Er war schockiert, als er von den "Remigrationsplänen" der AfD erfuhr, sagt Abdullah Göcmen vom Migrationsbeirat des Landkreises. „Dass es Menschen gibt, die über sowas nachdenken, macht mir Angst.“ Was ihn betroffen macht, sind aber nicht nur die Pläne und die Sprache der Rechten. Auch etablierte Parteien verhielten sich mitunter populistisch, wenn es um Migranten gehe. „Sie benutzen die Menschen, weil sie denken, dass sie so bei den Wahlen mehr Stimmen bekommen.“
„Von verschiedenen Seiten wird die Angst geschürt, dass Menschen hierherkommen, um das deutsche Sozialsystem auszunutzen“, so Göcmen weiter. „Dabei ist das Gegenteil der Fall.“ Wenn Migranten nach Deutschland kämen und die Sprache noch nicht sprächen, müsse natürlich erst in sie investiert werden. „Sie sind vielleicht anfangs eine Belastung für die Gesellschaft, aber dann werden sie zu einer Bereicherung. Sie wollen und werden viel beitragen.“ Und schon aufgrund des demografischen Wandels, der ganz Europa betreffe, könne man den Wohlstand ohne Zuwanderung nicht sichern.
Göcmen kam mit 1987 mit zehn Jahren aus der Türkei nach Deutschland. „Ich sprach kein Wort Deutsch“, sagt der 46-Jährige. Trotzdem hat er später Maschinenbau studiert und arbeitet heute im Qualitätsmanagement bei Voith. Der Königsbronner engagiert sich ehrenamtlich auch in der Notfallseelsorge und im muslimisch-christlichen Arbeitskreis.
Assimiliert oder integriert?
Aus Sicht der Rechten sollten Menschen aus Deutschland verdrängt werden, die nicht ausreichend assimiliert sind. Selbst, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung gilt als assimiliert, wer sich der neuen Heimat vollständig anpasst und etwa Sprache, Gebräuche und Religion des Herkunftslandes komplett aufgibt. Als integriert gelten Zuwanderer, wenn sie sich in das Leben ihrer neuen Heimat eingegliedert haben. Dazu gehört auch, dass sie die Sprache beherrschen. Ihre eigene kulturelle Herkunft müssen sie aber nicht aufgeben.
Hält sich Göcmen für assimiliert? „Ich mag das Wort nicht“, ist seine Antwort. „Ich muss nicht Schweinefleisch essen und Bier trinken, um zu zeigen, dass ich in Deutschland angekommen ist. Warum soll ich meinen Glauben verleugnen oder wechseln? Soll ich am Schluss noch meinen Namen ändern, weil er sich zu türkisch anhört?“ Das sei nicht nötig. „Ich bin voll integriert. Zudem ist die Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert. Und im Übrigen kann man von anderen Kulturen lernen – nicht nur von der deutschen.“
Für die Hunderttausende Menschen, die seit zwei Wochen gegen rechts demonstrieren, ist Göcmen voll des Lobes. „Das bewirkt etwas, wenn die Mitte der Gesellschaft sagt: ,Wir wollen das nicht!‘ Und ich hoffe, dass dieses deutliche Zeichen das Bewusstsein dafür schärft, dass die AfD keine Lösung ist.“
Das sagt Hüseyin Perktas aus Heidenheim
„Es gibt zwei Dinge im Leben, die man nicht wählen kann“, sagt Hüseyin Perktas. „Seine Eltern und seinen Geburtsort. Es ist Zufall, ob man schwarze Haut oder blonde Haare hat. Deshalb muss man einfach alle wie Menschen behandeln.“ Und das hat der 68-Jährige sein ganzes Leben getan. 1988 fand das erste von ihm organisierte internationale Festival zwischen Bosporus und Brenz in Steinheim statt. Fortsetzungen fand es in Heidenheim. Doch auch damals gab es ähnliche politische Strömungen. Namentlich nennt Perktas die Republikaner. „Die waren eine Zeitlang auch populär, aber mit dieser Politik kommt man nicht vorwärts.“ Und so verschwand die Partei dann auch in der Versenkung. „Ich hoffe, das passiert auch mit der AfD.“
Perktas' Eltern waren Kurden, aufgewachsen ist er in Istanbul und kam als gelernter Hotelfachmann vor 43 Jahren nach Deutschland. Er hat als Gastronom und in der Lebensmittelbranche gearbeitet. Die Anfangszeit in Deutschland sei schwer gewesen. „Aber das lag nicht an den Leuten, das lag an der Politik“, erklärt Perktas. „Sie wollten Arbeitskräfte, jeder, der starke Arme und gesunde Zähne hatte, sollte kommen. Aber man hatte kein Interesse daran, dass sie die deutsche Sprache lernen, hier zur Schule gehen und die Kultur kennenlernen.“ Das habe sich zum Glück geändert.
