell-Apotheke in Schnaitheim von ihrem Vater Dr. Karl-Dieter Rau, der die Apotheke zuvor 30 Jahre lang geführt hatte. Die Apotheke hat in Schnaitheim eine mehr als 100-jährige Geschichte und wurde von Apotheker Döring gegründet. Als Dr. Johannes Häußermann dann 1921 die Apotheke übernahm, befand sich das Gebäude noch an der Stelle, wo später einmal die neue Bundesstraße 19 gebaut werden sollte und heute die große Kreuzung ist. Deshalb zog die Apotheke um, nannte sich in Kapell-Apotheke um.
Cornelie Rau wuchs im Odenwald auf, zog später mit ihren Eltern auf den Mittelrain. Sie studierte in München Pharmazie, arbeitete dort an mehreren Stellen, bevor sie nach Schnaitheim zurückkehrte.