Wer 1984 für Schlagzeilen sorgte

40 Jahre lang ein Heidenheimer Geheimnis: Der Mann, der Frederico war

Heute erzählen wir, warum Fellini nie bis Heidenheim kam und wer hinter einer Aktion steckte, die 1984 in der Stadt Schlagzeilen machte und insbesondere im Naturtheater für fieberhafte Aufregung sorgte.

Fellini kam nie bis Heidenheim. Aber heute vor 40 Jahren hatte er kommen wollen. Hatte es geheißen. Jedenfalls war er für den 9. März angekündigt gewesen. 1984. Doch noch ehe der Tag gekommen war, war klargewesen, dass er nicht kommen würde. Irgendwo in Heidenheim lachte sich wer ins Fäustchen. Anderswo im Städtchen jedoch fühlte man sich schwer auf den Arm genommen. Mindestens. Die längsten Gesichter zog man im Naturtheater. Dort, wo man tatschlich mit Fellini gerechnet hatte. Der Besuch des Zampanò! Bühnenreif wäre das gewesen. Doch aus dem Coup wurde eine Komödie. Wenigstens aus heutiger Sicht.

Damals war die ganze Geschichte ernsterer Natur. Sie hatte ihre Ursachen. Und sie hatte ihre Hintergründe. Folgen hatte sie auch. Die Gelackmeierten gerieten ins Rampenlicht. Der Regisseur blieb unerkannt in den Kulissen. Bis zum heutigen Tag. Wer war Fellini? Das Geheimnis wird hier nun tatsächlich gelüftet.

Der Brief

Es war ein Mittwoch, als Fellinis Name in Heidenheim plötzlich die Runde machte. Mittwoch, der 15. Februar. Beide Tageszeitungen berichteten gleichzeitig.  Die HNP titelte: „Frederico Fellini kommt nach Heidenheim“. Und zwar „Auf Schauspielersuche“, wie, gleichsam darüber schwebend, die sogenannte Dachzeile des Artikels verriet. In der HZ indes wurde diese Stelle von einer Frage eingenommen: „Federico Fellini nach Heidenheim?“ Und der Titel gab die Antwort: „Sein kurioses Schreiben ist vermutlich eine Fälschung“. Jetzt aber. Was war passiert?

Tiefdruck-F auf handgeschöpftem Büttenpapier: der Briefkopf der italienischen Botschaft an die Heidenheimer Volksschauspiele. Foto: Heinz Fritz

Nun, in beiden Redaktionen, so nehmen wir mal an, waren tags zuvor Heidenheimer Volksschauspieler erschienen. Mit stolzgeschwellter Brust. Und mit einem Brief. Dessen Absender war ein gewisser Frederico (sic!, mit r) Fellini. Aufgegeben war der Brief, laut Poststempel, in Empoli. Im Briefkopf hingegen war von Emboli die Rede. Via Aurelia 9. Adressiert war das Schreiben vom 3. Februar an die Volksschauspiele, Naturtheater, Direttore Moser, 7920 Haidenheim.

Die Verlockung

Der Inhalt des Briefs auf handgeschöpftem Büttenpapier war in italienischer Sprache gehalten und setzte das Naturtheater, damals als Verein noch Volksschauspiele genannt, davon in Kenntnis, dass kein Geringerer als der weltberühmte Filmregisseur Fellini höchstselbst ein Auge auf die Heidenheimer Volksschauspiele und deren Mimen geworfen hatte, deren Ruhmestaten bis zu ihm gedrungen seien. Der Brief-Fellini bezieht sich ausdrücklich auf Inszenierungen des Vorjahres wie „Kleiner Mann, was nun?“ oder Peter-Paul Zahls „Elser“.

Kam nie bis Heidenheim: Federico Fellini. Das Foto des italienischen Regisseurs entstand 1965. Foto: Library of Congress. New York World-Telegram, Walter Albertin.

Kurz und gut: Er, Fellini, plane einen neuen, in Deutschland spielenden Film, wieder, wie bei ihm üblich, auch mit Laiendarstellern besetzt, und sein verdeckt in der deutschen Amateurszene ermittelnder Münchener Agent habe ihm dafür auch Heidenheimer Schauspieler empfohlen. Da die Auswahl Chefsache sei, werde er gemeinsam mit drei Mitarbeitern am 9. März zwischen 19.30 und 21 Uhr persönlich nach Heidenheim kommen. Es handele sich um einen reinen Arbeitsbesuch, man möge sich keine Umstände machen.

Der Verdacht

Bei den Volksschauspielen – die, was man wissen muss, zu Beginn der 1980er Jahre öfter negativ als positiv in die Schlagzeilen gerieten, weil interne Grabenkämpfe und künstlerischer Richtungsstreit tobten, sich Schulden angehäuft hatten und der Verein zwischenzeitlich deshalb sogar kurz vor dem Aus gestanden war –, machte man sich auf den Weg zur Zeitung. Wenn schon berühmt, dann nicht heimlich.

Das Ergebnis ist bereits bekannt. Die HNP druckte eine deutsche Übersetzung des italienischen Briefes ab, und man störte sich auch nicht am r im Vornamen des „berühmten italienischen Regisseurs („La Strada“)“. In der HZ allerdings stolperte Rüdiger von Naso nicht nur über den Fehler im Vornamen, sondern auch darüber, dass im Brief von Emboli, auf dem Kuvert aber von Empoli die Rede war. Ein paar schnelle Recherchen in der Verlags- und Filmverleihwelt und die selber angestellte Vermutung, das r, mit dem aus Federico Frederico wurde, sei vom Verfasser womöglich auch deshalb verwendet worden, um sich gegen mögliche Regressforderungen zu schützen, ließen den HZ-Kulturredakteur zu dem Urteil kommen, dass der Brief eine Fälschung sei. „Zu schön, um wahr zu sein.“

Die Traumtänzer

Und wie ging es weiter? Während sich die HNP, was Fellini, anging, fortan totstellte und kein Wort mehr über die Affäre verlor, widmete die HZ in ihrer Ausgabe vom 9. März 1984, dem Tag an dem man Fellini in Heidenheim erwarten konnte oder auch nicht, eine sehr gescheite Kulturseite, auf der es unter anderem auch um Schein und Sein und, bekanntermaßen eine Spezialität Fellinis, um die Vermischung von Traum und Realität ging.

Das war, wie sich herausstellte, nicht schlecht geraten. Denn zu guter Letzt meldete sich am 16. März 1984 in einem Leserbrief in der HZ Frederico himself, „der hautnah unter Euch weilt“ und Einblicke in die Welt seiner Motive zuließ. Er habe versucht, die Akteure der Heidenheims Volksschauspiele „mit Hilfe ihrer eigenen Schwächen zu düpieren“, denn es sei „nicht mehr mit anzusehen, wie selbstherrlich und überheblich sich die Traumtänzer auf dem Schloßberg gebärden... Leute, die sich selbst für den Nabel der Theaterwelt halten...“ Er habe, schreibt Frederico weiter, mit dem Fellini-Brief darauf abgezielt, „daß die Laien vom Schloßberg trotz der eingebauten groben Fehler in einem Freudentaumel ausbrechen“, der jeden Zweifel an der Echtheit vergessen lassen würde. „Dies ist ja dann auch mehrere Tage lang filmreif abgelaufen.“

„Der Räuber Hotzenplotz“ statt „La dolce vita“: Nicht Federico Fellini, sondern Klaus Gröner führte im Sommer 1984 Regie beim Kinderstück im Naturtheater. Ilse Merkel war die Großmutter, Anja Bäuerle (links) der Seppel und Alexander Zwergel der Kasperl. Foto: HZ-Archiv

Die Wahrheit

Der Rest war Schweigen. 40 Jahre lang. Bis zu dem Tag, dem 15. Februar 2024, als in der HZ in der Rubrik „Zurückgeblättert“ an diese Geschichte erinnert wurde. 40 Jahre danach. Und sechs Tage darauf meldete sich Frederico bei der HZ. Der echte Frederico, der, um das zu beweisen, seiner Nachricht „ein aktuelles Foto des damaligen Briefpapiers“ beifügte. Für Rückfragen stehe er jederzeit zur Verfügung.

So kommt nun die Wahrheit an den Tag und bekommt Frederico, der Mann, der den Volksschauspielen weismachte, Fellini komme nach Heidenheim, ein Gesicht und einen Namen. Und der Briefschreiber ist: Heinz Fritz.

Heute ist Heinz Fritz einer von zwei Geschäftsführern der in Herbrechtingen beheimateten und für Kunststoffverarbeitung weithin bekannten Heinz Fritz GmbH. Damals, vor 40 Jahren, war Heinz Fritz sauer auf die Volksschauspiele. Wenn man zusammenfassen möchte, was ihn veranlasste, zu Frederico zu werden, dann war es wohl die Art und Weise, wie dort gearbeitet wurde.

Der Musiker

Dabei war Heinz Fritz nicht einmal Mitglied bei den Volksschauspielen. Aber seine inzwischen verstorbene Frau, Regina Mecklenburg, war, wie er schildert, sehr aktiv auf dem Schlossberg. Und als es eines Tages notwendig wurde, einen musikalischen Koordinator für Tankred Dorsts Bühnenbearbeitung von Hans Falladas Roman „Kleiner Mann, was nun“ zu finden, kam Heinz Fritz ins Spiel. Der war musikalisch als Schlagzeuger kein unbeschriebenes Blatt in der Stadt, Initiator von „Jazz im Schloß“ und Gründungsmitglied des Jazzclub Heidenheim e.V..

