Christa Zembsch hat Augenmaß. Ein Blick genügt und sie weiß, welche Kleider- oder BH-Größe die Kundin vor ihr trägt. Damit erübrigt sich auch die Frage nach der BH-Größe, die die Frauen meistens eh nicht kennen. Doch in der Welt der feinen Wäsche und Bademode kennt sich Christa Zembsch aus wie fast keine andere. Kein Wunder. Schließlich feiert die Heidenheimerin Arbeitsjubiläum. Seit 50 Jahren arbeitet sie im Traditionsgeschäft Wäsche Reiber. Erst als Auszubildende, dann als Angestellte und seit 35 Jahren als Chefin.
Mit Gespür für Qualität, Trends und einer guten Beratung ihrer Kundinnen und Kunden steuert sie den Laden durch Höhen und Tiefen und wird das auch nach ihrem 65. Geburtstag im Dezember noch einige Zeit tun. Mindestens für die nächsten vier Jahre, so ihr Plan, denn 2028 feiert Wäsche Reiber das 100-jährig Bestehen .
Warum heißt ihr Laden eigentlich Wäsche Reiber und nicht Wäsche Zembsch, wie Sie?
Der Laden war für mich schon immer Reiber, auch als ich noch nicht da gearbeitet habe. Meine Mutter nähte, und wir holten dort Knöpfe und Reißverschlüsse. Deshalb habe ich den Laden nicht umbenannt.
Wie oft werden Sie als Frau Reiber angesprochen?
Sehr oft. Also nicht von den Stammkundinnen, aber von anderen. Auch wenn ich auf Messen bin, werde ich als Frau Reiber angesprochen.
Korrigieren Sie das?
Eigentlich ist mir das egal, ich weiß ja, dass ich gemeint bin und reagiere darauf.
Unterwäsche ist etwas sehr Persönliches und Intimes, man trägt sie direkt auf der Haut. Bei der Anprobe ist man ziemlich nackt. Wie gehen Sie damit um bei der Beratung im Laden?
Die Frauen kommen zu uns, weil wir beraten. Die Beratung in der Kabine ist für einen BH unablässig. Es ist auch heute so, dass viele Frauen mit ihrer BH-Größe hadern und diese gar nicht kennen. Ich frage nie danach, ich gucke mir die Leute an, und kann die Größe ungefähr abschätzen. Für kleine Änderungen, die ich selbst nähe, muss ich auch in die Kabine, um das passend abzustecken.
Heute ist es wichtig, dass sich Frauen im BH wohlfühlen. Sexy alleine ist vorbei.
Christa Zembsch, Inhaberin Wäsche Reiber
Wenn Männer im Laden Unterwäsche für ihre Frauen einkaufen, zum Beispiel als Geschenk, kaufen die anders ein als Frauen es für sich tun würden?
Ja, das unterscheidet sich. Männer wollen ein schönes Dessous haben, aber wenige haben eine Vorstellung davon, was ihrer Frau passt. Ich kann mich an viele Weihnachten erinnern, wo Männer eine sexy Unterwäsche gekauft haben und die Frauen nach Weihnachten zum Umtauschen kamen. Ein bisschen hat sich das verändert. Die Männer wissen heute besser, was ihre Frauen mögen, sie sind in dieser Hinsicht feinfühliger geworden. Heute ist es wichtig, dass sich die Frau im BH wohlfühlt. Sexy alleine ist vorbei. Früher hat man auch mal nur einen BH zum Ausziehen gekauft. Heute will die Frau den BH immer tragen. Frauen sind selbstbewusster als früher. Der BH soll alltagstauglich und schön zugleich sein. Er ist ein Zusatzaccessoire zur Mode und darf auch gerne ein bisschen zu sehen sein.
Inwiefern hat sich die BH-Mode verändert?