Perktas hat einen deutschen und einen türkischen Pass. „Die Türkei ist mein Mutterland und Deutschland ist meine Heimat. Ich gehöre hierher und bin ein Teil Deutschlands.“ Seine Wurzeln vergisst er dennoch nicht. „Ein Tisch kann ja auch nicht auf einem Bein stehen.“ Aber: „Man muss sich dem Land anpassen und nicht andersherum. Das ist ganz klar.“
Die "Remigrationspläne" der Rechten findet Perktas absurd. „Gehen Sie mal in die Schloss-Arkaden – 70 Prozent der Leute, die da arbeiten, haben einen Migrationshintergrund. Dasselbe gilt für 50 Prozent der Ärzte und Pflegekräfte im Klinikum und wahrscheinlich für 90 Prozent der Reinigungskräfte dort. Wer soll denn hier die Arbeit machen, wenn alle gehen müssten?“, fragt er. Deutschland brauche Zuwanderung und Arbeitskräfte.
Das sagt Süha Buluttimur aus Königsbronn
„Ich bin in Deutschland geboren, habe meinen türkischen Pass mit 18 abgegeben und eine deutsche Frau geheiratet“, sagt Süha Buluttimur. „Natürlich bin ich assimiliert und das ist auch nichts Schlechtes.“ Der 46-Jährige arbeitet in der Automobilbranche im Vertrieb, sitzt seit zehn Jahren im Gemeinderat in Königsbronn und ist seit vielen Jahren der Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins im Ort.
„Einige Aussagen, die von Seiten der AfD kommen, sind krank, aber ich persönlich bin nicht besorgt, weil sich das einfach gar nicht umsetzen lässt“, sagt Buluttimur. Er wolle allerdings nicht alle in der Partei über einen Kamm scheren. Denn das Thema Migration will er nicht durch die rosarote Brille betrachten: „Natürlich muss man Menschen helfen, die in Not sind, aber Deutschland kann nicht die ganze Welt retten, das schaffen wir eben nicht.“
Menschen, die nach Deutschland kommen, hätten nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, so Buluttimur. „Die Sprache lernen, sich nicht abkapseln, einen Job suchen und das Wichtigste: nicht straffällig werden.“ Ist Letzteres nicht gewährleistet, plädiert Buluttimur dafür, dass der Rechtsstaat sein Repertoire ausschöpft und konsequent und schnell in der Strafverfolgung ist. „Da sollte es kein Pardon geben.“
Offenbar mehrere Geheimtreffen
Im November trafen sich AfD-Vertreter, CDU-Mitglieder, Unternehmer und Rechtsextreme in Potsdam, um über "Remigration" zu sprechen. So bezeichnet man beschönigend die Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland. Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht. Das Geheimtreffen, das für bundesweite Kundgebungen gegen Hass und Hetze gesorgt hat, war offenbar nicht das erste dieser Art. Wie die „Augsburger Allgemeine“ berichtet, gab es schon zuvor im schwäbischen Dasing eine ähnliche Zusammenkunft.
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