Heinz Fritz hatte Lust und engagierte als Musiker seinen Vater, der nach dem Krieg ein weit über die Grenzen Heidenheims hinaus bekannter Big-Band-Leiter gewesen war, sowie einige von dessen früheren Musikern. „Die wären prädestiniert gewesen für die Art von Musik, die gefordert war.“ Heinz Fritz hatte sich nicht nur die Noten bereits angeschaut, sondern auch gefragt, ob man sich schon die Rechte gesichert habe, um die Musik überhaupt aufführen zu dürfen. „Brauche man alles nicht“, habe die Antwort gelautet, erzählt Heinz Fritz. Er habe dann noch vorgeschlagen, zur Witwe des Komponisten nach Augsburg zu fahren, „weil es mir wichtig war, dass man sich an die Spielregeln hält“. Brauche man nicht.

Der Sizilianer

„Und da war ich dann raus“, sagt Heinz Fritz. „Mit so etwas wollte ich nichts zu tun haben.“ Aber er wollte es auch nicht dabei bewenden lassen. „Ich dachte mir, Euch halte ich jetzt mal den Spiegel vor.“ Und dann fiel ihm Fellini ein, „weil der halt viel mit Laiendarstellern machte damals. Das war die Korrelation“. Und dann kam der Brief.

„Es war gar nicht so einfach“, erinnert sich Heinz Fritz. Aber ein ehemaliger Trompeter seines Vaters, ein Sizilianer, übersetzte den Brief ins Italienische, und dessen Schwester, die – Hauptsache, Italien – in Empoli bei Florenz wohnte, gab ihn dort auf die Post. Zwei Briefe. Einer abgeschickt an die Volksschauspiele, der andere an Heinz Fritz. „Damit ich wissen konnte, dass die Post angekommen war.“

Auf den Erfolg musste Heinz Fritz nicht lange warten. „Zwei Tage, nachdem der Brief an mich bei mir angelangt war, war es schon Thema in beiden Zeitungen.“ Bedenken, dass die Volksschauspieler den Brief aufgrund der absichtlich eingebauten Fehler für eine Fälschung halten konnten, hatte er nicht. „Ich war mir sicher, dass die alles ausblenden würden und der Wunsch, berühmt zu werden, der Vater aller Gedanken sein würde.“ Heinz Fritz lacht: „Hinterher freilich haben viele Leute behauptet, es sofort durchschaut zu haben.“

Das Zeichen

An Direttore Moser, gemeint war Günter Moser, der zum damaligen Zeitpunkt als Vorsitzender der Volksschauspiele schon zurückgetreten war, hatte Heinz Fritz den Brief übrigens deshalb adressiert, weil der seiner Meinung nach die von ihm bemängelten diversen Profilneurosen auf dem Schlossberg geradezu verkörperte. Und dass auf der kurzen Distanz vom Kuvert zum Briefkopf aus Empoli Emboli wurde, ist, wo wir schon mal auf einem gewissen Niveau sind, quasi ein literarisches Zitat und sollte an einen autobiographischen Roman von Carlo Levi erinnern, der 1945 erschienen und 1979 von Francesco Rosi verfilmt worden war: „Christus kam nur bis Eboli“. Fellini nie bis Heidenheim.

Der Adressat: Günter Moser (rechts), von Frederico Direttore geheißen, war, ehe er über eine Überstunden-Abrechnung stolperte, unter anderem als erster Schulleiter des Werkgymnasiums, als SPD-Landtagsabgeordneter und als Vorsitzender der Volksschauspiele, eine der schillerndsten Gestalten im Heidenheim der späten 1970er und frühen 1980er Jahre.
Der Adressat: Günter Moser (rechts), von Frederico Direttore geheißen, war, ehe er über eine Überstunden-Abrechnung stolperte, unter anderem als erster Schulleiter des Werkgymnasiums, als SPD-Landtagsabgeordneter und als Vorsitzender der Volksschauspiele, eine der schillerndsten Gestalten im Heidenheim der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Foto: HZ-Archiv

Und warum hat Heinz Fritz das Geheimnis nun preisgegeben? „Das ist allein dem Umstand dieses kleinen Archiv-Artikels in der HZ geschuldet. Als ich den sah, sagte ich mir, okay, das könnte ein Zeichen sein, dass es vielleicht an der Zeit ist, das alles mal zu erzählen.“

40 Jahre. Aus den Volksschauspielen wurde seither das Naturtheater, und aus Heinz Fritz ein Unternehmer, der in der Weltspitze seiner Branche agiert. Wie die Zeit vergeht. Oder, um mit dem italienischen Originaltitel des in Deutschland als „Fellinis Schiff der Träume“ herausgekommenen Filmklassikers von 1984 zu enden: „E la nave va“. Und das Schiff gleitet dahin...

Jetzt neu: Die HZ auf WhatsApp kostenlos abonnieren – Hier klicken und alle News aufs Handy bekommen.

undefinedundefined
Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar