Neue Ausstellung im Kunstmuseum Heidenheim

"Der Ursprung der Kunst": Wo man sich Kunst selber vorstellen muss

Wo entsteht Kunst im Gehirn? Kann man eine Idee zurückverfolgen? Wie sieht ein Bild aus, das man nicht sehen kann? Antworten auf diese Fragen sucht "Der Ursprung der Kunst", die neue Ausstellung im Kunstmuseum Heidenheim.

"Der Ursprung der Kunst": Wo man sich Kunst selber vorstellen muss

Unter der Kopfhaut, dem Schädelknochen und der Hirnhaut liegt die gute alte Großhirnrinde. Sie steuert unter anderem die Motorik des Körpers. Wenn ein Maler den Pinsel schwingt, wenn eine Bildhauerin das Schnitzeisen ansetzt, wenn Kunst entsteht, dann ist die Großhirnrinde am Malochen. Unter anderem. Denn auf die Frage, wo Kunst entsteht, diese besondere Idee, dieser eine Funke, darauf hat die Wissenschaft bis heute keine eindeutige Antwort. Einer, der ebenfalls nach einer Antwort sucht, ist Adi Hoesle. Seine Suche setzt der Künstler nun im Heidenheimer Kunstmuseum fort.

„Der Ursprung der Kunst“ lautet der Name der neuen Ausstellung, die am Samstag, 12. August, eröffnet wird. Am Anfang eines künstlerischen Schaffensprozesses steht zunächst und oftmals ein inneres Bild. Wo genau jenes Bild entsteht, wie man es zurückverfolgen kann und was im Gehirn passiert, wenn man Kunst betrachtet oder schafft, prägt die Arbeiten des Babenhausener Künstlers.

Blick ins Gehirn des Künstlers mittels Augmented Reality

Seine Suche führt Hoesle regelmäßig an die Schnittstelle zwischen Kunst und Neurowissenschaft. Worüber der Künstler so brütet, darin können Besucherinnen und Besucher des Kunstmuseums einen buchstäblichen Einblick bekommen. Mittels Augmented Reality (AR) und einer Datenbrille wird es etwa möglich sein, ins Innere des Gehirns des Künstlers zu spicken – eine gemeinsame Geburt von Adi Hoesle und der Firma Brainlab.

Adi Hoesles Arbeiten wandeln zwischen Kunst und Neurowissenschaft. Rudi Penk

Überhaupt gewährt der Künstler gerne ästhetisierte Einblicke in sein Gehirn. So ließ er medizinische Vermessungen seiner Gehirngefäße in vergrößerter Form als 3-D-Drucke realisieren. Visualisierte Hirnströme in skulpturaler Form zeigen Hoesles Gedanken. Manifestiert. Geformt. Greifbar. „Man fragt sich beim Betrachten unweigerlich, ob bei diesem Hirnstrom gerade Kunst am Entstehen ist“, sinniert Hoesle.

Wenn man Bilder ausstellt, die man nicht sieht, erzeugt das beim Publikum definitiv eine Reaktion.

Marco Hompes, Leiter des Heidenheimer Kunstmuseums

Das Zentrum der Ausstellung, das pièce de résistance, wenn man so will, ist ohne Frage die „Black Box“. Bei dem großen schwarzen Würfel handelt es sich um einen komplett dunklen Ausstellungsraum, der den Zustand absoluter Blindheit simuliert. Zwar hängt im Raum selbst ein Kunstwerk, dem Publikum ist es jedoch nicht möglich, dieses zu sehen. Stattdessen wird das Werk mittels eines Lautsprechers beschrieben. Im Kopf eines und einer jeden entsteht somit zwangsläufig ein etwas anderes Bild. „Wenn man Bilder ausstellt, die man nicht sieht, erzeugt das beim Publikum definitiv eine Reaktion“, orakelt auch Kunstmuseumsleiter Marco Hompes.

Adi Hoesle hat seine Hirnströme als Skulpturen visualisiert. Rudi Penk

Präsenz und Absenz von Sinnen dominiert „Der Ursprung der Kunst“ mindestens so sehr wie die Suche nach diesem einen Punkt im Gehirn. Nicht nur der temporäre Verlust der Sehkraft, wie in der „Black Box“, auch die permanente Blindheit ist Thema. Die Wandinstallation „Der blinde Vorleser“ besteht beispielsweise aus übergroßer Brailleschrift, die sich wiederum aus kleinen, weißen Gehirnen zusammensetzt. Daraus ergibt sich der Widerspruch, dass sehende Menschen die Installation zwar ästhetisch wahrnehmen können, doch nur Blinde beziehungsweise der Brailleschrift Mächtige sie auch lesen können.

Roman von Max Frisch in Brailleschrift

Deren Inhalt zeugt von Ironie. Bei dem Text der Installation handelt es sich um einen Auszug aus Max Frischs „Mein Name sei Gantenbein“. Der Roman handelt von einem Mann, der sich blind stellt. Sehen und Nicht-Sehen werden in dieser Arbeit also weder als etwas Positives, noch etwas Negatives definiert. Es sind lediglich zwei Arten der Befähigung. „Generell geht es darum, körperliche Defizite nicht als Makel zu sehen, sondern vielmehr als eine andere Möglichkeit, die Welt wahrzunehmen“, erläutert Adi Hoesle.

Bestes Beispiel dafür ist die Fotoserie „I’m a model“. Angela Jansen, das Gesicht der Serie, lebt seit Jahrzehnten mit ALS, seit 20 Jahren befindet sie sich im sogenannten Locked-in-Stadium. Bewegen und kommunizieren kann sie einzig und allein mit ihren und über ihre Augen. Anstatt irgendwelche Defizite in Kunstwerke zu übersetzen, soll die Zusammenarbeit zwischen Jansen und Hoesle vermitteln, wie sich Sinne verändern, wenn Sprache und Bewegung eingeschränkt sind.

Angela Jansen ist das Gesicht der Fotoserie “I’m a model”. Rudi Penk

Sehen, Denken, Handeln – Adi Hoesle spielt mit und forscht an dem Wechselspiel zwischen Wahrnehmung und Ausführung. Ob er damit jemals das Rätsel um den Ursprung der Kunst lösen wird? Wahrscheinlich nicht, prognostiziert er selbst. „Aber das Stochern im Dunkeln, das Scheitern des Künstlers – genau das macht das Ganze ja aus.“

Zwei neue Ausstellungen im Kunstmuseum Heidenheim

Die beiden Ausstellungen „Der Ursprung der Kunst“ und „Metamorphosis“ im Heidenheimer Kunstmuseum werden am Samstag, 12. August, ab 17 Uhr mit einer Vernissage eröffnet und sind bis Sonntag, 5. November, zu sehen sein.

Das Kunstmuseum ist dienstags sowie donnerstags bis freitags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Mittwochs hat das Museum von 13 bis 19 Uhr geöffnet. Montags ist es geschlossen. Am Sonntag, 13. August, führt Museumsleiter Marco Hompes ab 11.15 Uhr durch die beiden Ausstellungen.

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