So war der Auftakt der Theaterring-Saison in Heidenheim mit "Die Kehrseite der Medaille"
Zwei Paare treffen sich zum Abendessen. Eine Situation, die jeder aus dem Alltag kennt. Man kennt sie auch aus dem „Gott des Gemetzels“ und aus „The Party“, bei welchen das Treffen völlig außer Kontrolle gerät. Bei dem Theaterstück „Die Kehrseite der Medaille“, die am Mittwochabend in einer Inszenierung des Euro-Studios Landgraf in der Waldorfschule gezeigt wurde, geschieht das nicht. Oder besser gesagt: Nur in Gedanken.
Denn das ist der sehr ungewöhnliche Dreh des Autors – kein geringerer als Florian Zeller, einer der meistspielten Autoren der Gegenwart – für eine gewöhnliche Situation: Der Zuschauer hört nicht nur die Dialoge, sondern auch die Gedanken der Figuren. Und damit bröckelt die mit gepflegter Konversation aufgebaute Fassade aus Freundschaft nicht nur, dann entfernt sie sich völlig. Und gibt die Sicht frei die sonst durch Manieren in Zaum gehaltene höchst aggressive Mischung aus, ist eine höchst aggressive Mischung aus Missgunst und Misstrauen, Eitelkeit und Eifersucht, Imponiergehabe und Intrige, Verliebtheit und Vergänglichkeit, Lust und Lüsternheit, Begierde und Berechnung, Unmut und Unsicherheit.
Zwischen Artigkeit und Abgrund
Und damit befinden sich die Figuren ständig entweder in Artigkeit oder im Abgrund, was schon ziemlich herausfordernd ist für die Figuren selbst. Erst recht für die Schauspieler, die hier ständig den Schalter umlegen müssen, um die ganz unterschiedlichen, oftmals gegensätzlichen Gemütszustände darzustellen. Drei der vier sind aus dem Fernsehen bestens bekannt: Timothy Peach als Wortspiel-Casanova Daniel in der Midlife Crisis, der Sahne schlagen und die akademische Anleitung dazu für ein erfolgversprechendes Mittel der Balz hält. Nicola Tiggeler spielt Daniels Ehefrau Isabelle, die mit zwischen Bosheit und Amüsement schwankendem Kalkül agiert und reagiert, wenn sie nicht gerade außer sich vor Wut ist. Martin Armknecht ist in der Rolle von Daniels bestem Freund Patrick zu sehen, der seine Ehefrau für eine Jüngere verlassen hat. Seine Frau ist allerdings Isabelles beste Freundin, und damit ist jede Unbefangenheit untereinander bereits im Keim erstickt.
Herausfordernd für Spieler und Zuschauer
Inszeniert wurde das Stück von ebenfalls einem Bekannten: Pascal Breuer hat hier auch ganze Arbeit geleistet. Denn das Hin und Her zwischen Gedanken und Gesprächen könnte auch sehr verwirrend für den Zuschauer sein. Mit effektvollem Verharren in Freeze und geschickt eingesetztem Bühnenbild wird jedoch klar, ob sich das Geschehen gerade im Wohnzimmer abspielt oder auch im Kopf des Spielers. Einzig die Schlussszene führt den Zuschauer in die Irre – und das ganz bewusst und spannungsfördernd. Dieser Twist tut dem Stück gut, das ansonsten Gefahr laufen könnte, allzu gefällig dahinzuplätschern. Unterhaltsam ist es – auch wegen der vielen pointierten Formulierungen – allemal. Auch die Schauspieler meistern den Spagat zwischen Gedankenwelt und Realität hervorragend: Mühelos wird da der Schalter von Konversation zu Konflikt umgelegt. Mia Geese gefällt als junge Geliebte in ungekünstelter Frische, die freilich auch nicht ohne Doppelbödigkeit auskommt.
Kluft zwischen Schein und Sein
Die Handlung des Stücks ist zugegebenermaßen recht dürftig, Florian Zeller setzt da ganz auf das, was zwischenmenschlich brodelt und enttarnt dabei mühelos die Kluft zwischen Schein und Sein. Und bei all den Lachern, die die Inszenierung in nicht geringem Maß hervorruft, steckt doch unter der scheinbar bedeutungslosen Oberflächlichkeit ein Kern, der durchaus bedenkenswert ist. Und der besteht nicht nur darin, dass Kultiviertheit doch recht schnell zu Fall gebracht werden kann. Sondern auch darin, dass sich das Gesagte vom Gedachten, die innere Haltung von der äußeren nicht allzu sehr unterscheiden, geschweige denn völlig konträr sein sollte, will man nicht den Überblick verlieren wie die Figuren im Stück. Mit einer Ausnahme freilich: Am Ende – auch das eine interessante Volte – entpuppt sich Isabelle als kluge Strippenzieherin, die alle anderen marionettengleich zu dem von ihr gewünschten guten Ausgang führt.
Beethoven oder Bee Gees
Und noch eine Erkenntnis bringt die Inszenierung: Man sollte sich keine Alexa ins Haus holen oder sie zumindest außer Gefecht setzen, wenn man Gäste hat. Denn sonst wird Alexa wie in der Inszenierung zur Mitspielerin mit mehr oder weniger passenden Einsätzen, die vom Ensemble für Tanzeinlagen à la „Saturday Night Fever“ genutzt werden. Ob diese Tänze wirklich notwendig sind, darüber lässt sich streiten. Freilich wird auch die Musik geschickt eingesetzt, um die Diskrepanz zwischen Innen und Außen aufzuzeigen: Wer mit Beethoven renommiert, sollte nicht mit Bee Gees ertappt werden. Souveränität geht anders. Und der Schlüssel dazu steckt – wie so häufig – innen.
"Transit" als nächste Inszenierung
Mit Florian Zellers "Kehrseite der Medaille" hat die Saison des Theaterrings ihren Auftakt genommen. Der erst 44-jährige Autor aus Paris wird weltweit erfolgreich aufgeführt und wurde sogar mit einem Oscar ausgezeichnet.
Als nächste Aufführung steht am 21. November im Konzerthaus an: Gezeigt wird dann "Transit" nach dem Roman von Anna Seghers in einer Inszenierung der Badischen Landesbühne Bruchsal.