Interview

Heidenheimer TDK-Standortleiter Thomas Dörken: Zu geringe Auslastung und schwindende Marktanteile

Im Interview benennt TDK-Standortleiter Thomas Dörken die Gründe für die geplante Verlagerung der Produktion aus Heidenheim nach Ungarn und China. Eine Massenproduktion von elektronischen Bauteilen werde es in Zukunft in Heidenheim nicht mehr geben, so Dörken.

Vor einem halben Jahr hat die Firma TDK mitgeteilt, dass rund 300 Arbeitsplätze in der Produktion am Standort Heidenheim in den kommenden zwei Jahren abgebaut werden sollen. Seither sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Verhandlungen um dieses Vorhaben. Einen Alternativvorschlag von Betriebsrat und Gewerkschaft hat die Geschäftsführung abgelehnt. Vor dem Hintergrund der geplanten Verlagerung der Herstellung von elektronischen Bauteilen nach Ungarn und China erläutert Standortleiter Thomas Dörken, wie es aus Sicht des Unternehmens zu dieser Situation kam.

Herr Dörken, können Sie für den Laien kurz erklären, was das für Produkte sind, die bei TDK in Heidenheim hergestellt werden?

Es handelt sich um Signalleitungsfilter, auf Englisch Signal EMC. Sie entstören Signale, die im Auto an die verschiedenen elektronischen Systeme gesendet werden. Ganz plastisches Beispiel: Sie haben einen Airbag im Auto, der natürlich nur im Notfall ausgelöst werden soll, und nicht etwa von dem Störsignal eines Mittelwellensenders oder durch andere Systeme, die um den Airbag herum verbaut sind. Um das zu vermeiden, gibt es diese Signalleitungsfilter. Man braucht sie auch für die Signale in der Steuerung der Servolenkung, für die Bremse, für die autonomen Fahrsysteme, die gerade entwickelt werden, für die Kamerasysteme, für den Tempomat und die Lichtsysteme. Es sind also sehr wichtige Produkte für die Sicherheitssysteme der Fahrzeuge.

Werden diese Signalleitungsfilter ausschließlich für Autos hergestellt?

Es gibt noch ein paar Nischenmärkte, aber in Heidenheim produzieren wir nahezu ausschließlich für die Zulieferer der Automobilindustrie. Der Wettbewerb gegen Asien ist immens. Wir sind inzwischen die letzten deutschen Hersteller für diese Art von Produkten. Es gibt noch Wettbewerber in Osteuropa, und wir selbst produzieren auch an unserem ungarischen Standort, aber der wesentliche Wettbewerb kommt aus Japan und China.

Was kostet ein solcher Signalleitungsfilter?

Die Verkaufspreise unserer Produkte liegen je nach Größe und elektrischer Spezifikation zwischen fünf und 20 Cent pro Stück.

Es ist also eine Massenproduktion?

Ja, absolut. Wir produzieren in Heidenheim pro Linie jährlich 42 Millionen Stück.

Wie kam es zu der Entscheidung, dass TDK die Fertigung aus Heidenheim nach Ungarn und China verlagern will?

Schon im Laufe des Jahres 2023 zeichnete es sich ab, dass es schwer werden würde, die angestrebte Profitabilität zu erreichen. Wir haben mit Kapazitätsanpassungen auf diese Situation reagiert. Ab Herbst gab es dann Anzeichen dafür, dass sich die Situation weiter verschärfen wird. Ab Dezember 2023 war klar, dass wir stark unter Druck kommen werden, und zwar im Wesentlichen durch deutlich niedrigere Preise, die Kunden bereit sind, zu zahlen, außerdem die Kostenentwicklung am Standort Heidenheim und dann eben auch durch Wettbewerber, die sich in Asien neu etabliert haben, sodass wir eine Kombination haben aus Preisproblem, Kostenproblem und signifikantem Wettbewerb. Es war klar, dass es am Standort Heidenheim nicht weitergehen konnte wie bisher.

Welchen Effekt hatte diese Entwicklung?

Dadurch sind wir in eine Minderauslastung gegenüber unseren Planungen gekommen. Wir machen deutliche Verluste hier am Standort, und zwar mittlerweile seit fünf Jahren. Für das laufende Geschäftsjahr hatten wir ein neutrales Ergebnis und für die nächsten Jahre sukzessiv steigende Gewinne geplant. Im Dezember 2023 haben wir jedoch gesehen, dass sich das Geschäft anders entwickeln wird, weil die Prognose für unser Umsatzvolumen für die nächsten Jahre 30 Prozent niedriger lag, als wir das noch 2022 geplant hatten. Wir können unsere sehr hohen Marktanteile nicht halten, und schon gar nicht zu den Preisen, die wir in der Vergangenheit erzielten.

Warum sind die Mengen, die hier produziert werden, so entscheidend?

Die Maschinen laufen rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. In den vergangenen Jahren sind höchstens ein oder zwei Schichten im ganzen Jahr ausgefallen, und das war am Heiligen Abend und an Neujahr. Das ganze System hier am Standort ist darauf ausgelegt, dass wir unter Vollauslastung arbeiten. Sobald das nicht mehr der Fall ist, sind die Auswirkungen auf unser Ergebnis groß. Und wenn es so ist wie jetzt, dass wir 30 bis 40 Prozent unter unserem Soll liegen, sind wir erheblich in der Verlustzone, weil es relativ wenige Stellhebel gibt, um die Kosten anzupassen.

Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze bei TDK in den Heidenheimer Seewiesen sollen in den kommenden zwei Jahren abgebaut werden. Foto: Rudi Penk

Die Mitarbeitenden vermuten, dass die Entscheidung schon länger geplant und ihnen erst jetzt mitgeteilt wurde.

Nein, die Situation hat sich Ende vergangenen Jahres sehr schnell extrem verschärft. Deshalb brauchen wir jetzt diese einschneidenden Maßnahmen, die für die Beschäftigten sehr plötzlich kommen. Dass diese Entscheidung so getroffen werden musste, ist auch für mich ein dramatischer Einschnitt, den ich sehr bedauere. Viele von den Menschen, mit denen wir jetzt über Abbau sprechen müssen, habe ich in der Ausbauphase des Werks selbst eingestellt. Jeder hat seine individuelle Lebenssituation. Drohender Arbeitsplatzverlust ist immer hart. Ich wäre sehr glücklich darüber, wenn eine andere Lösung zukunftsfähig wäre, aber das ist leider nicht der Fall.

Die Arbeitnehmerseite beklagt, dass ihr Gegengutachten mit dem Vorschlag eines geringeren Arbeitsplatzabbaus „vom Tisch gewischt“ wurde. Stimmt das so?

Nein, das ist nicht richtig. Wir haben das Konzept sehr intensiv mit der Arbeitnehmerseite diskutiert. Zuvor haben wir fünf Monate lang mit der von der Arbeitnehmerseite beauftragten Unternehmensberatung zusammengearbeitet. Der große Handlungsbedarf für TDK Heidenheim wird durch die Unternehmensberatung bestätigt, aber bei dem Lösungsweg sind wir unterschiedlicher Auffassung. Von „vom Tisch gewischt“ kann keine Rede sein. Wir haben viele Aspekte diskutiert und waren dabei immer sehr transparent. Die Ablehnung war wohlbegründet.

Warum ist es dann nicht möglich, einen Kompromiss zu finden?

Das Konzept der Arbeitnehmerseite schlägt vor, für die nächsten drei Jahre im Wesentlichen mit Lohnzugeständnissen der Mitarbeiter und nur geringem Personalabbau eine Kostenverbesserung zu erreichen. Aber damit lösen wir nicht das Problem, dass wir aufgrund der hohen Arbeitskosten in Deutschland nicht mehr produzieren können und deshalb die Fertigung ins Ausland verlagern müssen. Würden wir das alternative Fortführungskonzept der Arbeitnehmerseite umsetzen, würden wir uns in den nächsten drei Jahren etwas Luft verschaffen, indem wir durch Verzicht auf Entgeltbestandteile und sonstige Zugeständnisse der Arbeitnehmer temporär die Kosten senken könnten, das ist richtig. Das ändert aber nichts an den anderen Problemen, die ich schon genannt habe, nämlich Mengenrückgang, massiver Preisdruck durch die Kunden und extremer Wettbewerb aus Asien. Vor diesen Problemen würden wir drei Jahre lang die Augen verschließen und hoffen, dass sie danach nicht mehr da sind. Das wird aber nicht passieren. Die Situation wird sich weiter verschärfen und wenn wir jetzt nicht handeln, sondern drei Jahre abwarten, haben wir vermutlich nicht mehr die Option, den Standort Heidenheim als Kompetenzzentrum für Produkt- und Prozesstechnologie zu erhalten, davon im Folgenden mehr.

Und wenn sich in den kommenden drei Jahren etwas an der Marktsituation ändert?

Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Wir glauben zwar langfristig an wieder steigende Stückzahlen, aber zu Preisen, die wir in Heideheim nicht darstellen können. Und wir müssen auch davon ausgehen, dass die Arbeitskosten über Tariferhöhungen weiter steigen. Wir sind der letzte Hersteller dieser Art von Produkten in Deutschland. Und es lässt sich einfach nicht wegdiskutieren, dass diese Produkte unter den bestehenden Bedingungen hier nicht mehr wettbewerbsfähig hergestellt werden können.

Wie soll es nach den Plänen der Geschäftsleitung weitergehen mit TDK in Heidenheim?

Die Umstrukturierung ist auf sechs Jahre angelegt. Die Verlagerung von elf Linien soll nächstes Jahr im April beginnen und bis März 2027 abgeschlossen sein. Bis zu diesem Zeitpunkt soll auch der darauf bezogene Personalabbau vollzogen sein. Anschließend sollen bis März 2030 drei weitere Linien stillgelegt werden, weil die Produkte auslaufen. Parallel dazu wollen wir das Kompetenzzentrum für Produkt- und Prozessentwicklung ausbauen. Diese Art der Projektabwicklung, Produkt- und Prozessentwicklung in Heidenheim, Massenfertigung in den Auslandsstandorten, ist seit langem etabliert, es gibt zahlreiche erfolgreiche Beispiele aus der Vergangenheit und eine gefüllte Produktpipeline für die Zukunft.
Darauf wollen wir uns mit 220 Mitarbeitern konzentrieren. Darunter werden viele Ingenieure und Techniker sein. Wir werden auch vier Fertigungslinien in Heidenheim behalten, auf denen unter Serienbedingungen Produkte gefertigt und verarbeitet werden, damit es weiterhin die Verbindung zwischen Entwicklung und Fertigung gibt. Und es wird mindestens eine Pilotlinie geben, auf der neue Produkte in einer Art Laborfertigung produziert werden. Dafür werden auch in Zukunft Produktionsmitarbeiter benötigt.

In der langen und wechselhaften Geschichte des Unternehmens gab es immer wieder Personalabbau, aber danach auch wieder eine Zunahme der Beschäftigten. Wie ist vor diesem Hintergrund Ihre Prognose für die Zukunft von TDK in Heidenheim?

Nichts ist schwieriger, als die Zukunft vorherzusagen. Aber ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass wir hier noch einmal in die Massenproduktion gehen. Wir werden uns auf die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse konzentrieren. Dafür haben wir exzellente Leute, die bereits zahlreiche Produkte mit Alleinstellungsmerkmalen entwickelt haben, die heute auf dem Markt führend sind. Wir haben in Deutschland sehr gute Voraussetzungen für diese Art von Entwicklungs- oder Innovationsarbeit.: Es gibt Hochschulen, Messen und mittelständische Maschinenbauzulieferer, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Wir haben einen sehr guten Kontakt zum Forschungs- und Technologiezentrum in Zwickau (FTZ), das für die Normung unserer Bauelemente verantwortlich ist. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir mit unserem Kompetenzzentrum für Produkt- und Prozesstechnologie auf Dauer gut aufgestellt sind.

Zur Person

Thomas Dörken (62) hat nach der Ausbildung zum Werkzeugmacher an der RWTH Aachen Maschinenbau studiert. Nach Assistententätigkeit am Lehrstuhl für Produktionssystematik am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) hat er in der Stahlindustrie und in der Automobilzulieferindustrie verschiedene Stabs-, Leitungs- und Geschäftsführungspositionen durchlaufen. Er ist seit 2011 nicht nur Standortleiter von TDK in Heidenheim, sondern auch operativer Leiter des gesamten Geschäftsbereichs Magnetics, zu dem auch Werke in China, Ungarn, Indien und Tschechien gehören. Dörken ist für Produktion und Qualität zuständig und berichtet an den Vorstand der TDK Electronics AG in München.

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