Vor verschlossenen Türen stehen Kunden seit Samstag voriger Woche an der Filiale des Tapeten-Teppichbodenlandes TTL in den Tieräckern. An der Türe klebt ein Zettel mit der Aufschrift: „Wir haben krankheitsbedingt bis auf Weiteres geschlossen.“ Heidenheim ist kein Einzelfall, auch andere der insgesamt 27 Filialen in Süddeutschland haben zu. Telefonanrufe laufen ins Leere. Anfragen unserer Zeitung an den aktuellen Gesellschafter Sven Lampey blieben bislang unbeantwortet.
Tatsächlich scheint ein anderer Grund als eine Krankheitswelle der Mitarbeitenden hinter den Schließungen zu stehen: Angestellte berichten, dass sie seit Dezember kein Gehalt mehr bekommen hätten. Auf Nachfragen erhielten sie keine Informationen. Einige haben sich mittlerweile rechtlichen Beistand von Anwälten eingeholt. „Mir wurde empfohlen, nicht mehr zur Arbeit zu gehen, nachdem ich bereits zwei Monate lang unentgeltlich gearbeitet habe“, sagt einer der Mitarbeiter, der wie weitere Kollegen nicht namentlich genannt werden möchten aus Angst vor möglichen negativen Folgen. Mittlerweile habe er sich bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet.
So wie er haben sich auch andere Mitarbeitende rechtlichen Beistand geholt oder versuchen über den Rechtsweg an ihr Geld zu kommen. Eine Sprecherin des Arbeitsgerichts Stuttgart bestätigte schon vorige Woche: „Beim Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen – sind derzeit vier Zahlungsklagen gegen die Firma TTL OP GmbH anhängig, in denen rückständige Vergütungen geltend gemacht werden.“ Die Gütetermine sind auf März terminiert, der erste davon findet am 5. März statt.
Anzeigen aus Heidenheim und Ulm bei der Polizei eingegangen
Andere Mitarbeitende haben sich an die Polizei gewandt, bezichtigen den Firmenchef des Betrugs oder der Insolvenzverschleppung. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums in Ulm nennt aus Datenschutzgründen zwar keinen Firmennamen, bestätigt auf Nachfrage jedoch, dass aus dem Raum Heidenheim und Ulm jeweils Anzeige erstattet worden sei gegen eine Heidenheimer Firma beziehungsweise deren Geschäftsführer. „Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang.“ Sie könnten sich über Monate ziehen.
Im Sommer hatte die Welt für die Mitarbeitenden der Raumausstatterfirma noch ganz anders ausgesehen. Damals hatte sich die bisherige geschäftsführende Gesellschafterin, Miriam Plambeck, vom Familienunternehmen getrennt und an den neuen Eigentümer Sven Lampey übergeben. Bei einer Internetsuche stößt man auf einen Deutschen, der in Belgien lebt, und dessen Namen als Verantwortlicher bei mindestens zwei weiteren Firmen genannt wird. Damals habe sich keine negative Entwicklung abgezeichnet, berichtet ein Mitarbeitender. Im Gegenteil: Der neue Gesellschafter habe sich bei der Übergabe vorgestellt und angekündigt, das Unternehmen vorwärtsbringen zu wollen.
Ende von TTL als Familienbetrieb
Volker Plambeck, Ehemann von Miriam Plambeck und vormals als Prokurist im Unternehmen tätig, bestätigt auf Nachfrage den Verkauf der Firma TTL, die lange Jahre in Familienhand war. Über die aktuellen Entwicklungen im Unternehmen sei er nicht informiert und habe auch keinen Einblick oder Kontakt mehr. Seine Frau und er hätten sich vom Unternehmen getrennt, um sich voll auf ihr karitatives Engagement konzentrieren zu können. Das war das Ende der langjährigen Tradition von TTL als Familienbetrieb.
Heinfred Kübler, Vater von Miriam Plambeck, hatte die Firma gemeinsam mit Partnern 1974 gegründet und zu einem Raumausstatter-Filialsystem ausgebaut. Die erste Filiale wurde in Heilbronn eröffnet, vor 40 Jahren kam die Familie dann nach Heidenheim und eröffnete an der Steinheimer Straße eine Filiale, die dritte TTL-Filiale überhaupt. Das Geschäft wurde später ins Gewerbegebiet Schnaitheim verlegt. Schließlich kaufte die Firma das Grundstück in den Tieräckern und baute dort neu.
Neustart von TTL mit Firmensitz in Heidenheim im Jahr 2022
Tochter Miriam Plambeck stieg 2013 in die Geschäftsführung ein und wurde ein Jahr später alleinige Gesellschafterin. Anfang 2022 löste sie die Filialen im Süden Deutschlands, die TTL Tapeten-Teppichboden Süd mbH, aus dem deutschlandweiten Verbund heraus, um ein neues Kapitel in der Firmengeschichte aufzuschlagen. Der Firmensitz wurde nach Heidenheim verlegt, eine neue Firmenzentrale neben dem Filialgeschäft in den Tieräckern gebaut, das ebenfalls umgebaut und mit einem neuen Logo versehen wurde.
Aktuell ist einzig Kathrin Kübler noch im Unternehmen tätig, ebenfalls Tochter des Firmengründers. Auch sie tappt wie viele andere Beschäftigte im Dunkeln, berichtet davon, zum Firmeninhaber keinerlei Kontakt zu haben und hat das Vertrauen in dessen Rechtschaffenheit verloren. Sie arbeitet nicht nur als Angestellte in der Heidenheimer Filiale, sondern sie ist auch Eigentümerin der TTL-Liegenschaften in Heidenheim und Dillingen. In Heidenheim gehören ihr der neu gebaute Firmensitz sowie das Filialgebäude. Sie berichtet, dass nicht nur Gehälter, sondern auch die Mieten nicht bezahlt worden seien. Seit November müssten Kunden in Vorkasse gehen. Kollegen hätten ihr erzählt, von verärgerten Kunden bereits bedroht worden zu sein. Sie selbst arbeitet derzeit in Dillingen, bringt Waren aus dem Heidenheimer Lager dorthin, um Kunden versorgen zu können.
Neueste Entwicklung ist laut Angaben von Mitarbeitern eine für Freitag auf einer Online-Plattform anberaumte Betriebsversammlung. „Sind wir mal gespannt, ob dies stattfindet“, sagt einer der Angestellten. Schon einmal sei ein Termin anberaumt gewesen und kurzfristig wieder abgesagt worden.
2022 wurde die Filiale neu gestaltet
Bei der TTL waren zuletzt rund 400 Mitarbeitende beschäftigt in 27 Filialen in Süddeutschland. Der Großteil sind Kaufleute im Einzelhandel, aber auch Handwerker wie Bodenleger, Näher und Raumausstatter sind beschäftigt, übernehmen Arbeiten für Kunden auch vor Ort. Die Heidenheimer Filiale wurde im Frühjahr 2022 renoviert und im April neu eröffnet.
Jetzt neu: Die HZ auf WhatsApp - hier klicken und aktuelle News aufs Handy bekommen.