Interview

Frauenklinik-Chefärztin Carina Paschold: „Solange eine Geburt unauffällig ist, sind wir als Ärzte sehr zurückhaltend“

Carina Paschold, Chefärztin der Frauenklinik, spricht im Interview über die Macht einer Geburt, über rote Zahlen am Klinikum – und künstliche Intelligenz auf dem OP-Tisch.

Sie kennt sich aus in Themen der Frauengesundheit und macht sich auch stark für das vermeintlich „schwächere“ Geschlecht: Carina Paschold ist Leiterin der Geburtsklinik und Frauenheilkunde auf dem Schlossberg. Im Interview erklärt sie, warum niemals aus Profitgründen Kaiserschnitte gemacht werden, was sich auf dem Schlossberg unter ihrer Führung getan hat – und wie ein Roboter namens DaVinci ihr das Leben erleichtert.

Frau Paschold, Sie sind seit 2013 Chefärztin der Frauenheilklinik am Schlossberg. Ihr Job ist es unter anderem, kleinen Babys auf die Welt zu helfen. Sie stehen an der Pforte des Lebens. Ein Traumjob?

Absolut. Ich liebe meinen Beruf. Es ist eine absolute Ehre, Geburtshelferin zu sein. Aber man braucht schon auch innerliche Bereitschaft, sich dieser Verantwortung zu stellen. Man hat ja bei einer Geburt immer das Leben zweier Menschen in der Hand.

Sie waren hier unter anderem mit dem Anspruch angetreten, mehr Geburten auf den Schlossberg zu holen. Ist Ihnen das gelungen?

Das ist absolut gelungen. Wir haben zwischen 950 und 1000 Geburten pro Jahr. Vor meiner Zeit lag die Geburtenzahl hier auf dem Schlossberg bei 700. Um die Zahlen einzuordnen, muss man wissen, dass die Geburten sowohl vergangenes als auch dieses Jahr zurückgegangen sind.

Woran machen Sie Ihren Erfolg fest?

Wir wissen, dass eine Geburt für zehn Jahre das Verhältnis von Mutter und Kind wesentlich definiert. Die Macht der Geburt ist also unermesslich. Dahingehend muss man alles versuchen, die Frauen abzuholen und ihnen eine gute Geburt zu ermöglichen. Wir haben versucht, hier auf dem Schlossberg eine frauenorientierte Geburtshilfe aufzustellen. Wir haben unsere Leitlinien an den offiziellen Leitlinien der DGGG orientiert und neue Angebote geschaffen. Auch meine Ärztinnen haben Kinder bekommen – ein immenser Erfahrungsschatz. Auch im klinischen Sektor haben wir uns sehr professionalisiert.

Viele Schwangere weichen auch auf die umliegenden Kliniken in Aalen und Ulm aus. Das ist Ihnen doch sicher ein Dorn im Auge.

Wir haben viele Frauen, die zu uns auf den Schlossberg kommen, um zu entbinden. Aber klar, es gibt immer wieder Frauen, die in die umliegenden Kliniken wollen. Sei es aus Sympathie oder aus medizinischen Gründen. Es kommen ja auch Frauen aus dem Ostalbkreis oder aus dem Ulmer Raum zu uns. Die jungen Frauen sind sehr digital vernetzt, das hat Auswirkungen. Zudem: Wir kommen medizinisch an die Betreuungsgrenze, denn wir sind ein sogenanntes Level-3-Zentrum und entbinden geplant ab der 32. Schwangerschaftswoche.

Hebammenmangel beziehungsweise Fachkräftemangel ist in aller Munde, wie sieht es bei Ihnen auf dem Schlossberg aus?

Wir sind aktuell vollständig. Unsere Frauenklinik ist zu 100 Prozent weiblich.

Viele Schwangere freuen sich über gute medizinische Versorgung, möchten bei der Entbindung aber nicht allzu schnell zu Eingriffen angehalten werden. Wie handhaben Sie das?

Wir haben eine Teamgeburt. Vorwiegend betreuen die Hebammen die Schwangeren, eine Ärztin führt den Aufnahmeultraschall durch, erhebt einen Aufnahmebefund und ist auch unter der Geburt dabei. Solange eine Geburt unauffällig ist, sind wir als Ärzte sehr zurückhaltend. Wir sprechen viel außerhalb des Raums mit den Hebammen. Wir begrüßen es zudem sehr, wenn die Papas mitkommen. Das schafft für das Paar nochmals eine ganz neue Bindung. Wir haben bequeme Sessel im Kreißsaal (lacht). Ich bin auch froh um unsere Familienzimmer. Denn die erste Nacht zu dritt verzaubert die kleine Familie.

