Das Wachs der Königin
In hohem Maße interessant und gelungen ist die zweite Auflage der Ausstellung „Ausgepackt“ im Heidenheimer Schlossmuseum. Einen Untertitel hat sie auch: „Alte Sammlung, neu entdeckt“. Bis die Schau mit Beginn des Novembers in den Winterschlaf fällt, wollen wir an dieser Stelle in unregelmäßigen Abständen wieder besondere Ausstellungsstücke und deren Geschichte vorstellen.
Die Sammlung, von der hier die Rede ist, wurde in den vergangenen 120 Jahren zusammengetragen und geht auf die Initiative des Gymnasialprofessors Eugen Gaus (1850 – 1934) zurück, der im Jahre 1901 in Heidenheim den Heimat- und Altertumsverein gründete, und zwar zu dem Zwecke, im Schloss eine Altertümer-Sammlung einzurichten. Gesammelt wurde eigentlich alles.
Von Sammlern und Weltreisenden
Und es sammelte sich auch einiges an. Rein zeitlich betrachtet, deckt die Sammlung über 50.000 Jahre ab, beginnend mit Fundstücken aus der unterhalb des Schlosses entdeckten Heidenschmiede, einem Rastplatz der Neandertaler. Großen Raum in der Sammlung nehmen Souvenirs ein, die nicht selten in Sachen Geschäft weltreisende Heidenheimer des großbürgerlichen Milieus mitbrachten, nicht zuletzt Mitglieder der Industriellenfamilien Voith, Hartmann, Meebold oder Zoeppritz, die immer auch eine wichtige Rolle in den Reihen des Heimat- und Altertumsvereins spielten.
Im Jahre 1993 ging das zwar vergleichsweise gut inventarisierte, aber über Dachböden und Keller nicht nur auf dem Schloss, sondern gewissermaßen ganz Heidenheim verstreut aufbewahrte Sammelsurium in den Besitz der Stadt über. Doch erst 2010 gelang es, auf dem Schlachthofareal ein provisorisches Depot für wenigstens einen großen Teil der Sammlung einzurichten. Nach dessen Abriss schaffte man es 2019, zirka 80 Prozent des Sammlungsbestandes in einem Zentralmagazin in der Schmelzofenvorstadt einzulagern.
Briefe und Monarchen
Nun war es erstmals möglich, sich einen mehr oder weniger umfassenden Eindruck über den tatsächlichen Sammlungsbestand zu machen, wobei Überraschungen und auch Neuentdeckungen nicht ausblieben. Folgerichtig werden in der Ausstellung auch Objekte gezeigt, die seit 1901 noch nie in der Öffentlichkeit zu sehen waren. Zum Beispiel, und damit nun zu unserem ersten Fundstück der Schau, das wir im Rahmen unserer kleinen Serie ausführlich betrachten wollen, das Großsiegel von Queen Victoria.
Dieses tatsächlich beinahe tellergroße Großsiegel gehört zu einem sogenannten Briefpatent angebracht, englisch letters patent. Briefpatente sind ein Rechtsinstrument in Form einer veröffentlichten schriftlichen Anordnung, die von einem Monarchen, Präsidenten oder einem anderen Staatsoberhaupt ausgestellt wird und im allgemeinen ein Amt, ein Recht, ein Monopol oder einen Titel verleiht.
Von Heidenheim in alle Welt
Dieses, wie auch immer, 1934 aber bezeichnenderweise nach Heidenheim gelangte Briefpatent, wurde im Jahr 1873 auf einen Briten namens Bristow Hunt ausgestellt. Hunt sicherte sich damit die Rechte an Heinrich Voelters Entwicklung des Holzschliffs zur Herstellung von Papier im Vereinigten Königreich von Großbritannien, Irland, den Kanalinseln und der Isle of Man für den Zeitraum von vierzehn Jahren.
Heinrich Voelter wiederum war der 1817 in Heidenheim geborene Mann, der Mitte des 19. Jahrhunderts dem sächsischen Erfinder Friedrich Gottlob Keller das Patent für den Holzschliff und die Produktion von Papier aus Holzbrei abkaufte, das er zusammen mit dem Heidenheimer Schlosser Johann Matthäus Voith so weiterentwickelte, dass mit der Hilfe von sogenannten Spindelholzschleifern die industrielle Herstellung von Papier aus Holz möglich wurde, das bis dahin aus Lumpen hergestellt worden war und nur in kleinen Mengen zu haben und deshalb entsprechend teuer war. Voelter und Voith jedenfalls verkauften bald Spindelholzschleifereien an Papierfabriken in aller Welt. Und so war und ist Heidenheim die Stadt, in der einst der Weg für die weltweite industrielle Massenproduktion von Papier aus Holzstoff geebnet wurde.
Das im Schlossmuseum präsentierte Großsiegel von Queen Victoria war – Siegelwachs wird über die Jahre sehr spröde und darf zudem nicht höheren Temperaturen ausgesetzt werden – zerbrochen, wurde geklebt und mit einem äußeren Befestigungsring versehen. Siegelwachs wird über die Jahre sehr spröde und ist zudem vor höheren Temperaturen zu schützen. Das Pergament muss an den Knicken behandelt werden, bevor die Urkunde in offenem Zustand ausgestellt werden kann.
Queen Victoria war von 1837 bis 1901 Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland. Ab Mai 1876 trug sie zusätzlich den Titel Kaiserin von Indien.
Noch bis Ende Oktober geöffnet
Die Ausstellung „Ausgepackt“ im Schlossmuseum in Heidenheim ist bis zum 31. Oktober von Dienstag bis Samstag von 11 bis 16 Uhr und sonn- und feiertags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Führungen für Gruppen oder museumspädagogische Angebote, etwa für Schulklassen, sind auf Anfrage (Tel. 07321.327-4710, museen@heidenheim.de) auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich.