Das Phantom einer Oper
Manchmal ist alles wie im Märchen: „Komm, stelle das M auf den Kopf!“, raunt eines glücklichen Abends eine himmlische Stimme dem verzagten Meister Magner zu. Der tut’s, hört bald darauf die Wurmuhr wölf wimmeln, reiht fortan wonniglich wabernden Wesens Hit an Hit, wohnt in Wahnfried und wird der beste Freund des Königs.
So ähnlich macht, wenn wir uns noch halbwegs genau erinnern, Richard Wagner bei „Schobert & Black“ Karriere. „Das große Weh“ lautet der Titel des ironisierend romantischen Lieds jenes in den frühen 1970ern hoch im Kurs stehenden deutschen Barden-Duos. Ewig nicht mehr gehört.
Eine Stimme vom Himmel, una voce dal cielo, mischt auch in dem in diesem Jahr von Heidenheims Opernfestspielen verhandelten Hauptstück mit. Sie singt Sopran, gibt zwar keine guten Ratschläge, liefert uns aber die Steilvorlage, um aus der Tiefe des Raumes ohne alle Umschweife an Wagner vorbei in Richtung Verdi stürmen zu können. Motto: „Komm, kratze das s hinten weg!“
Nicht falsch, nicht richtig
Worauf wir hinauswollen? Nun, diesen Freitag hauen Heidenheims Opernfestspiele Giuseppe Verdis „Don Carlo“ raus. Carlo ohne s. Und da geht’s gleich los. Ohne s sei falsch, sagen manche, nur mit sei richtig. Ist das so? Dazu erst einmal so viel: Bloß weil etwas richtig oder zumindest nicht falsch ist, muss es noch lange nicht auch leicht vermittelbar sein.
Vielleicht erinnert man sich: Anno 2001 stand diese Oper schon einmal auf dem Spielplan der hiesigen Festspiele. Als „Don Carlos“. Also mit s. Durchaus auch war das damals dem Umstand geschuldet, dass man seine Ruhe haben wollte. Ruhe vor Kritik oder Häme, die darauf hinweisen würde, dass man auf Plakaten oder Eintrittskarten das s vergessen habe. Aber hätten die Beckmesser auch recht gehabt?
Unbestritten ist: Der Komponist des Werkes ist Italiener. Sein Titelheld aber ist ein Spanier. Das wiederum müsste eigentlich für Carlos sprechen. Wenn es so einfach wäre. Es ist aber viel komplizierter. Das fängt schon damit an, dass es die Oper gewissermaßen zweimal, sogar, wenn nicht öfter, dreimal gibt. Zunächst in einer französischen Fassung, fünfaktig und tatsächlich die erste Version für die Uraufführung im März des Jahres 1867 in Paris. In Frankreich lief das Ganze denn auch unter dem Titel „Don Carlos“, wobei man wahrscheinlich sicher sein kann, dass das mit der Aussprache in Frankreich auch nicht so einheitlich gehandhabt wurde.
Im Oktober des Uraufführungsjahres ging diese fünfaktige Fassung, ins Italienische übersetzt, nach Bologna und trug von Anfang an den Titel „Don Carlo“; mit Sicherheit deshalb, weil hier italienisch gesungen wird und sich der Italiener als solcher, dem Franzosen hierin nicht unähnlich, wenig um fremdsprachliche Probleme schert. Die heute meistgespielte und – da immer wieder vom Komponisten in kleinerem oder größerem Umfang verändert –, nun eigentlich insgesamt siebte Version des Werks, kam, vieraktig und italienisch, erst 1884 in Mailand an der Scala heraus. Gerufen wurde sie damals Carlo, heute heißt sie mal Carlo, mal Carlos. Hatten wir eigentlich schon erwähnt, dass das manche so und andere anders halten?
Die Klapsmühle
So oder so: Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hatte sich Giuseppe Verdi immer und immer wieder mit dieser Oper beschäftigt und an ihr gearbeitet. Das war für seine Verhältnisse völlig außergewöhnlich. Ulrich Schreiber jedenfalls nannte Verdis „Don Carlo(s)“ einmal sehr bildmächtig und anspielungsreich „das Phantom einer Oper“. Die letzten noch unbekannten und sehr wahrscheinlich während der Proben zur Pariser Uraufführung 1867 gestrichenen Passagen wurden übrigens 1970 gefunden.
Im Heidenheim des Jahres 2001 hatte man auf alle Fälle nicht lange herumgeredet und die vieraktige italienische Fassung einfach mit einem s für Carlo versehen. Ruhe hatte man trotzdem keine. Zwar beschwerte sich niemand über den Namen der Oper, dafür erregte die Inszenierung von Stefan Tilch, bei dem das Ganze in einer Art Klapsmühle am Rande der Galaxis spielte, die Gemüter nachhaltig. In einer Flut von Leserbriefen keilten die Gegner und Befürworter ganz schön aus.
Es geht auch mit K
Im Heidenheim des Jahres 2023 steht erneut die vieraktige italienische Fassung auf dem Spielplan. Wie das alles aussehen wird, wird man ab Freitag wissen. Freilich weiß man, wer inszeniert: Georg Schmiedleitner, wie zuletzt beim „Tannhäuser“. Fad werden wird’s also eher nicht.
Eingebrockt, wenn man so will, hat allen die Carlos-Carlo-Suppe übrigens weiland ein Schwabe. Ein Schwabe namens Schiller. Friedrich Schiller, der mit seinem Bühnenstück Giuseppe Verdi zur Oper inspirierte. Bei Schiller übrigens hieß Carlo Karlos, „Don Karlos“. Mit K. Eine Schreibweise, an die heutigentags allenfalls noch Walt Disneys Kater Karlo erinnert, im amerikanischen Original übrigens wenigstens für unser Thema völlig unverfänglich Black Pete gerufen, ein rechter Bösewicht, der immer Mickey Mouse ärgert, der wiederum hierzulande auch als Micky Maus bekannt ist.
Noch ‘ne Oper
Puh, verwirrt, genervt gar? Hoffentlich nicht. Denn wir haben eigentlich noch ein solches Lied parat, das eine Oper von Giuseppe Verdi singen kann: „Simone Boccanegra“. Obwohl in diesem Falle dem Namen des Titelhelden üblicherweise nichts hinzugefügt, sondern etwas abgeknabbert wird. Das e nämlich, damit er hierzulande als „Simon Boccanegra“ über die Bühne schreiten darf.
Warum? Vermutlich, damit sich die Frage erübrigt, weshalb der Doge von Genua, um den es in dieser Geschichte geht, ein Heldenbariton obendrein, zwar in Männerkleidern daherkommt, aber einen Mädchennamen führt. Obwohl, so kurz vor der Verwirklichung des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes und anno 2023 … Aber gut, das lassen wir jetzt an dieser Stelle mal lieber sein.
Denn noch nicht geklärt haben wir in dem ganzen Durcheinander den – sieht man einmal von der Gesamtspielzeit ab –, wesentlichen Unterschied zwischen der fünfaktigen und der vieraktigen Fassung von „Don Carlo(s)“. Verpasst man etwas in Heidenheim? Ja, den Genuss des Liebesduetts zwischen Elisabeth von Valois und dem spanischen Infanten. Und obendrein die ganze Vorgeschichte des ohne diese in vier Akten dann doch insgesamt etwas aus dem psychologischen Zusammenhang gerissenen Verhandelten. Deshalb erzählen wir diese Vorgeschichte im Vorfeld am besten gleich hier.
Die Vorgeschichte
Also: Carlo und Elisabeth sind einander aus politischen Gründen versprochen. Und so trifft es sich eigentlich ausgezeichnet, dass sie sich – ohne, dass die Dame zunächst weiß, wer der Herr ist – im Wald von Fontainebleau ineinander verlieben. Der erste Akt, der Akt, der bei der vieraktigen Fassung weggelassen wird, ist denn in der Opernwelt auch als Fontainebleau-Akt bekannt.
Während die beiden Teenager als noch im Walde turteln, einigen sich im Städtchen die Gesandten des spanischen und des französischen Königs auf einen Friedensvertrag. Dies garniert der verwitwete spanische Souverän Philipp II. mit der Idee, die wesentlich jüngere Elisabeth gleich selber zu heiraten. Selbstverständlich passt das dem jungen Liebespaar überhaupt nicht ins Konzept. Doch während es bei Carlo zunächst einmal damit getan ist, dass er über den Plan des Vaters in schiere Verzweiflung gerät, muss Elisabeth, will sie nicht den Frieden gefährden, tatsächlich in die Heirat mit dem alten Knacker einwilligen. Kein Wunder also, dass am Ende von Akt eins reichlich Zündstoff für die folgenden vier Akte vorhanden ist, die man nun ab Freitag in Heidenheim erleben kann . . .
Die Premiere beginnt um halb acht
Die Premiere von „Don Carlo“ am Freitag, 7. Juli, beginnt um 19.30 Uhr. Es gibt dafür, unter anderem im Ticketshop des Pressehauses in Heidenheim, sogar wieder einige Karten, die zurück in den Verkauf gelangt sind, weil Reservierungen nicht bestätigt wurden.