Opernfestspiele Heidenheim

Bei Giovanna d'Arco flog der göttliche Funke

Viel umjubelt wurden Inszenierung, Musik und Akteure bei der Premiere von "Giovanna d'Arco" im Rahmen der Opernfestpiele Heidenheim. Warum dies voll und ganz gerechtfertigt war:

Bei Giovanna d'Arco flog der göttliche Funke

Das große Rätsel, das sich am Donnerstagabend bei der Premiere von Verdis „Giovanna d’Arco“ im Congress-Centrum auftat, war das: Warum wird diese Oper nicht häufiger gespielt? An der Musik kann es nicht liegen, dazu später mehr. Vielleicht liegt es am großen klassischen Thema Johanna von Orléans mit all seinem historischen Bombast und seiner Glorifizierung. Dann aber wohl auch daran, dass wohl nicht oft eine Idee für eine zeitgemäße Umsetzung auftaucht. Ulrich Proschka, der Regisseur der Inszenierung im Rahmen der Opernfestspiele, hatte sie jedenfalls. Nicht nur, dass die Handlung mit all ihren Spannungen und dramatischen Ereignissen geradezu synchron auf die Musik zugeschnitten war, sie erschien auch in einem völlig unerwarteten Rahmen: die heilige Johanna in der Psychiatrie.

Flug über das Kuckucksnest

Die heilige Johanna fliegt also übers Kuckucksnest. Und bewegt sich damit in Welt und Wahn. In letzterem, getrieben von der Idolisierung Carlos, den sie wie einen Popstar verehrt und zu dessen Rettung sie sich qua göttlichem Funken ausersehen sieht, ist sie ganz in ihren historischen Kontext eingebettet, umgeben vom französischen Volk, das in ihren Visionen in allen Farben des Regenbogens als Phantasiefiguren wie Batman und Aladin auftaucht. Und in der Welt in schwarz-weiß: Nüchtern und technisch ist die Krankenhausatmosphäre, deren brachial anmutenden Behandlungsmethoden sich Johanna hingibt, ohne je auch nur einen Hauch an Kraft und Glauben zu verlieren. Für Johanna vermischen sich die Ebenen, für den Zuschauer sind sie durch Lichtsäulen stets abgegrenzt, die auch Johanna Grenzen setzen sollen, was freilich lediglich ihrer äußeren Freiheit etwas anhaben kann.

Neue Lebendigkeit und Menschlichkeit

Ulrich Proschkas Idee geht auf – und wie: Johanna, diese hinlänglich bekannt geglaubte Heldin, bekommt hier eine ganz neue Lebendigkeit und Menschlichkeit und sie wird dadurch geradezu zu einer Neuentdeckung, die jederzeit fasziniertes Interesse an sich und ihrer Geschichte auf sich zieht. Wäre das allein schon sehenswert, so gibt es dann ja auch noch die Musik – und was für eine: Verdi at his best. Als habe sich auch Verdi an Johannas göttlichem Funken entzünden lassen, bietet er hier alles auf, was seine Kritiker an ihm auszusetzen hatten und was seine Fans so an ihm lieben.

Die Heldin des Stücks wird gespielt von Sophie Gordeladze, in ihrer Titelrolle überstrahlt sie alles. Oliver Vogel

Jedes Hum-Ta-Ta ein Genuss, jedes Aufwallen an Tempo ein Aufwühlen im Zuhörer, und auch im größten Tempo die feinen Nuancen an Gefühl, die keine Sekunde kalt lassen. Und bei alldem ist es Verdi auch noch gelungen, Johannas Kraft und Stärke in Musik umzusetzen. Da ist nichts Schwülstiges, nichts über Gebühr Dramatisches, vielmehr repräsentiert sie die Entschlossenheit, in der Johanna bis zu ihrem Ende agiert – ein sehr gelungen dargestelltes Ende übrigens, auch hier kein Kitsch, keine Sentimentalität, die die Fallhöhe von der Heldin zur Hexe mit sich bringen könnte, die Klarheit der Inszenierung wird bis zum Schluss konsequent durchgezogen.

Titelrolle überstrahlt alles

Und die Heldin des Stücks wird gespielt von der Heldin des Abends: Sophie Gordeladze in der Titelrolle überstrahlt alles. Sie gibt ihrer Johanna nicht nur Natürlichkeit und Würde, sondern auch und vor allem eine grandiose Stimme: Glänzend, wie sie die Partien meistert, das Publikum lag ihr quasi zu Füßen. Ihr zur Seite stehen Luca Grassi als Johannas Vater, der ebenfalls durchweg zu überzeugen weiß, und Héctor Sandoval als Carlo, der die Hin- und Hergerissenheit seiner Figur sehr gut zum Ausdruck bringt. Und schließlich kann abermals das Loblied auf den Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn angestimmt werden: Üppige Chorwerke stecken in „Giovanna d’Arco“ und den Brünner Sängerinnen und abermals ist auf Virtuosität und Präzision des großartigen Festspielchors Verlass.

Cappella Aquileia in Hochform

Und die Cappella Aquileia? Da sei an dieser Stelle eine Bemerkung aus Kritikerkreisen zitiert: „An die Berliner Philharmoniker kommen sie nicht heran“, hieß es da. Das mag sein – aber danke für den doch überaus schmeichelhaften Vergleich. Denn die Cappella Aquileia unter Marcus Bosch zeigte sich in Höchstform. Mit welcher Leichtigkeit sie die Pracht und Farbigkeit der Musik umsetzte, das war schon eine reife Leistung und ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Capella Aquileia weiterentwickelt hat. Der göttliche Funke zog sich also durch die gesamte Inszenierung und entzündete so auch mühelos das Publikum: Etwa eine Viertelstunde lang gab es tosenden Applaus, und das sehr häufig im Stehen gegeben.  Und das machte das Rätsel dann noch größer: Diese Oper würde man doch gerne häufiger sehen und hören. Die groovt schon mächtig. Wie gut, dass es die Verdi-Reihe gibt. In Heidenheim. Nicht in Berlin.

Weiteres Mal zu erleben

Ein weiteres Mal wird „Giovanna d’Arco“ in Heidenheim zu erleben sein. Die zweite Aufführung findet heute, Samstag, 22. Juli, im Congress Centrum statt. Beginn ist um 20 Uhr. Und das sollte nicht verpasst werden.