Früher hatten wir 20 oder 30 Modelle zur Auswahl. Heute kann man die Modelle und Größen gar nicht mehr zählen. Die Größen reichen von A bis L. Nur 20 Prozent unserer Kundinnen kaufen immer das gleiche Modell. Die meisten wollen Abwechslung. Im Moment geht der Trend zurück zur Natürlichkeit. Der Push-BH wird abgelöst durch den BH ohne viel Futter. Durchsichtige BHs sind wieder im Kommen. Die Corona-Zeit hat viel verändert, viele wollen keinen Bügel mehr, der beim Sitzen auf dem Rippenbogen aufliegt. Vor Corona war das Verhältnis mit und ohne Bügel 80 zu 20. Jetzt sind wir bei 50 zu 50.
Was sind denn die Farben für den kommenden Herbst?
Es bleibt bunt, ein bisschen gedeckter als im Frühjahr, als viele knallige Farben kamen. Bordeaux, dunkelbraun und rot wird kommen. Schwarz mit modischen Akzenten ist dieses Jahr eine wichtige Farbe, das steht jeder Frau.
Was schätzen die Kundinnen, die zu Wäsche Reiber gehen?
Ich glaube, es ist diese persönliche Ansprache durch gut geschultes Personal. Die Frauen kommen zu uns, weil sie sich verlassen können, dass wir das Richtige für sie finden. Miederwaren und Bademoden sind unsere Hauptproduktgruppen, und die Passform das A und O. Mein Anspruch ist, dass die Frauen gut angezogen sind.
Haben Sie ein Erlebnis, das Ihnen auch heute noch in Erinnerung geblieben ist?
Es sind zwei Dinge. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Tag bei Wäsche Reiber. Meine Mutter hatte mir eine Hose gekauft für den Start, doch in der Schule bin ich hingefallen und meine Mutter musste die Hose flicken. Ich kam aus einfachen Verhältnissen, wir hatten kein Geld, um eine neue Hose zu kaufen. Niemand merkte, dass die Hose geflickt war, doch ich wusste das ja. Mit meinem ersten Lehrlingsgehalt kaufte ich erst einmal neue Kleidung.
Das zweite Erlebnis: Heute presst sich keine Frau mehr in ein Korsett rein. Aber früher war das normal. Da haben wir bis zu 20 Korseletts am Tag verkauft und diese mussten anprobiert werden. Wir halfen beim Schließen der vielen Haken. Eine Firma stellte die Korseletts nach Maß her, deshalb mussten wir die Kundinnen vermessen. Als junges Mädchen musste ich mich mit diesem Thema, dass da eine nackte Frau in der Kabine steht, erst einmal auseinandersetzen. Nie vergessen werde ich, als ich erstmals einen Mann bedienen sollte, der ein Korselett kaufen und anprobieren wollte. Das war für mich als junges Mädchen eine schwierige Situation. Heute ist das ganz selbstverständlich, dass auch Männer bei uns einkaufen. Wir haben an die 20 Stammkunden.
Sie sind gefühlt so gut wie immer im Laden. Wie bleibt man nach 50 Jahren so motiviert, wie sie sind?
Mein Beruf ist mein Leben. Mein Mann hat mir immer den Rücken freigehalten, auch für die Ehrenämter. Beim Heidenheimer Dienstleistungs- und Handelsverein HDH bin ich heute noch, ebenso in der IHK Vollversammlung. Früher war ich zudem im Vorstand des Brenzparkvereins, Elternvertreterin in Schule und Kindergarten und aktiv bei Business at School. Ich wusste, dass das mit vielen Abendterminen verbunden sein wird. Mein Mann hat zwar auch gearbeitet, aber war dann für die Kinder da, ebenso meine Eltern und die Schwiegereltern. Die Familie stand immer zusammen und half. Seit 35 Jahren arbeitet meine Schwester als meine rechte Hand im Laden, meine Mutter machte in den ersten Jahren Änderungen für uns. Mein Mann übernimmt handwerkliche Arbeiten, wie zum Beispiel Ladenumbauten. Mein Sohn Moritz kümmert sich um alles was mit Marketing und Warenwirtschft zu tun hat .
Ist Familie das Erfolgsrezept bei Wäsche Reiber?
Ja, und natürlich die Mitarbeiterinnen. Wir hatten immer Kolleginnen, die diese familiäre Atmosphäre mit gelebt haben. In einem so familiäreren Betrieb kann man nur auf einer freundschaftlichen Ebene zusammenarbeiten. So ähnlich geht uns das auch mit unseren Kundinnen. Wir wissen von vielen unserer Kundschaft sehr viel, auch Privates, da entsteht ein sehr persönlicher Kontakt.
Liegt das an der Wäsche, an der Intimität?
Das liegt tatsächlich an der Situation in der Kabine. Es entwickeln sich Gespräche über Sorgen und Nöte. Es bleibt natürlich in der Kabine, da gehört es hin. Aber wenn man persönliche Dinge weiß, wie etwa einen Krankheitsfall, kann man besser und sensibler beraten. Früher war der BH-Kauf nach einer Brust-Operation ein reines Sanitätshausgeschäft. Aber als Frau will ich auch nach einer Brust-OP schön sein, auch für mich selbst und für das eigene Selbstwertgefühl. Mit dem BH kann man viel kaschieren. Auch wenn eine Frau älter wird, gibt es Problemzonen. Doch wenn man diese gut verpackt, dann ist eine Frau auch mit 70 oder 80 noch sehr attraktiv.
Ein aktuelles Thema ist der Online-Handel. Macht der sich auch in ihrer Branche bemerkbar?
Der Online-Handel nimmt uns schon sehr viel Umsatz weg, weniger in Miederwaren und Bademoden, aber Nachtwäsche lässt nach. Aber nicht jeder BH passt jeder Frau. Da die Passformen sehr individuell sind, klappt das online nicht sehr gut. Wir hatten während Corona über Ebay und Zalando verkauft, aber die Ware, die zurückkam, mussten wir oft wegwerfen, da sie nicht mehr verkäuflich war. Geld verdient haben wir mit unseren Stammkundinnen. Wir haben die Größen in der Kundenkartei hinterlegt und konnten die Ware passend ausliefern. Das funktioniert in der Kleinstadt. Ich habe viele treue Kundinnen, die mich schon die ganzen 50 Jahre begleiten.
Sich selbstständig zu machen mit dem Wunsch, möglichst wenig zu arbeiten, das funktioniert nicht.
Christa Zembsch
Wie können Sie angesichts dieser Liebe zu ihrem Laden sagen, dass sie in vier Jahren aufhören?
Ob ich das wirklich kann, weiß ich heute noch nicht. Der Wunsch ist, dass mein Sohn Moritz einmal den Laden übernimmt. Dann könnte ich meine Arbeit reduzieren, aber müsste nicht ganz aufhören. Aber das müssen wir noch genauer planen, denn es wird keinen Wäscheladen geben, wo ein Mann bedient. Unser Sortiment ist zu intim und sensibel.
Was würden Sie mit ihrem Wissen einer jungen Frau raten, die sich heute selbstständig machen möchte?
Sich selbstständig zu machen mit dem Wunsch, möglichst wenig zu arbeiten, das funktioniert nicht. Eine 60 bis 80 Stunden Woche ist normal für mich. Und reich wird man dabei auch nicht. Ich habe einen ganz normalen Verdienst. Man muss die Arbeit gern machen. Für mich ist mein Laden wie mein Wohnzimmer, Beruf und Privatleben ist eins, das ist mein Leben. Ein Geschäft muss mit Herz und Seele geführt werden.
Über Christa Zembsch und Wäsche Reiber
Christa Zembsch ist eine waschechte Heidenheimerin. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne. Heute ist sie 64 Jahre alt. Als sie ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau bei Wäsche Reiber begann, war sie 14. Das war am 1. September 1974. Vor 35 Jahren übernahm sie den Laden. 1928 von Erwin Reiber als Stoffreste-Geschäft in der Schlossstraße gegründet, hat sich das Unternehmen zu einem Fachgeschäft für Damen-, Nacht- und Unterwäsche, Miederwaren, Bademoden und Strümpfe entwickelt. Aktuell noch bis zum 7. September gibt es gegenüber dem Hauptgeschäft an der Karlstraße einen Outlet-Verkauf gemeinsam mit dem Betty-Barclay-Shop.