Jugend und Körper

Die Eroberung des Turnbocks: Neue Ausstellungen im Kunstmuseum Heidenheim

Zwei neue Ausstellungen im Kunstmuseum Heidenheim beschäftigen sich mit der Jugend und dem Körper. „Auf der Suche …“ zeigt die Strapazen der Generationen Y, Z und Alpha. Und in „Safer Space“ versöhnt sich eine Künstlerin mit ihrem eigenen Körper.

Im Englischen gibt es den wunderbaren, aber nur umständlich übersetzbaren Begriff „teen angst“ (sprich: „tiehn ängst“). Er beschreibt Gefühle der Furcht und Angst, auch Existenzangst, bei Jugendlichen. Oftmals belächelt, wird er seit einigen Jahren Stück für Stück ernster genommen. Denn Studien zeigen, dass junge Menschen heute vor allem mit großen Fragezeichen in die eigene Zukunft blicken. Die Teenager, sie haben Angst. Das ist sie, die „teen angst“. Genau damit befasst sich die neue Ausstellung im hiesigen Kunstmuseum. Sie trägt den Titel „Auf der Suche …“ – doch wonach wird denn gesucht?

Nach Identität, zum Beispiel. Die Jugend ist eine Zeit, in der Menschen sich ganz besonders hinterfragen, vergleichen und formen. 15 Künstlerinnen und Künstler haben sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven genähert. „Es ist eine recht fotografielastige Ausstellung“, gibt Kunstmuseums-Chef Marco Hompes zu. Zeichnungen, Gemälde und Videoinstallationen fragen jedoch gleichermaßen: Was treibt die Generationen Y, Z und Alpha um?

Die Ausstellungsarchitektur wurde bewusst schräg und labyrinthisch angeordnet. Foto: Oliver Vogel

Die Hamburger Fotografin Paula Markert setzt sich etwa auf sensible Art und Weise damit auseinander, wie Identität geformt wird. Fotografisch dokumentiert sie die Beziehungen zwischen Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen zu deren Eltern. Da ist der Vater, der seinen Sohn in den Arm nimmt. Der Sohn, der keine Freunde hat, aber in einer Band mit seiner Familie musiziert und dabei aufblüht. Da sind Zwillingsschwestern, deren inniger Kontakt auf intime Art und Weise auf Film gebannt wird.

Viele der dargebotenen Werke sind Porträts, wie Marco Hompes erklärt. Nicht wenige zeigen Jugendliche mit Gleichgesinnten, in Peergroups, in ihren Milieus. „Das sind oftmals Orte ohne Konsumzwang“, sagt der Museumsleiter. Albrecht Tübke ist einer, der bereits im Winter 1998 damit begonnen hat, junge Menschen an Orten aufzusuchen, an denen sie einfach nur sein können. Obwohl die Jugendlichen allesamt aufrecht stehend und neutral dreinschauend abgebildet werden, verraten ihre jeweiligen Posen und ihre Körperhaltung so einiges über sie selbst.

Körper als Thema im Kunstmuseum Heidenheim

Orten der temporären Gemeinschaft widmet sich das Duo „Römer + Römer“. Nina und Torsten Römer fotografieren unter anderem Festivals, an denen junge Menschen zueinanderfinden, um maximalen Abstand zum Alltag zu schaffen. Diese Fotografien werden anschließend durch unzählige, winzige Punkte auf Leinwand übertragen – im Stil des Pointillismus.

Der Aspekt Körper nimmt ebenfalls großen Raum in der Ausstellung ein. In ihrer Serie „Zweiunddreißig Kilo“ thematisiert Ivonne Thein das krankhafte Streben nach unnatürlich dünnen Körpern. Eden Nael Liedtke dokumentiert in tagebuchartigen Zeichnungen seine Geschlechtsidentität und -umwandlung. Und um Körper dreht sich auch alles in der Ausstellung im kleinen Saal des Kunstmuseums.

Die Künstlerin Julie Batteux ist in ihrer Ausstellung „Safer Space“ auf Versöhnungssuche mit ihrem eigenen Körper. Foto: Oliver Vogel

Einen „Safer Space“ kreiert die Nürnberger Künstlerin Julie Batteux dort. Der weibliche Körper – ihr eigener weiblicher Körper – steht dabei im Fokus. In ihren Gemälden nähert sich Batteux dem Thema in Form von gemalten Selfies und digitalen Medien an. Sie malt sich selbst nackt, „ein ungeschönter Blick“, wie die Künstlerin erklärt. „Es soll in gewisser Weise eine Versöhnung mit meinem eigenen Körper sein.“ Eine Versöhnung, die – wie sie zugibt – keineswegs abgeschlossen sei.

Ein stets wiederkehrendes Element ist dabei der Turnbock. Vor dem habe sie damals im Schulsport Angst gehabt, erinnert sich Batteux. Die Integration des Bocks in ihre Werke, die bewusst Sexualität und Nacktheit aufgreifen, hat gleich drei Deutungsmöglichkeiten: Da ist zum einen der Turnbock und seine Assoziation mit unschönen Erinnerungen an den Sportunterricht und einem Körper, der als unsportlich betrachtet wird. Da ist aber auch der Begriff „bockig sein“. Julie Batteux zeigt explizit weibliche Lust, etwa in Form dargestellter Masturbation. Und zuletzt ist da „Bock haben“, erneut ein Sprachspiel, das auf Sexualität hinweist.

Es geht darum, mich mit meinem eigenen Körper zu versöhnen.

Julie Batteux, Künstlerin aus Nürnberg

Der Turnbock wirkt in den Gemälden oftmals viel kleiner als in der Realität, laut Batteux ein Versuch, die Machtverhältnisse zwischen ihr und dem Sportgerät umzukehren. Das Spiel mit der Perspektive zieht sich durch die gesamte Ausstellung. Ein auf Leinwand gebanntes Spiegelselfie wirkt bisweilen verzerrt, fast schon etwas grotesk, und könnte dabei in die Richtung interpretiert werden, dass dort eine Julie Batteux abgebildet ist, die nicht sich selbst, sondern den Betrachter von oben herab fotografiert.

Den eigenen Körper als Modell zu nutzen, sei für die Künstlerin absolut selbstverständlich gewesen. „Es geht dabei schließlich darum, mich mit meinem eigenen Körper zu versöhnen. Und darum, den Turnbock zurückzuerobern.“

Vernissage und öffentliche Führungen

Die Ausstellung „Auf der Suche …“ wird von 9. März bis 1. Juni im großen Wechselausstellungssaal des Kunstmuseums gezeigt. Im kleinen Pendant ist „Safer Space“ von 9. März bis 4. Mai zu sehen. Die gemeinsame Vernissage findet am Samstag, 8. März, ab 17 Uhr statt.

Geöffnet ist das Kunstmuseum von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 13 bis 19 Uhr. Die erste öffentliche Sonntagsführung durch die neuen Ausstellungen beginnt am 9. März um 11.15 Uhr.

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