Die Geschichten hinter Verdis Opernhelden aus "Don Carlo"
Von der Armada hat jeder schon mal gehört. Welcher spanische König aber schickte sie nach England? Man ahnt es vielleicht schon: Philipp II., genau. Der Mann, der auch in „Don Carlo“ der König ist. In Heidenheim allerdings nur noch einmal, denn Giuseppe Verdis Oper wird’s am Freitag letztmals im Rittersaal gegeben.
Höchste Zeit also, mal ein wenig zwischen Fiktion und Wahrheit zu unterscheiden. Oder, besser formuliert, zwischen der Oper und dem, auf was sich die Geschichtsschreibung bis heute als Wahrheit verständigt hat.
In der Oper tritt uns, mal abgesehen davon, dass er Kriege führt oder Freiheitskämpfe unterdrückt, ein König gegenüber, der alt und frustriert wirkt und sich vor allem von seiner Frau ungeliebt und emotional im Stich gelassen fühlt.
Eine strahlende Schönheit
Tatsächlich war Philipp II. viermal verheiratet. Zunächst mit Maria von Portugal, die der da 16-Jährige 1543 ehelichte und die 1545 die Geburt des Thronfolgers Carlos nicht überlebte. Sodann heiratete Philipp II. 1554 Maria Tudor, die Königin von England, die 1558 kinderlos starb.
Die dritte Ehe des zu diesem Zeitpunkt 32-Jährigen mit der französischen Prinzessin Elisabeth von Valois ist die auch in der Oper verhandelte. Elisabeth, bei der Heirat 1560 gerade mal 14 Jahre jung, war, wie in der Oper richtig kolportiert wird, ursprünglich dem Infanten Carlos versprochen gewesen. Elisabeth wird in Zeugnissen von Zeitgenossen als strahlende Schönheit beschrieben, die auch am Hof und in der Öffentlichkeit ankam und den von denselben Zeitgenossen als kalt und unnahbar beschriebenen Philipp wohl in einen fröhlichen und liebevollen Ehemann verwandelte, der seiner Frau jeden Wunsch von den Augen ablas. Nicht zuletzt fünf Schwangerschaften bescherten der bei ihrem Tod gerade mal 23-jährigen Elisabeth allerdings ein frühes Grab.
Monarch mit Brille
Die überlebenden Töchter der Ehe, Isabella und Katharina, wurden zu den wichtigsten Vertrauenspersonen ihres Vaters, der 1570 noch eine vierte Ehe einging. Diesmal mit der 21-jährigen Anna von Österreich, die übrigens auch schon einmal Philipps Sohn Carlos versprochen gewesen war. Anna wird als regelrechten Frohnatur geschildert, die fünf Kinder zur Welt brachte, darunter auch den nächsten König, Philipp III., der seinem Vater 1598 auf dem spanischen Thron nachfolgen sollte. Anna starb im Jahr 1580 an einem grippalen Infekt, den sie sich bei der Pflege ihres erkrankten Mannes zugezogen hatte.
Philipp II., dessen Weltpolitik wir an dieser Stelle aussparen, trug, was vielleicht auch interessant sein dürfte, in fortgeschrittenem Alter eine Brille und gilt als erster Monarch, der dies sogar in der Öffentlichkeit tat. Seine private Bibliothek galt als die inhaltlich größte des gesamten Abendlandes.
Die Entlobung
Hatte Elisabeth von Valois ein Verhältnis mit ihrem Stiefsohn Carlos? Bei Friedrich Schiller und Giuseppe Verdi ist diese Frage das Salz in der Suppe von Drama und Oper. Beweise dafür lassen sich freilich keine finden. Schon das mit der Verlobung war ja so eine Sache. Philipp II. hatte seinen Sohn höchstselbst entlobt, und Elisabeths Mutter, Caterina de Medici, die Gattin des französischen Königs Heinrich II., hatte dieser Entlobung vielleicht auch deshalb zugestimmt, weil sie die Gerüchte über den sehr angegriffenen psychischen und physischen Zustand des spanischen Thronfolgers Carlos vernommen hatte. Das wohl durchaus freundschaftliche Verhältnis der eleganten und vor allem sehr intelligenten Elisabeth zu ihrem gleichaltrigen Stiefsohn wird wohl eher von Mitleid und Barmherzigkeit geprägt worden sein.
War Don Carlos geistesgestört? Das wird jedenfalls immer mal wieder behauptet. Von ihm selber ist die Aussage überliefert, er sei nicht verrückt, nur verzweifelt. Was allein die Schuld seines Vaters sei. Dieser wiederum äußerte sich nachweislich immer wieder unverhohlen skeptisch über die Fähigkeiten seines Erstgeborenen.
Der Treppensturz
Ob es auch daran lag, dass der Thronfolger schon rein äußerlich enttäuschte? Gesandte berichteten vom spanischen Hof, Carlos habe nicht nur einen Buckel, sondern auch verschieden lange Beine. Offenbar war er auch jähzornig, unkonzentriert und hatte Schwierigkeiten beim Lernen. Pech kam dazu. Als er 17 war, stürzte er eine Treppe hinab und zog sich schwere Schädelverletzungen zu, verlor gar zeitweise das Augenlicht. Vielleicht trieb all dies ihn, wie berichtet wurde, dazu, seine Umgebung zu terrorisieren und auch Tiere zu quälen.
Jedenfalls stellte ihn sein Vater, der König, unter strenge Aufsicht erzkatholischer Erzieher und Kirchenleute. Dass er Verlobungen seines Sohnes löste, ist bekannt. Trotzdem machte sich dieser Hoffnung darauf, spanischer Statthalter in den Niederlanden zu werden und so zu politischer Macht zu gelangen, denn Philipp II. plante eine Reise dorthin und wollte seinen Sohn mitnehmen. Doch man reiste dann doch nicht, und zum Statthalter ernannte der König den Herzog von Alba, einen alten Haudegen.
Die Verhaftung
Carlos widmete sich daraufhin offenbar wieder Ausschweifungen und verfiel nach einer Weile auf die Idee, in die Niederlande zu fliehen, wo gerade der offene Aufstand geplant wurde, für den er, man weiß es allerdings nicht, möglicherweise sogar ein gewisses Verständnis aufbrachte. Der König, dem der Plan zugetragen wurde, ließ seinen Sohn verhaften und wertete dessen Verhalten als Hochverrat. Das war 1568. Carlos reagierte mit einem Selbstmordversuch. Seine Bitte um ein Versöhnungsgespräch lehnte der König ab. Am 24. Juli 1568, noch vor dem geplanten Prozess gegen ihn, starb Carlos, offenbar an schweren Verdauungsproblemen. Es gab immer wieder Gerüchte, der Vater habe dabei nachgeholfen.
Keine Erfindung Friedrich Schillers oder Giuseppe Verdis ist übrigens die Prinzessin Eboli, eine nun wirklich schillernde Figur der spanischen Geschichte des 16. Jahrhunderts. Sie hieß Ana de Mendoza y de la Cerda und wurde bereits als 12-Jährige mit dem dreimal so alten Fürsten von Eboli, einem Berater von Philipp II., verlobt und sieben Jahre später auch verheiratet. Die von Zeitgenossen als geradezu blendende Schönheit beschriebene Ana brachte zehn Kinder zur Welt und übte über ihren Gatten offenbar einigen politischen Einfluss aus.
Nachspiel unter Franco
Nach dem Tod des Fürsten ging sie, ebenso einflussreich, eine Liaison mit Philipps Staatssekretär Antonio Pérez ein. Die beiden spielten wohl ebenso hinter den Kulissen der Aufstände in Flandern eine wichtige Rolle und verübten, so heißt es, im Auftrag Philipps auch einen Mord.
Ana de Mendoza y de la Cerda trug eine Augenklappe, seit sie als 15-Jährige bei einem Fechtunfall das rechte Auge verloren hatte. Man beschrieb sie übrigens nicht nur als Schönheit, sondern auch als intrigant, hochmütig, herrschsüchtig, verschwenderisch, respektlos und hysterisch. Im Jahr 1579 wurde sie wegen Verrats verhaftet und zu lebenslangem Hausarrest in ihrem eigenen Herzogspalast verurteilt, wo sie 1592 im Alter von 51 Jahren starb.
Im Jahr 1955 indes sorgte sie sogar postum in Spanien noch einmal für Aufregung, als der Film „That Lady“ des Regisseurs Sy Bartlett, in dem Olivia de Havilland die Prinzessin Eboli verkörperte und in dem, wie bei Schiller und Verdi, die wohl grundlose Behauptung aufgestellt wurde, Eboli und Philipp hätten ein Verhältnis gehabt, die Zensur unter Diktator Franco auf den Plan rief.
Es gibt nur noch Schlechtwetterkarten
Die letzte Vorstellung von „Don Carlo“ bei den Opernfestspielen am Freitag, 28. Juli, ist ausverkauft. Sollte wegen schlechten Wetters im Festspielhaus gespielt werden, sind allerdings dort an der Abendkasse noch 80 Schlechtwetterkarten erhältlich. Die Vorstellung beginnt um 19.30 Uhr. Wettertelefon ab 17.30 Uhr: 07321.327-4220.