Dem Heidenheimer Klinikum geht es nicht anders als anderen Kliniken: Die Zahlen sind tiefrot. Geburten gelten als gewinnbringend. Könnten Sie das Klinikum retten?

Geburtshilfe ist nie gewinnbringend. Die Infrastruktur, die dafür erforderlich ist und vorgehalten werden muss, kostet immens. Wir müssen einfach jederzeit auf einen Notfall und somit auf einen Notkaiserschnitt gefasst sein. Was die operative Frauenheilklinik betrifft, kann ich sagen, sind wir mit vielen Patientinnen gut beschäftigt. Wir haben unheimlich viel zu operieren.

Das Gerücht hält sich wacker, Kaiserschnitte seien lukrativ. Es gibt sogar Frauen, die vor einem voreiligen und vielleicht nicht nötigen Kaiserschnitt Angst haben.

Ein Kaiserschnitt wird definitiv nicht durchgeführt, um mehr Geld zu verdienen. Eine normale Geburt kostet etwa 3000 Euro, ein Kaiserschnitt geplant circa 4000 Euro. Es kann bei einem Kaiserschnitt immer etwas passieren. Nicht zuletzt deshalb werden wir niemals nur wegen des Geldes einen Kaiserschnitt machen. Das ist medizinisch nicht indiziert, es ist unethisch und es ist auch nicht begründbar.

Es hat sich viel getan in der Geburtshilfe. Dennoch gibt es noch immer Frauen, die nach einer Geburt traumatisiert sind, auch grenzwertige Erfahrungen machen.

Es hat sich viel getan, aber es gibt auch immer noch viel zu tun. Geburtshilfe ist ein sensibler und einschneidender Bereich. Wir versuchen hier sehr sensibel zu sein. Man muss aber auch wissen: 20 Prozent der Notfälle, die bei einer Geburt passieren, können nicht vorhergesagt werden. Manchmal sind wir medizinisch gezwungen, zu handeln, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Das muss man differenzieren. Es geht darum, Leben zu retten.

Sie sind auch Leiterin des Brustzentrums auf dem Schlossberg. In Deutschland erkrankt jede zehnte Frau an Brustkrebs. Stimmt es oder trügt der Eindruck, dass auch vermehrt junge Frauen mit Brusttumoren konfrontiert sind?

Die Zahlen sind da, das muss man sagen. Das liegt zum einen an Gendefekten, zum anderen aber auch an unseren Lebensumständen. Stress, Ernährung, Bewegungsmangel, aufgespülte Hormonkonzentrationen in unserer Umwelt. Ich möchte mich unbedingt stark machen für rasches Handeln, wenn man einen Knoten getastet hat. Das Fahrlässigste, das man tun kann, sind getastete Knoten zu ignorieren. 75 Prozent der Frauen haben wirklich gute Prognosen. Es kommen gerade ganz viele neue Substanzen auf den Markt, hier tut sich also unheimlich viel.

Es gibt nicht nur eine GenderPayGap sondern auch eine GenderHealthGap. Heißt, Frauen werden offenbar schlechter medizinisch versorgt als Männer. Sie werden gerne in die psychosomatische Ecke gedrängt. Wie erleben Sie das in Ihrem Alltag?

Ja, diese Fälle gibt es. Ein Beispiel: Ein Herzinfarkt hat bei einem Mann eine ganz andere Symptomatik als bei einer Frau. Oder: Medikamente wirken ganz anders, ebenso Impfstoffe. Nicht selten werden Frauen für ihre Schmerzen abgetan – bei der Endometriose erleben wir das oft. Die Gendermedizin ist eine Sparte, die unbedingt mehr beleuchtet werden muss. Das geschieht aber nicht von heute auf morgen. Es gibt hier noch viele unbekannte Felder, oder haben Sie schonmal etwas von den Wechseljahren des Mannes gehört? Wir müssen über die Dinge sprechen und aufklären – und die Menschen dürfen sich nicht abwimmeln lassen.

Sie haben es bereits angesprochen: Endometriose ist ein Thema, das viele Frauen betrifft. Die Verwucherungen innerhalb und außerhalb der Gebärmutter sorgen für Schmerzen oder unerfüllten Kinderwunsch. Das Thema scheint omnipräsent zu sein. Eine Frauenkrankheit unserer Zeit?

Nein, ich denke, Endometriose gibt es schon sehr lange. Wir haben es nur nicht diagnostiziert. Die Endometrioseforschung ist gerade erst so angelaufen und wird zunehmend forciert. Wir als Ärzte haben hier sehr viel dazugelernt in letzter Zeit. Die Ultraschalldignostik hat Fortschritte gemacht, es gibt eine Endo-App, Ernährungsmuster werden geprüft und so weiter. Doch noch immer ist es so, dass die Frauen teils acht bis zehn Jahre bis zur Diagnose warten. Mit Schmerzen oder mit unerfülltem Kinderwunsch oder beidem. Wir müssen weiter sensibilisieren, die Frauen, die Gynäkologen, die Hausärzte. Und betroffene Frauen dürfen nicht aufhören, nachzuhaken, wenn hinsichtlich der Symptomatik der Verdacht besteht.

Lenken wir den Fokus auf ein anderes Thema: Die Pille galt als Revolution – heute rudern viele Frauen zurück und wollen sie aus gesundheitlichen Bedenken nicht einnehmen. Zu Recht?

Frauen dürfen und sollen sich Gedanken über das richtige Verhütungsmittel machen dürfen. Fakt ist aber, dass die Wahl sehr alters- und situationsabhängig ist. Junge Frauen setzen immer noch auf die hohe Sicherheit der Pille. Ich möchte die Pille nicht verteufeln, zumal wir in manchen Fällen gar aus medizinischen Gründen eine verschreiben. Bei Frauen kurz vor der Menopause kann ich die Einnahme nicht mehr verstehen. Man muss also wirklich immer die Situation betrachten. Fakt ist: Die Einnahme der Pille reduziert das Eierstockkrebsrisiko und das Gebärmutterkrebsrisiko. Brustkrebs wird zum Beispiel gefördert durch hohe Hormonersatzdosen in der Menopause.

Auch in Ihren Operationssälen hat Künstliche Intelligenz Einzug gehalten. Hand aufs Herz: Ist KI im OP Fluch oder Segen?

Wir haben letztes Jahr im November angefangen, mit dem Roboter DaVinci zu operieren. Die Technik ist ein absoluter Segen. Wir bedienen den Roboter mit unseren Händen, schlüpfen quasi in die Arme des Roboters. Nur, dass diese Roboterarme ganz andere Fähigkeiten haben: Das Instrumentarium ist um 270 Grad beweglich. Zudem wird mir das Bild zehnfach vergrößert, es ist dreidimensional.

Technik kann anfällig sein.

Es bin immer noch ich, also der Mensch, der den Roboter bedient. Die KI erleichtert es mir, zu operieren. Ich kann mehr operieren mit weniger Anstrengung. Es ist sehr, sehr präzise. Das wird uns in Zukunft definitiv noch mehr beschäftigen, denn man muss wissen, 2030 werden 30 Prozent der erfahrenen Operateure nicht mehr verfügbar sein. Mit dem Roboter kann zum Beispiel eine Konsolenchirurgin in Heidenheim eine Patientin in Grönland operieren, so dort ein Roboter zur Verfügung steht. Roboterchirurgie und KI sind die Zukunft, da bin ich felsenfest überzeugt.

Bei Ihnen gibt es auch eine Spezialsprechstunde für Frauen, die Opfer von Genitalverstümmelungen wurden. Können Sie helfen?

Ja, durchaus. Wir haben eine Oberärztin im Team, die als Entwicklungshelferin in Afrika war und dadurch hier sehr bewandert ist. Aber man muss sagen, dass hier im Umkreis eher weniger betroffene Frauen aus dem afrikanischem Raum da sind, wo Beschneidungen in hohem Maße durchgeführt werden. So sind die Fallzahlen für uns am Klinikum eher gering. Aber nichtsdestoweniger: Wir sehen in diesem Zusammenhang mitunter schlimme Gewebevernarbungern und Genitalverstümmelungen.

Auf dem Schlossberg gibt es auch die Möglichkeit, anonym zu entbinden. Wie wichtig ist dieses Angebot?

