Ex-Bundespräsident Joachim Gauck für Demokratiestunde zu Gast in Heidenheim
Etwa 300 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen am Samstagabend in die Heidenheimer Pauluskirche, um einem Gespräch zwischen dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und dem gebürtigen Giengener, Dr. Wolfgang Niess, promovierter Historiker und langjähriger Redakteur und Moderator des Süddeutschen Rundfunks, zuzuhören. Gauck reist zur Zeit durchs Land, um sein aktuelles Buch „Erschütterungen“ vorzustellen.
Der ehemalige Pfarrer und der ehemalige Journalist wollten an diesem Abend der Frage nachgehen, „weshalb das Vertrauen vieler Bürger in unsere liberale Demokratie erschüttert ist“, wie es in einer Ankündigung der Veranstalter, der Stadtbibliothek und der evangelischen Erwachsenenbildung Heidenheim, hieß. Gauck konstatiert dabei in seinem neuesten Buch eine Bedrohung der liberalen Demokratie sowohl von innen als auch von außen. Beides entspringe dabei seiner Ansicht nach demselben Motiv: der Ablehnung der Moderne.
Kulturell verkitscht und politisch schädlich
Gauck sprach zu Beginn über seine drei „Begegnungen“ mit der Demokratie. In seiner Jugend sei sie das „ferne und leuchtende Jugendziel“ gewesen. Die zweite Begegnung war für ihn „ein endlich erreichter Ankunftsort“ und fügte an: „Nun, am Abend meines Lebens, hat sich meine Sicht auf sie noch einmal verändert: Wovon ich einst träumte und was mich danach beheimatete, ist keine ewig festgefügte Ordnung, dass unumstößlich Gute, wo die Gerechten in stabiler Sicherheit leben“. Die Menschen hätten zu lange zu sorglos in den Tag hinein gelebt und dabei die Gefahren übersehen, die dieser Demokratie von innen und von außen drohten, so Gauck.
Eine dieser Gefahren für unsere freiheitliche Ordnung sei der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Russland sei eine imperiale Macht, die das völkerrechtliche Gewaltverbot missachte, so Gauck. Die russische Besetzung der Krim und des Donbas im Jahr 2014 erlebte Gauck als amtierender Bundespräsident. Er gehe, was die russische Aggression anbelange, auch mit dem Verhalten deutscher Politiker und Politikerinnen sowie der Wirtschaft hart ins Gericht. Er sei bereits damals in Distanz geraten „zu einer Sicht auf Russland, die mir kulturell verkitscht und politisch schädlich erschien“.
„Ich gehöre nicht zu denen, die Alarm schlagen, weil sie das Ende der deutschen Demokratie sehen“
Joachim Gauck, Ex-Bundespräsident
Zwar sei es ihm als amtierender Bundespräsident - der Verfassung entsprechend - nicht gestattet gewesen, sich aktiv in das Regierungshandeln der Bundesregierung einzumischen. Aber er habe es sich auch nicht nehmen lassen, der Bundeskanzlerin damals seine Meinung mitzuteilen. Nämlich dass er es nicht nachvollziehen könne, dass man nach 2014 - also der Annexion der Krim und des Donbas - „Nord Stream 2 an unseren Nachbarn vorbei durch die Ostsee leitet, zum Vorteil unserer Wirtschaft“. Als Antwort habe Merkel damals darauf verwiesen, dass es sich um ein rein privatwirtschaftliches Projekt handele. „Da wollen wir uns mal nicht einmischen“, zitiert Gauck die Ex-Kanzlerin rückblickend.
Das unter Wladimir Putin sich entwickelnde Staats-und Gesellschaftsverständnis habe ihn an kommunistische Zeiten erinnert, so Gauck und führte als Belege zwei Tschetschenienkriege, den Georgienkrieg sowie zunehmende Repressionen nach innen und die Auslöschung der Herrschaft des Rechts an. Sich einer solchen aggressiven und imperialen Politik - und sei es auch „aus guten politischen Absichten heraus“ - mit realitätsfremden Wunschdenken und wohligen Worten entgegenzustellen, sei „pure Romantik“. Gauck hatte sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auch für massive Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen.
Von innen sei unsere freiheitliche Grundordnung seitens autoritärer und populistischer Kräfte bedroht, die „den Pluralismus und die Rechtsstaatlichkeit infrage stellen“, so Gauck. Er gehöre aber trotzdem nicht zu denen, „die Alarm schlagen, weil sie das Ende der deutschen Demokratie sehen“. Auch wenn viele Landsleute eine Partei wählten, die er für völlig überflüssig halte: Parallelen zur Weimarer Republik sehe er nicht. Mit seinem Buch wollte er zudem sein Befremden darüber ausdrücken, dass mit Donald Trump „ein Typ gewählt wird, von dem ich gedacht habe, der passt auf einen Jahrmarkt“. Für ihn habe sich damals die Frage gestellt, wie so etwas in einer Demokratie möglich sein könne.
Joachim Gaucks Meinung zur AfD
Was das Erstarken einer Partei wie der AfD angehe, habe er gedacht, „wir haben das nicht nötig“. Denn Deutschland habe Nationalismus in einer Form erlebt, „die so abstoßend war, dass es ein für alle Mal reichen müsste“. Bei der Suche nach Gründen für die wachsende Wählergunst für rechte Parteien in ganz Europa hat sich Gauck dann intensiver mit den Strukturen in westlichen Gesellschaften auseinandergesetzt. Dabei stieß er auf die Erkenntnis, dass insbesondere für konservativ geprägte Wählerinnen und Wähler Sicherheit wichtiger als Freiheit sei und gesellschaftlicher Wandel „in der Regel nur negativ“ bewertet werde. Hinzu komme eine Neigung zu „starker Führung“.
In einer Zeit, die von vielen Krisen und einem gleichzeitigen umfassenden gesellschaftlichen Wandel geprägt sei, so Gauck, stelle sich die Angst vor dem Verlust von etwas Wichtigem ein, der „Beheimatung im Vertrauten“. Weil Parteien für bestimmte Fragen wie beispielsweise die Migration und Integration nicht immer passende oder akzeptable Antworten haben, entstehe so etwas wie eine „Repräsentanzlücke“. Er sei allerdings davon überzeugt, dass die demokratische Zivilgesellschaft niemals zulassen werde, dass Deutschland jemals wieder in eine „diktatorische Dynamik“ geraten werde. Wichtig sei aber, dass man darüber rede.
Pfarrer, Politiker und Präsident
Joachim Gauck wurde 1940 in Rostock geboren und war bis 1989 dort auch als Pfarrer tätig. Im Rahmen dieses Amtes war er auch Mitinitiator des Widerstandes gegen die SED-Diktatur. Während der Wendezeit war er Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR, 1990 auch kurzzeitig Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Grüne. Er war er zehn Jahre lang erster Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in der nach ihm benannten „Gauck-Behörde“. 2012 wurde er zum elften Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt, nachdem er zwei Jahre zuvor noch Christian Wulff unterlegen war. Aus Altersgründen verzichtete er 2017 auf eine dritte Kandidatur.