Alltagsengel

Cosima Riedelsheimer kümmert sich im Heidenheimer Hospiz Barbara als Sterbebegleiterin um Schwerstkranke

Seit fünf Jahren schenkt Cosima Riedelsheimer im Heidenheimer Hospiz als ehrenamtliche Sterbehelferin Schwerstkranken Zeit und Zuwendung. Das ist ihre Motivation.

Cosima Riedelsheimer kümmert sich im Heidenheimer Hospiz Barbara als Sterbebegleiterin um Schwerstkranke

Ihre Arbeit beginnt, wenn das Ende schon ganz nah ist: Cosima Riedelsheimer ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Wobei der Begriff Arbeit wohl falsch gewählt ist. Zuwendung trifft es bestimmt besser. Anteilnahme. Wie auch immer. Auf jeden Fall kommt die 52-Jährige niemals ohne ein Geschenk, das von Sekunde zu Sekunde wertvoller wird, weil es unwiderruflich schwindet: Zeit. „Ich möchte für die Sterbenden da sein“, sagt Riedelsheimer, „sie sollen nicht allein sein, sondern in ihrer schwierigen Situation Unterstützung bekommen.“

Ihre eigenen Bedürfnisse haben dann zurückzustehen. Was zählt, sind allein die Anliegen der Gäste und ihrer Angehörigen. Gäste. So werden im Hospiz Barbara in Heidenheim die Schwerstkranken genannt, denen die Sterbebegleiterinnen und -begleiter ihre Aufmerksamkeit widmen. Mit denen sie essen, sprechen, lesen, Zeit verbringen.

Bewusste Auseinandersetzung mit Tabuthemen

Nur zwei aus dem Team bleiben so lange dabei, bis das Leben unwiderruflich endet. Cosima Riedelsheimer gehört dazu. Es ist die bewusste Auseinandersetzung mit Tabuthemen: Sterben, Leid, Tod. Und stets steht am Anfang die Frage, ob der Gast überhaupt eine Begleitung wünscht.

Nicht immer ist die Haltung so klar wie bei jenem jungen Mann, den Riedelsheimer erst unlängst nach dem ersten Besuch fragte, ob sie denn wiederkommen solle. Die Antwort war eindeutig: „Ich hoffe doch.“ Was folgte, war eine vierwöchige Verbindung auf Augenhöhe, die auf großem Vertrauen beruhte – und auf einer Nähe, die auch Umarmungen zuließ.

Abstand nach einer besonders anstrengenden Sterbebegleitung

Wie vertraut der Umgang miteinander ist, bestimmt Riedelsheimer selber. „Es kommt ganz darauf an, wie viel ich ertragen kann“, sagt sie. Überfordert gefühlt hat sie sich in den bislang fünf Jahren ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit nie. Ihren Grenzen nahe brachte sie gerade die Begleitung besagten jungen Gastes gleichwohl: „Es war ganz schlimm, aber wir beiden haben es toll hingekriegt.“ Gleichwohl entschied sich Riedelsheimer, anschließend vier Wochen lang keine Begleitung zu übernehmen. „Zum Selbstschutz“, sagt sie, „ich musste alles erst einmal sacken lassen.“

Wie erholt sich jemand, der permanent mit der Vergänglichkeit konfrontiert ist, Situationen zu bewältigen hat, die viele Menschen nach Möglichkeit meiden? Die 52-jährige sucht Hilfe im Gebet, schöpft Kraft bei Wallfahrten. „Wer im Glauben verwurzelt ist, kann im Tod besser loslassen“, zeigt sie sich überzeugt. Gleichwohl spiele es keine Rolle, ob der jeweilige Gast ebenfalls gläubig ist: „Ich will niemanden bekehren, einfach nur da sein.“ Stärke geben ihr auch Gespräche mit guten Freunden, die ihre Motivation nachvollziehen können.

Cosima Riedelsheimer hat keine Angst vor dem Tod

Hat Cosima Riedelsheimer Angst vor dem Tod? „Nein“, sagt die 52-jährige Erzieherin spontan, „der gehört schließlich zum Leben dazu.“ Angst vor dem Sterben? „Ja, weil ich weiß, wie unschön dieser Prozess sein kann.“ Und trotzdem steht sie in ihrer Freizeit Menschen zur Seite, die wissen, dass die letzten Wochen, Tage, Stunden ihres Lebens angebrochen sind.

Es sind immer wieder Begegnungen mit der Endlichkeit. Man kann sich problemlos entspanntere und fröhlichere Formen ehrenamtlichen Engagements vorstellen. Weshalb also ausgerechnet Sterbebegleitung? War möglicherweise ein besonders prägendes Geschehen ausschlaggebend? Es gab tatsächlich dieses eine Erlebnis, das vieles grundlegend veränderte.

Ehrenamtliches Engagement ohne Tabuzone

Beim Tod des Vaters war Riedelsheimer nicht imstande, ihre Mutter zu unterstützen. Und als sie starb, „konnte ich nicht vor Ort sein, um ihr im letzten Moment die Hand zu halten. Das war sehr schlimm für mich, und ich dachte zunächst, ich zerbreche daran“, sagt sie. Doch das Gegenteil trat ein. Der Moment markierte den Beginn eines Weges zu der Stärke, die sie heute auszeichnet. Es war ein anspruchsvoller Prozess, „denn ich sehe und rieche beispielsweise Dinge, die ich im Alltag auf der Straße niemals kennengelernt hätte. Aber ich lasse es zu, und es gibt keine Tabuzone“.

Aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen ist sie der Überzeugung, dass für die Sterbebegleitung ein bestimmtes Maß an Lebenserfahrung erforderlich ist, 20-Jährige mit vielen Situationen überfordert wären. Zugleich betont sie, die Fähigkeit zur Empathie helfe dabei, die Herausforderung zu meistern: „Ja, man muss es aushalten, aber das Gegenüber muss das ja auch.“ Keinesfalls bedürfe es bei der Sterbebegleitung großer Reden: „Wer sagt denn, dass man immer was sagen muss?“

Schon die bloße Nähe kann Trost spenden

Riedelsheimer weint schon mal mit einem Gast, aber es wird auch gelacht. Und oft ist es die bloße Nähe, die Trost spendet. In Erinnerung bleibt besonders die Erfüllung letzter Wünsche: ein Spaziergang am Itzelberger See, ein Besuch in einer Eisdiele, das einer Frau gegebene Versprechen, sie nach dem Sterben so zu schminken, wie schon wenige Tage zuvor.

Manches Mal entwickelt sich in der kurzen Zeit, die Riedelsheimer mit Gästen verbringt, eine intensive Beziehung zu einem zuvor fremden Menschen. Die Kontakte sind immer wieder unterschiedlich, „denn jeder lebt und stirbt anders“. Immer wieder aber auch gewinnbringend, „denn es erweitert meine Biografie, ist ein Lebensinhalt geworden, macht mich reich und demütig zugleich“.

Bekommt Cosima Riedelsheimer eigentlich eine Aufwandsentschädigung für ihren Einsatz? „Nein“, sagt sie. Und sie käme auch nicht auf die Idee, eine solche zu erwarten: „Dieser Dienst ist unbezahlbar.“

Dieser Artikel ist Teil der HZ-Serie "Alltagsengel". Mehr Geschichten über Alltagsengel, die in der Region Heidenheim Gutes tun, gibt es hier zu lesen.

Ausbildung für Sterbebegleiter

Wer wie Cosima Riedelsheimer in der Sterbebegleitung am Hospiz Barbara mitwirken möchte, hat eine Ausbildung zu absolvieren. Die Kurse und Seminare beschäftigen sich unter anderem mit theoretischen Grundlagen zu körperlichen Veränderungen während des Sterbeprozesses, mit Fragen der Gesprächsführung, mit dem Verhalten in Krisensituationen und mit der Eigenreflexion. Während der späteren Tätigkeit werden regelmäßig Supervisionen angeboten, die sich der Bewältigung der herausfordernden Situationen widmen.

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