Wir bieten die Möglichkeit einer anonymen Geburt an. Und vor dem Mut dieser Frauen ziehe ich meinen Hut. Was mag sie für Beweggründe haben, diesen Schritt zu gehen? Urteilen dürfen wir jedenfalls nicht. Für die Frau ist der Schritt, und das wird für immer so sein, der schwerste ihres Lebens. Umso wichtiger, dass Frau und Kind medizinisch versorgt sind. Hier geben wir unser Bestes. Rechtlich ist es so, dass der Name der Mutter gespeichert wird in einem zentralen Register an einem Ort in Deutschland. Das Kind hat mit dem 16. Lebensjahr das Recht, diesen Namen zu erfahren. Die Frage, wo man eigentlich herkommt, treibt den Menschen doch nachhaltig um. Wir sind eine so reiche Gesellschaft im Vergleich zu vielen Ländern. Wir müssen es tragen und ermöglichen können, dass ein Kind eine Chance auf Leben hat, auch wenn seine Mutter zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage ist, sich um das Kind zu kümmern. Niemand muss ein Kind auf einer öffentlichen Toilette zur Welt bringen.

Lassen Sie uns noch über Rollenbilder sprechen. Sie sind ein Paradebeispiel für die moderne Frau. Als Mutter haben Sie es in eine Führungsposition geschafft. War das immer leicht?

Ganz sicher nicht. Aber ich und mein Mann haben uns früh verständigt und die Strukturen dafür geschaffen, dass wir beide arbeiten können. Sprich, wir hatten immer eine Unterstützung zu Hause, die ganz liebenswert unseren Haushalt strukturierte. Zudem würde ich sagen, sind mein Mann und unser Sohn tatsächlich emanzipiert (lacht). Wir Frauen können so viel schaffen. Wir müssen nur auch loslassen, alte, vermeintliche Anforderungen an uns abschaffen. Das erfordert Lebenslust, Selbstwertgefühl, Durchsetzungsvermögen und ein hohes Maß an Resilienz.

Sogenannte Trad-Wifes erobern das Netz. Nette Frauen, die sich wieder Schürzen anziehen, ihre Ehemänner bekochen und sich aufopfernd um die Kleinen kümmern.

Das finde ich persönlich ganz schlimm. Verstehen Sie dies nicht falsch. Ich finde es großartig und zwingend notwendig, dass wir uns um unsere Kinder kümmern und mit Partnern das Leben gemeinsam „stricken“. Eine familiäre Struktur und verlässliche, lebensfrohe Betreuung der Kinder ist echt essentiell. Die Kinder sind unsere Zukunft. Aber sich ausschliesslich auf Haushalt, Kinder und die Bedienung des Partners zu begrenzen, wenn das Herz noch nach etwas anderem ruft, halte ich für fundamental falsch. Die Trad-Wife-Bewegung entsetzt mich. Hier werden Errungenschaften eingestampft, wofür die Frauen, die unser Grundgesetz mitgeschrieben haben, viele viele Jahre gekämpft haben.

Ihr Team ist weiblich, das hatten Sie bereits gesagt. Sind Frauen die besseren Arbeitnehmerinnen?

Um besser oder schlechter geht es nicht. Zwar ist die Frauenheilkunde eher weiblich, da die jüngeren Frauen nach Frauenärztinnen Ausschau halten. Frauen arbeiten in einer anderen Hierarchie und Teamstrukturen als Männer und haben auch andere Lösungsansätze und Flexibilität. Unterm Strich muss man aber sagen, dass Frauen mit Kindern, die bewusst in ihrem Job weiter arbeiten wollen, absolut gefragte Arbeitnehmerinnen sind. Alles unter einen Hut zu bringen, erfordert Organisationstalent, Flexibilität, Spontanität und eine hohe Belastbarkeit. Wir brauchen die Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Und wir wissen auch: Viele Mütter, die mit Kindern arbeiten gehen, sind einfach in der Lage, mehrere Dinge gleichzeitig zu wuppen, sie sind lösungsorientiert und super effizient.

Zum Schluss: Was muss sich weiter verändern, für Frauen, für Kinder, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Wir müssen weiter Arbeitsmodelle schaffen, sodass Frauen und Männer in ihrem Beruf arbeiten können – auch wenn nun Kinder die Familie erweitern. Pragmatische, realistische Absprachen zwischen den Eltern und faire Aufteilung der Familienaufgaben wird in den Familien zu mehr Frohsinn, Lebensqualität und Zufriedenheit führen. Die Kinder freuen sich, wenn der Vater auch regelmässig an bestimmten Tagen Zeit zu Hause mit ihnen verbringt. Sie sehen, die Werte in unserer Gesellschaft stehen da im Fokus. Die genderunabhängige Arbeitsleistung sollte respektiert werden. Die Rollenbilder könnten in manchen Situationen auch hier in Deutschland einen neuen Anstrich gebrauchen (lacht). Klar ist: Wir brauchen Kinder, sie sind die Zukunft und ermöglichen eine Weiterentwicklung.

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